Gesetzlich bevorzugte Staatsbürger. (8. 51.) 57
Der 8. 45, Lit. c der Instruktion hatte insbesondere noch bestimmt, daß den
Standesherren in dem ganzen Umfange ihrer standesherrlichen Bezirke auch die Aufsicht
über die Stadt- und Dorfkommunen, desgleichen über die Konkurrenz bei der Wahl und
Anstellung der Vorgesetzten und Beamten jener Kommunen zusteht, sich jedoch innerhalb
derjenigen Grenzen halten soll, welche die bereits bestehenden oder noch zu erlassenden Ge—
meindeordnungen den Bezirksregierungen und Landräten in Beziehung auf die dem Könige
unmittelbar unterworfenen Gemeinden vorschreiben. Die für die hier in Betracht kommenden
Provinzen Westfalen und Rheinland seitdem ergangenen Gemeindegesetze! haben dem-
nächst die Festsetzung getroffen, daß die anderweitige Regulierung der Verhältnisse der
vormals unmittelbaren deutschen Reichsstände in Beziehung auf die in ihren vormaligen
reichsunmittelbaren Gebieten gelegenen Stüdte, Gemeinden und Amter besonderer könig-
licher Verordnung vorbehalten bleiben solle. Eine solche Verordnung ist nun zwar
bis jetzt nicht erlassen worden, wohl aber ist einigen Standesherren in den mit denselben
seitens der Staatsregierung errichteten Verträgen das Aufsichtsrecht über die Gemeinden
des standesherrlichen Bezirks und die Mitwirkung bei der Ernennung oder Bestätigung
der Gemeindevorsteher, der Bürgermeister und der Beigeordneten beigelegt worden.?
Die standesherrliche Polizeiverwaltung ist nunmehr allenthalben be-
unterer den Bürgermeistern Üübertragen werden
sollen. In dem Vertrage mit dem Fürsten zu
Solms-Braunfels ist diesem auch das Recht wieder
eingeräumt worden, Polizeistrafen, welche in Geld
bestehen und von den fürstlichen Behörden fest-
gesetzt und erhoben werden, zu mildern oder zu
erlassen, worauf dagegen der Fürst zu Wied ver-
zichtet hat. Da dies Recht nicht durch die Bun-
desgesetzgebung, sondern lediglich durch die Instr.
v. 30. Mai 1820 (§. 48) begründet war, so ist
die Wiederherstellung desselben auf Grund des G.
v. 10. Juni 1854 nicht statthaft gewesen, und zwar
um so weniger, als nach Art. 49 der Verf. Urk.
nur dem Könige das Recht der Begnadigung und
Strafmilderung zusteht und die Begnadigung ein
Hoheitsrecht ist, welches Privatpersonen nicht über-
tragen werden darf (vgl. Twesten in dem Aufs.
in den d. Jahrb., Bd. VIII (1863), S. 201,
und den Komm. Ber. v. 16. Jan. 1864, S. 25
—26, in den Drucks. d. Abg. H. 1864, Nr. 101,
und in den Stenogr. Ber. des Abg. H. 1863—64,
Bd. IV,. Aktenst. Nr. 71, S. 588—589). Der
Beschl. des Abg. H. v. 9. Mai 1865 (Stenogr.
Ber. 1865, Bd. II. S. 1406) hat dies auch
ausdrücklich ausgesprochen.
1 Vgl. die St. O. und die L. G. O. für
die Provinz Westfalen v. 19. März 1856, 88. 85
u. 87 (G. S. 1856, S. 292 u. 264), desgl.
die St. O. für die Rheinprovinz v. 15. Mai
1856, §. 94 (G. S. 1856, S. 434), und
das G. v. 15. Mai 1856, Art. 3 (G. S. 1856, S.
435), sowie die rhein. G. O. v. 23. Juli
1845, §§. 5 u. 118 (G. S. 1845, S. 523 ff.).
* Dies ist in den oben erwähnten Verträgen
mit den Fürsten zu Wied und zu Solms--Braun-
sels (§. 9 der Verträge) geschehen. Dem Fürsten
zu Solms-Hohensolms-Lich ist dagegen in dem
Rezeß v. 22. Juli 1862 (Amtsbl. der Regier.
zu Koblenz für 1863), S. 6, Lit. a nur das
Recht vorbehalten, in den (nach §. 8 des Rezesses)
aus seinen Domänen zu bildenden Kommunalver=
bänden die Gemeindevorsteher zu ernennen, wo-
gegen die Ernennung, resp. Bestätigung aller
übrigen Kommunal= und Polizeibeamten in der
Grafschaft durch die ressortmäßige Staatsbehörde
erfolgt, welche sich jedoch vor Ernennung resp.
Bestätigung der Bürgermeister und Beigeordneten,
sowie der Gemeindevorsteher und deren Stellver-
treter, des Einverständnisses des Fürsten versichern
muß. Der Art. XIV der d. Bundesakte hat
ein solches Recht nicht gewährt. Die Staats-
regierung hat sich indes darauf berufen, daß das
Aufsichtsrecht über die Gemeinden nach damaliger
publizistischer Theorie und Terminologie als ein
Teil der (durch die Bundesakte garantierten) Orts-
polizei betrachtet sei, und daß auch in Bayern
eine Deklaration v. 26. Mai 1818 die bayerische
Verordn. v. 19. März 1807 dahin ausgelegt
habe. Dieser Ausführung ist indes entgegenge-
stellt worden (vgl. Twesten in dem Auff. in
den d. Jahrb., Bd. VIII (1863). S. 202, u.
den Komm. Ber. v. 16. Jan. 1864, S. 26—27,
in den Drucks. des Abg. H. 1864, Nr. 101, und
in den Stenogr. Ber. desselben 1863—64, Bed.
IV, Aktenst. Nr. 71, S. 589), daß nicht bloß
die Gem. O. und die St. O. vom 15. Mai
1856, sondern auch die rheinische G. O. v.
14. Juli 1845 nur eine Aufsicht, Genehmigung
und Bestätigung der Staatsbehörden kennen, und
daß ein Hinausgehen über den strengen Sinn
der Bundesakte hier mit Rücksicht auf die Beein-
trächtigung, welche die kommunale Selbständig-
keit dadurch erleidet, durchaus unstatthaft sei.
Das Haus der Abg. hat in dem Beschl. v. 9.
Mai 1865 (Stenogr. Ber. 1865, Bd. II, S.
1408) angenommen, daß die Wiederherstellung
der standesherrl. Aufsicht über die Gemeinde-
verwaltung, sowie die Genehmigung, Bestätigung
oder Ernennung von Gemeindebeamten, dem
G. v. 10. Juni 1854 nicht entsprechend sei. —
Vgl. über die Frage auch den Ber. der Komm.
des Abg. H. für das Gemeindewesen v. 15. Febr.
1861, in den Drucks. des Abg. H. 1861, Bd. II,
Nr. 40, S. 15—17, u. in den Stenogr. Ber.
desselben 1861, Bd. IV, S. 233—234 und die
Verhandl. darüber in der Plenarsitz. des Abg. H.
v. 21. Febr. 1861 (Stenogr. Ber. 1861, S. 251
—259).