Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die besonderen Zivilgerichte. (8. 105.) 699 
b) Austrägalgerichte für das Verfahren gegen Standesherren. Da der 8.7 
des Einführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze vorgeschrieben hat, daß 
das landesgesetzlich den Standesherren gewährte Recht auf Austräge durch das Ge- 
richtsverfassungsgesetz nicht berührt wird, so wird hierdurch die fernere Zulassung solcher 
Austrägalgerichte reichsgesetzlich anerkannt. Diese Austrägalinstanz besteht übrigens nur 
für die Standesherren selbst, d. i. die Häupter der standesherrlichen Familien, nicht aber 
für die Übrigen Mitglieder der letzteren, und es bleibt nur das zur Zeit des Inkraft- 
tretens des Gerichtsverfassungsgesetzes bereits gewährte Recht auf Austräge von dem Ge- 
richtsverfassungsgesetze unberührt, wogegen nach jenem Zeitpunkte die Landesgesetzgebung 
ein solches Recht weder gewähren, noch erweitern, dasselbe also insbesondere auch nicht 
auf Straffälle ausdehnen darf, für welche es bisher nicht bestand. Das „Recht auf 
Austräge“ bedeutet: durch Richter ihres Standes gerichtet zu werden und die Standes- 
herren haben dies Recht „i#n peinlichen Fällen“, also für das Gesamtgebiet der Straf- 
gerichtsbarkeit?; der reichsgesetzliche Vorbehalt ist für Preußen ausgefüllt durch Verord- 
nung v. 12. Nov. 1855, §. 3 in Verbindung mit Instruktion v. 30. Mai 1820, S. 17.3 
Aus der Bestimmung des §. 14 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes, daß die 
in demselben aufgeführten Sondergerichte zugelassen werden, ergibt sich von selbst, daß 
nur die im §. 14 aufgezählten besonderen Gerichte noch bestehen bleiben dürfen, dagegen 
alle anderen besonderen Gerichte aufgehoben sind. Als besondere Gerichte mit Recht- 
sprechung in streitigen Justizsachen, welche von der Aufhebung betroffen wurden, sind an- 
zusehen: a) die Universitätsgerichte, selbstverständlich jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als 
Disziplinarbehörden, b) die Berggerichte mit Gerichtsbarkeit in Rechtsstreitigkeiten, c) die 
besonderen Gerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Schiffer und Schiffsvolk", 
und d) der mit dem Kammergerichte verbundene, durch das Gesetz v. 25. April 18535 
gegründete Gerichtshof für die Untersuchung und Entscheidung wegen der Staatsverbrechen, 
dessen Funktionen zufolge §. 136, Ziffer 1 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes in 
allen Fällen des Hoch= und Landesverrats gegen den Kaiser oder das Reich auf das 
Reichsgericht übergegangen sind.? 
Das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz hat sich auf die Ordnung der gemeinsamen 
Bestimmungen darüber, wie in Deutschland die Zivilgerichtsbarkeit zu üben ist, beschränkt, 
weshalb der §. 7 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze ausdrücklich be- 
stimmt, daß die Militärgcrichtsbarkeit durch dasselbe nicht berührt wird.' In dieser Be- 
ziehung hat aber das Reichsmilitärgesetz v. 2. Mai 1874, §. 39, Abs. 13 bestimmt, 
  
1 Selbstverständlich bezieht sich dieser zugunsten] Entscheidung zuständig sind, wenn es sich um eine 
der „Standesherren“ gemachte Vorbehalt nur auf 
die mittelbar gewordenen, vormals reichsständi- 
schen deutschen Reichsfürsten und Grafen im 
Sinne des Art. XIV der Deutschen Bundesakte. 
Vgl. oben. §.51, S. 49. Dagegen ist derjenige privi- 
legierte Gerichtöstand der Standesherren, welcher 
die ordentliche Gerichtsbarkeit berührt, insofern 
landesgesetzlich die Standesherren ihren Gerichts- 
stand vor den höheren ordentlichen Gerichten hatten. 
durch das Gerichtsverfassungsgesetz ausgehoben 
worden. (Vgl. die Begründung des §. 6 des 
Entw. des Einführ. Ges. zum Gerichtsverfassungs- 
gesetze in den Stenogr. Ber. des Reichst. 1874—75, 
Bd. III, Aktenst. Nr. 4, S. 99, Sp. 1 und die 
Begründung des §. 9 des Entw. zum Gerichts- 
verfassungsgesetze ebendas., S. 35.) Somit stehen 
künftig, insoweit nicht das Austrägalverfahren 
eintreten kann, auch die Standesherren unter der 
Gerichtsbarkeit der Landgerichte und der Amts- 
gerichte. Im Falle des Austrägalverfahrens aber 
stehen diesenigen Amtsverrichtungen, welche bis- 
her den oberen Gerichten zustanden, insbesondere 
die Führung der Voruntersuchung, fortan nur 
den Amtsgerichten beziehungsweise den Landge- 
richten zu, welche auch für die Untersuchung und 
  
Svwaftat handelt, welche landesgesetzlich dem Aus- 
trägalverfahren entzogen ist, oder wenn der Standes- 
herr, sofern ihm landesrechtlich die Wahl zwischen 
dem Austrägalverfahren und dem ordentlichen Ver- 
fahren zusteht, das letztere erwählt. (Vgl. Löwe- 
Hellweg, Kom. zur Strafprozeß-O., S. 12.) 
2 Dies ergibt sich zwingend aus den von La- 
band, Bd. III, S. 371 f. mitgeteilten Materialien. 
3 Vgl. dazu oben, S. 49. 
4 S. hierüber die Vorschriften in der See- 
manns-O. v. 2. Juni 1902 mit der Novelle v. 
12. Mai 19041 (R. G. Bl., S. 167), §. 128 ff. Die 
hier vorgesehene Entscheidung durch die Seemanns- 
ämter erfolgt immer mit Sorbetalt. des Rechtsweges. 
5 Vgl. G. S. 1853, S. 162. 
* Die Begründung #n Entw. des D. Ge- 
richtsverf. Ges. in den Stenogr. Ber. des Reichst. 
1874—75, Bd. III, Aktenst. Nr. 8, S. 73. 
7* Diese Bestimmung bezieht sich übrigens nur 
auf die für das Heer und die Marine bestehen- 
den eigentlichen Militärgerichte, wogegen in be- 
treff der in Ausnahmezuständen stanhaften Kriegs- 
gerichte oder Standgerichte der §. 16 des Gerichts- 
verfassungsgesetzes bestimmt. 
* Vgl. R. G. Bl. 1874, S. 56.
	        
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