Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

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unmittelbar unterstellt (Gesetz v. 16. Sept. 1899, 8. 1, Abs. 3). Die Amtsaufgabe des 
Kreisarztes ergibt sich im allgemeinen aus seiner Stellung als technischer Berater des 
Landrats in Sachen der öffentlichen Gesundheitspflege; sodann aber sind „insbesondere“ 
als Aufgaben des Kreisarztes im Gesetz bezeichnet: 1. „auf Erfordern der zuständigen 
Behörden in Angelegenheiten des Gesundheitswesens sich gutachtlich zu äußern, auch an 
den Sitzungen des Kreisausschusses und des Kreistags auf Ersuchen dieser Körperschaften 
oder ihres Vorsitzenden mit beratender Stimme teilzunehmen; 2. die gesundheitlichen Ver- 
hältnisse des Kreises zu beobachten und auf die Bevölkerung aufklärend und belehrend 
einzuwirken; 3. die Durchführung der Gesundheitsgesetzgebung und der hierauf bezüglichen 
Anordnungen zu überwachen und nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften die Heil- 
anstalten und anderweitige Einrichtungen im Interesse des Gesundheitswesens zu beauf- 
sichtigen; auch hat er über das Apotheken= und Hebammenwesen, über die Heilgehilfen 
und anderes Hilfspersonal des Gesundheitswesens die Aufsicht zu führen; 4. den zu- 
ständigen Behörden Vorschläge zur Abstellung von Mängeln zu machen, auch für die 
öffentliche Gesundheit geeignete Maßnahmen in Anregung zu bringen“ (Gesetz v. 16. Sept. 
1899, §. 6). Außerdem sollen 5. orts= oder kreispolizeiliche Verordnungen von der 
zuständigen Behörde, wenn sie das Gesundheitswesen betreffen, und ebenso allgemeine An- 
ordnungen dieser Art nur nach Anhörung des Kreisarztes erlassen werden; ist diese An- 
hörung unterblieben, soll dem Kreisarzt sofort Mitteilung gemacht werden (ebenda, S. 7. 
Daneben aber haben 6. bei Gefahr im Verzuge die Kreisärzte ein umfassendes selbständiges, 
allerdings nur vorläufiges Anordnungsrecht, dem gegenüber die Gemeindevorstände gehor- 
samspflichtig sind und das gegenüber jedermann mit Strafandrohung bis 150 Mark oder 
Haft, eventuell der weitergehenden Strafvorschrift von R. St. G. B., §. 327 geschützt ist. 
Dies Anordnungsrecht der Kreisärzte hat zur Voraussetzung, daß ein vorheriges Be- 
nehmen mit der Ortspolizeibehörde nicht angängig war und bezieht sich auf „Verhütung, 
Feststellung, Abwehr und Unterdrückung einer gemeingefährlichen Krankheit“, stellt sich so- 
mit verwaltungsrechtlich als ein Notpolizeiverordnungsrecht dar. Derartige Anordnungen 
sind den Beteiligten schriftlich oder zu Protokoll zu eröffnen, dem Landrat und der Orts- 
polizeibehörde sofort mitzuteilen und bleiben so lange in Kraft, bis von den zuständigen 
Behörden anderweitige Anordnungen getroffen sind (ebenda, §. 8). Endlich ist der Kreis- 
arzt 7. in der Regel der Gerichtsarzt seines Bezirks; ausnahmsweise können besondere 
Gerichtsärzte bestellt werden (ebenda, §. 9). Gegenüber den Gerichtsbehörden find sie 
mit öffentlichem Glauben versehene Sachverständige, die in allen Kriminal= und Zivil- 
rechtsfällen, wo es auf ein sachverständiges medizinisches Gutachten ankommt, zunächst 
zur Abgabe eines solchen aufzufordern sind und die legalen Obduktionen zu vollziehen 
haben.) In Berlin stehen die Kreisärzte unter dem Polizeipräsidenten; in Hohenzollern 
tritt an Stelle des Kreises der Oberamtsbezirk, an Stelle des Landrats der Oberamt- 
mann (Gesetz v. 16. Sept. 1899, §. 13). In Städten können die als Kommunalbeamte 
angestellten Stadtärzte vom Minister mit der Wahrnehmung der Funktionen der Kreis- 
ärzte beauftragt werden (§. 3, Abs. 50. Die Kreisärzte treten an Stelle der bisherigen 
Kreisphysici; die bisherigen Kreiswundarztstellen werden aufgehoben (ebenda, §S. 141. 
Dagegen können dem Rreisarzt nach Bedürfnis einer oder mehrere ihm dienstlich unter- 
stellte Kreisassistenzärzte widerruflich beigegeben werden, die gleichfalls die Qualifikation 
zum Kreisarzt haben müssen, und vom Minister der Medizinalangelegenheiten ernannt 
640 Die Staatsbehörden. 
  
1 Eine allgemeine Amtsinstruktion für die vgl. das Reskr. der Min. des Inn. und der 
Land-, Kreis= und Stadtphysici hatte das Ober- 
kollegium Medicum unterm 17. Okt. 1776 er- 
lassen (Mylins, N. C. C., Tom. VI, p. 3315, 
Nr. 12 des Nachtr. von 1780, v. Rönne und 
Simon, a. a. O., Bd. I. S. 199). Vgl. die 
speziellen Instruktionen einzelner Regierungen bei 
v. Rönne und Simon, a. a. O., S. 202— 
212, und über die besonderen amtlichen Pflichten 
des Rreisphysikus ebendas., S. 212—215 und 
Nachtragsheft I, S. 6—9. — Uber die Zuziehung 
der Kreisphysiker bei Regelung des Impfgeschäfts 
  
geistl. usw. Ang. v. 8. Juni 1875 (M. Bl. d. 
i. Verw. 1875, S. 181). 
Vgl. dazu Ges. v. 28. Aug. 1905(G. S., S. 373 
über Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. 
erlassen gemäß R. G. v. 30. Juni 1900 (R.G.B.306. 
Vgl. Krim. O., §§. 140 ff., Reichsstrafpro- 
zeß-O., §. 87. — Vgl. v. Rönne und Simon., 
a. a. O., Bd. II, S. 537—568, Löwe, Hellweg, 
Komm. zur Reichsstrafprozeß O., S. 87. 
* S. über deren Verhältnisse die 4. Aufl. dieses 
Werkes, Bd. III, S. 321, Note 3—6.
	        
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