Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die Behörden für die Ausübung der ordentlichen Gerichtsbarkeit. 
G. V. G., §. 137, welcher bestimmt: Will in einer Rechtsfrage ein Zivilsenat von 
der Entscheidung eines anderen Zivilsenats oder der vereinigten Zivilsenate, oder ein 
Strafsenat von der Entscheidung eines anderen Strafsenats oder der vereinigten Straf- 
senate abweichen, so ist über die streitige Rechtsfrage im ersteren Falle eine Entscheidung 
der vereinigten Zivilsenate, im letzteren Falle eine solche der vereinigten Strafsenate ein- 
zuholen (Abs. 1). Einer Entscheidung der Rechtsfrage durch das Plenum bedarf es, wenn 
ein Zivilsenat von der Entscheidung eines Strafsenats oder der vereinigten Strassenate, 
oder ein Strafsenat von der Entscheidung eines Zivilsenats oder der vereinigten Zivil- 
senate, oder ein Senat von der früher eingeholten Entscheidung des Plenums abweichen 
will (Abs. 2). Die Entscheidung der Rechtsfrage durch die vereinigten 
Senate oder das Plenum ist in der zu entscheidenden Sache bindend. Sie 
erfolgt in allen Fällen ohne vorgängige mündliche Verhandlung (Abs. 3). Vor der Ent- 
scheidung der vereinigten Strafsenate oder derjenigen des Plenums, sowie in Ehe= und 
Entmündigungssachen und in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechts- 
verhältnisses zwischen Eltern und Kindern oder die Anfechtung einer Todeserklärung zum 
Gegenstande haben, ist der Oberreichsanwalt mit seinen schriftlichen Anträgen zu hören 
(Abs. 4). Soweit die Entscheidung der Sache eine vorgängige mündliche Verhandlung 
erfordert, erfolgt dieselbe durch den erkennenden Senat auf Grund einer erneuten münd- 
lichen Verhandlung, zu welcher die Prozeßbeteiligten von Amts wegen unter Mitteilung 
der ergangenen Entscheidung der Rechtsfrage zu laden sind (Abs. 5). Zur Fassung von 
Plenarentscheidungen und von Entscheidungen mehrerer vereinigter Senate ist die Teil- 
nahme von mindestens zwei Dritteilen aller Mitglieder mit Einschluß des Vorsitzenden 
erforderlich.! Die Zahl der Mitglieder, welche eine entscheidende Stimme führen, muß 
eine ungerade sein; ist die Zahl der anwesenden Mitglieder eine gerade, so hat derjenige 
Rat, welcher zuletzt ernannt ist, und bei gleichem Dienstalter derjenige, welcher der 
Geburt nach der jüngere ist, oder, wenn dieser Berichterstatter ist, der nächstältere kein 
Stimmrecht.: Die Verteilung der Geschäfte unter die Senate, die Bestimmung der 
Mitglieder für die einzelnen Senate, die Anordnung der Stellvertretung usw. geschieht 
nach den für die Landgerichte gegebenen Vorschriften. Das Präsidium besteht aus 
dem Präsidenten, den Senatspräsidenten und den vier ältesten Mitgliedern." Die Zu- 
ziehung von Hilfsrichtern ist unzulässig. 
2. Das Reichsgericht ist zuständig: 
a) in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zur Verhandlung und Entscheidung über die 
Rechtsmittel: aa) der Revision gegen die in der Berufungsinstanz von den Oberlandes- 
gerichten erlassenen Endurteile"; bb) der Beschwerde gegen Entscheidungen der Ober- 
landesgerichte.“ Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung 
auf der Verletzung eines Reichsgesetzes oder eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich 
über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, beruht.* Außerdem liegt 
. 101.) 675 
  
1 § 139, Abs. 1 a. a. O. 7 §. 135, Ziff. 2 des D. Gerichtsverf. Ges. — 
2 F. 139, Absf. 2 a. a. O. Gegen eine Entscheidung, welche das Oberlandes- 
2 S. 133 a. a. S.“ gericht als Beschwerdegericht erlassen hat, findet 
4 §. 133 a. a. O. 
5 §. 134 a. a. O. 
* F. 135, Abs. 1 a. a. O.; §. 545 ff. Zivilprozeß- 
O. — Zn Rechtsstreitigkeiten über vermögensrecht- 
liche Ansprüche ist die Zulässigkeit der Revision 
durch einen den Betrag von 2500 Mark über- 
steigenden Wert des Beschwerdegegenstandes be- 
dingt, insoweit es sich nicht um die sachliche Un- 
zuständigkeit des Gerichts oder die Unzulässigkeit 
des Rechtswegs oder die Unzulässigkeit der Be- 
rufung handelt, oder der Rechtestreit einen An- 
spruch betrifft, für welchen die Landgerichte ohne 
Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes 
ausschließlich zuständig sind: S§. 516, 547 Zivil- 
prozeß-O., in der Fasfung des Geseues v. 5. Juni 
1905 (R. G. Bl., S. 536). 
  
eine weitere Beschwerde nur statt, soweit in der- 
selben ein neuer selbständiger Beschwerdegrund 
enthalten ist (§. 568, Abs. 2 der D. Zivilprozeß- 
O.). Gegen die in betreff der Prozeßkosten er- 
lassenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist 
eine Beschwerde nicht zulässig; §. 567, Abs. 2 
(Nov. v. 5. Juni 1905). 
*s Zivilprozeß= O., §. 549; s. über die reichs- 
staatsrechtliche Bedeutung dieses Satzes Laband, 
Bd. III. S. 382 ff. und die dort zitierte Literatur. 
Von dieser Bestimmung läßt jedoch Art. 6 des 
Einführ. Ges. zur D. Zivilprozeß-O. Ausnahmen 
zu. Vgl. die auf Grund desselben erlassene kaiserl. 
Verordnung v. 28. Sept. 1879 (R. G. Bl. 18770, 
S. 299) verbunden mit der Bekanntmachung v. 
11. April 1880 (R. G. Bl. 18830, S. 102), 
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