Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die Rechtsanwaltschaft. (8. 104.) 695 
und, wenn sie sich von demselben über eine Woche entfernen wollen, für ihre Stellver- 
tretung sorgen, auch dem Vorsitzenden des Gerichts, bei welchem sie zugelassen sind, sowie 
dem Amtsgerichte, in dessen Bezirk sie ihren Wohnsitz haben, Anzeige machen und den 
Stellvertreter benennen (§§. 18, 29 a. a. O.). Sie sind nicht verpflichtet, Aufträge anzu- 
nehmen, wohl aber, die Ablehnung ohne Verzug zu erklären und in bestimmten Fällen 
ihre Berufstätigkeit zu versagen (§. 30, 31 a. a. O.). Da aber für gewisse Stücke 
der Rechtspflege ein Rechtsanwalt gesetzlich notwendig ist, kann in be- 
stimmten Fällen durch Befehl des Gerichts einem Rechtsanwalt die Ver- 
tretung einer Partei übertragen werden; die Rechtsanwaltschaft trägt alseo 
in diesem Falle reinen Beamtencharakter.? Hierher gehören folgende Vorschriften: 
1. Rechtsanwälte können armen Parteien zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung 
ihrer Rechte beigeordnet werden, 2. außerdem findet in einer Reihe von Fällen die Bei- 
ordnung eines Rechtsanwalts durch das Gericht statt, welcher die Rechtsanwälte zu 
entsprechen verpflichtet sind (§§. 30—39 a. a. O., §. 105, Nr. 3, 8§. 668, 679, 686 
der Zivilprozeßordnung, §§. 140—144 der Strafprozeßordnung), 3. sie sind auch ver- 
pflichtet, den im Vorbereitungsdienste bei ihnen beschäftigten Referendaren Anleitung und 
Gelegenheit zu praktischen Arbeiten zu geben (§. 40 der Rechtsanwaltsordnung). Für 
ihre Berufstätigkeit beziehen die Rechtsanwälte Gebühren nach der Gebührenordnung v. 
7. Juli 1879 8 und dem preußischen Gesetz v. 27. Sept. 1899.“ 
IV. Die innerhalb des Bezirks eines Oberlandesgerichts zugelassenen Rechts- 
anwälte bilden eine Anwaltskammer, welche ihren Sitz am Orte des Oberlandes- 
gerichts hat.¾ Die Anwaltskammer ist nicht „gewerbliche Innung“, wie Laband sagt, 
sondern staatliche Amtsorganisation unter staatlicher Amtsaufsicht. Die Kammer hat 
einen durch sie selbst auf vier Jahre gewählten Vorstand von neun Mitgliedern, deren 
Zahl durch die Geschäftsordnung bis auf fünfzehn erhöht werden kann. Der Kammer 
liegt ob: die Feststellung der Geschäftsordnung für die Kammer und den Vorstand; die 
Bewilligung der Mittel zur Bestreitung des für die gemeinschaftlichen Angelegenheiten er- 
forderlichen Aufwands und die Bestimmung des Beitrags der Mitglieder; die Prüfung und 
Abnahme der seitens des Vorstands zu legenden Rechnung. Der Vorstand hat die Aufsicht 
bezüglich der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten zu üben und die ehren- 
gerichtliche Strafgewalt zu handhaben; Streitigkeiten unter den Mitgliedern der Kammer 
auf Antrag zu vermitteln; Streitigkeiten aus dem Auftragsverhältnisse zwischen einem Mit- 
gliede der Kammer und dem Auftraggeber auf Antrag des letzteren zu vermitteln; Gutachten, 
welche von dem Justizminister, sowie solche, welche in Streitigkeiten zwischen einem Mit- 
gliede der Kammer und seinem Auftraggeber von den Gerichten erfordert werden, zu er- 
statten; das Vermögen der Kammer zu verwalten und derselben über die Verwaltung 
jährlich Rechnung zu legen. Der Vorstand ist berechtigt, Vorstellungen und Anträge, 
welche das Interesse der Rechtspflege oder der Rechtsanwaltschaft betreffen, an den Justiz- 
minister zu richten. Die Aufsicht über den Geschäftsbetrieb des Vorstands steht dem 
Präsidenten des Oberlandesgerichts zu. Derselbe entscheidet über Beschwerden, welche 
den Geschäftsbetrieb des Vorstands betreffen. Gesetzwidrige Beschlüsse oder Wahlen 
der Kammer oder des Vorstands können von dem Oberlandesgerichte aufgehoben werden. 
Der Vorsitzende der Kammer hat jährlich dem Justizminister und dem Oberlandesgerichte 
über die Tätigkeit der Kammer und des Vorstands einen schriftlichen Bericht zu erstatten 
(§§. 41—61 der Rechtsanwaltsordnung). 
  
eines Gerichts, bei welchem er zugelassen ist, wohn- 
hafte Rechtsanwalt muß jedoch dort einen Zu- 
stellungsbevollmächtigten bestellen (vgl. 8. 18, Abs. 
3, 4, §. 19 der Rechtsanwalts-O.). 
1 Zu dieser Versagung sind sie (nach §. 31 der 
Rechteanwalts-O.) verpflichtet: a) wenn ihre 
Berufstätigkeit für eine pflichtwidrige Handlung 
in Anspruch genommen wird: b) wenn dieselbe 
von ihnen in derselben Rechtssache bereits einer 
anderen Partei im entgegengeseutten Interesse ge- 
  
währt ist, und c) wenn sie dieselbe in einer 
streitigen Angelegenheit gewähren sollen, an deren 
Entscheidung sie als Richter teilgenommen haben. 
: S. über die prinzipielle Bedeutung dieser 
Vorschriften auch Laband, Rd. III, S. 433 f. 
* R. G. Bl. 1879, S. 176. 
* G. S. 1899, S. 317; neue Fassung des Ge- 
setzes: G. S., S. 325, 381. 
5 Laband, Bd. III, S. 435 ff. 
* Vgl. hierüber S. 734.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.