Gesetzlich bevorzugte Staatsbürger. (8. 51.) 47
der Kreisordnung in den Stolberger Grafschaften; die Regierung stand bei Einbringung
des ersten Entwurfes zur Ausführung des in der Kreisordnung für die Stolberger Graf—
schaften gemachten Vorbehaltes (8. 181) auf dem vom Minister dahin präzisierten Rechts
standpunkte, es handle sich hier um Aufhebung der „uralten gräflich-obrigkeitlichen Ver—
waltung“, die „ein vertragsmäßig reservierter Bestandteil einer früheren dynastischen
Machtstellung“ sei. Von diesem rechtlich zutreffenden Standpunkte ließ sich jedoch die Re-
gierung im Abgeordnetenhause, das bei diesem Anlaß einen heftigen Kampf gegen „feudale
Vorrechte“ eröffnete, abdrängen und vereinbarte dann mit den Kammern das Gesetz v.
18. Juni 1876, welches ohne Zustimmung der Grafen und gegen deren Widerspruch,
also ohne Einhaltung der für sein Zustandekommen notwendigen rechtlichen Erfordernisse
erging.1
Ebenso ist ohne Einhaltung dieser Erfordernisse das Schulaufsichtsgesetz v. 11. März
1872 erlassen und durchgeführt worden. Das für die ganze Monarchie erlassene Schul-
aufsichtsgesetz hat die standesherrliche Schulaufsicht grundsätzlich durch die staatliche Schul-
aufsicht ersetzt und damit den Standesherren ein Recht „aus souveräner Macht und Ge-
walt“ entzogen, welches als einer der wichtigsten Bestandteile der „jura in ecclesiasticis“
ihnen zustand und auch durch die Verordnung v. 30. Mai 1820 ausdrücklich vorbehalten
war; dies trifft staatsrechtlich auch dann zu, wenn tatsächlich die Schulaufsicht standes-
herrlichen Behörden, wie z. B. den Stolberger Konsistorien, belassen wurde, da deren
jetzige Schulaufsicht aus Auftrag des Staates erfolgt und demgemäß vom Staat auch
jederzeit entzogen werden kann (s. auch S. 58, 59)2. Dagegen ist bei Aufhebung
des gräflich Stolberg-Roßlaschen Bergamtes (1868), bei Einführung der Synodal-
ordnung in den Grafschaften (1873), bei Erlaß der sämtlichen Schulgesetze seit 1881
bis 1897, ferner des preußischen Einkommensteuergesetzes (189 1/92), beim Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) rechtmäßig verfahren worden.
VII. Die besonderen Rechtsverhältnisse der Mediatisierten beruhen demnach auf
der Instruktion v. 30. Mai 1820, die unter Zugrundelegung der Verordnung v. 21. Juni
1815 und des Art. XIV der Bundesakte festgestellt worden ist, sodann auf dem als
Deklaration zu Art. 4 der Verfassungsurkunde ergangenen Gesetze v. 10. Juni 1854 3, der
königlichen Verordnung v. 12. Nov. 1855 und den auf ihrer Grundlage abgeschlossenen
Rezessen, endlich auf dem unterm 15. März 1869 ergangenen Gesetze und den auf
seiner Grundlage erlassenen Spezialgesetzen.
A. Rechtsvershältnisse derselben im allgemeinen.
1. Sie sind der Souveränität der Krone Preußen unterworfen und es liegen ihnen
die Pflichten ob, welche aus dieser Unterwerfung entspringen (§. 2 Instr. v. 30. Mai
1820). Sie sind sowohl für sich und ihre Familien, als auch bei Ausübung aller
ihnen zustehenden Gerechtsame den allgemeinen Landesgesetzen unterworfen (§. 5).
2. Sie haben das Recht der Ebenbürtigkeit mit den regierenden deutschen Fürsten-
häusern.
3. Die Häupter der standesherrlichen Häuser sind Mitglieder des Herrenhauses,
1 S. hierüber Stenogr. Ber. d. Abg. H. 1873
—74, Anl. I. Nr. 9, Verhandl. d. Abg. H. 1873
—74, I, S. 30 ff., II, S. 1185 ff., S. 1206 ff.,
S. 1770 ff. Drucks. d. H. H. 1876, Anl. I,
Nr. 36. Stenogr. Ber. I, S. 158, 161. Vgl.
ferner die oben zit. Rechtsgutachten von Löning
und Zorn; bei letzterem ist der ganze merk-
würdige Gang dieser Gesetzgebung ausführlich dar-= (Stenogr. Ber. 1868—69, Bd. II, S. 1970).
gelegt. 4 S. dazu Bd. I, S. 220; Gierke, D. Priv.
* Ausführliche Erörterungen hierüber nebst R., I, S. 401 ff. Vgl. hierher die Entsch. d.
Quellenbelegen in den zit. Rechtsgutachten von R. G. i. Zivils. 32, S. 150 f., gegen die sich
Löning und Zorn, deren Rechtsauffassung dieser schwere Bedenken ergeben; ferner Rehm, Fürsten-
Frage allerdings wesentlich verschieden ist.
» recht, S. 115 f.; Bornhat, St. R. L, S.
ber die Notwendigkeit einer vollständig neuen 314 ff.
Regulierung der staatsrechtlichen Verhältnisse der
vormals Reichsunmittelbaren (auch schon mit Rück-
sicht auf die i. J. 1866 neuerworbenen Landes-
teile) durch eine umfassende neue Gesetzgebung
vgl. die Bemerk. des Abg. Twesten in den Sitz.
des Abg. H. v. 14. Dez. 1867 (Stenogr. Ber.
1867—68, Bd. I. S. 410) u. v. 26. Febr. 1869