Gesetzlich bevorzugte Staatsbürger. (§. 51.) 61
Anwendung auf diejenigen Mediatisierten, welche erst im Jahre 1866 der preußischen
Monarchie einverleibt worden sind. Die staatsrechtlichen Verhältnisse dieser letzteren
sind daher durch die mit dem 1. Okt. 1867 ohne Einschränkung und nur unter Vor-
behalt künftiger Abänderungs-, Zusatz= und Ausführungsgesetze erfolgte Einführung der
preußischen Verfassung v. 31. Jan. 1850 dieser Verfassung gegenüber in diejenige Lage
getreten, in welcher sich die in den Jahren 1815 und 1850 dem Preußischen Staate
einverleibten Mediatisierten vor Erlaß der Deklaration v. 10. Juni 1854 befanden. Es
sind also, zufolge Art. 109 der Verfassungsurkunde, die in betreff dieser Mediatisierten
ergangenen Gesetze und Verordnungen nur bis zum 1. Okt. 1867 unbedingt, von diesem
Zeitpunkte ab dagegen nur insoweit in Kraft geblieben, als sie der Verfassung nicht zu-
widerlaufen. Aus diesem Standpunkte sind daher in den im Jahre 1866 inkorporierten
Ländern und Gebieten die bis zum 1. Okt. 1867 dort in Kraft verbliebenen Normen
über die staatsrechtlichen Verhältnisse der jenen Landesteilen angehörigen vormals un-
mittelbaren deutschen Reichsfürsten und Grafen zu beurteilen. Es kommt indes hierbei
in Betracht, daß ein erheblicher Teil der diesen Fürsten und Grafen zugestandenen Vor-
rechte, welche an und für sich mit den Prinzipien der Verfassung v. 31. Jan. 1850
unvereinbar sind 2, sich auf die Bestimmungen des Art. XIV der Deutschen Bundesakte
v. 8. Juni 1815 gründet, und daß, ungeachtet der Auflösung des Deutschen Bundes, die-
jenigen Bestimmungen der Bundesakte nicht ihre Anwendbarkeit verloren haben, welche sich
auf die Anerkennung der Rechte beziehen, die den Mediatisierten in Art. XIV zugesichert
worden waren. Daher können die standesherrlichen Rechte, wie sie auf Grund des
Art. XIV der Bundesakte in den zur Ausführung desselben erlassenen Edikten und Ver-
ordnungen und getroffenen Vereinbarungen der einzelnen Staaten festgestellt worden sind,
durch die Auflösung des Deutschen Bundes allein nicht als erloschen betrachtet werden;
vielmehr beruhen sie auf ihrem eigenen historischen Fundamente, dem Rechtszustande der
ehemaligen Reichsstände zur Zeit des Reiches, und sind auf dieser Rechtsgrundlage mit
den von den jetzt souveränen Einzelstaaten für notwendig erachteten Beschränkungen all-
gemein anerkannt worden, welche Anerkennung einen selbständigen, von dem Fortbestande
des Bundes unabhängigen Rechtstitel bildet 3; die standesherrlichen Rechte beruhen somit
heute juristisch lediglich auf Landesrecht. Dieses Landesrecht der untergegangenen Staaten
teilte an sich das Schicksal der Staaten selbst; bei Einführung der preußischen Verfassung
wurde ein besonderer Vorbehalt für dieses Recht nicht gemacht, auch die Deklaration v.
10. Juni 1854 auf die neuen Landesteile nicht ausdrücklich ausgedehnt; wohl aber wurde
durch §. 2 des Gesetzes v. 20. Sept. 1866 (G. S. 255) der Erlaß der „notwendigen
Abänderungs-, Zusatz= und Ausführungsbestimmungen“ zur Verfassung für die neuen
Landesteile vorbehalten; auf diesem Wege der speziellen Rechtssetzung mußten demgemäß
diese Verhältnisse in den neuen Provinzen ihre Ordnung finden und zu dieser spezial-
rechtlichen Ordnung — analog der Deklaration v. 10. Juni 1854 — war allerdings
Preußen auf Grund von Art. XIV der Bundesakte auch den neuerdings unter seine
Herrschaft gekommenen Standesherren gegenüber verpflichtet."
1 A. A. Bornhak I1, S. 305, der das Einleitung in das d. St. R., Leipzig 1867,
G. v. 10. Juni 1854 auch für die Mediatisierten
in den neuen Provinzen gelten läßt. Erhebliche
praktische Bedeutung wird die Frage nicht haben.
* Insbesondere mit den Grundsätzen der Art.
4, 42, 86 u. 101 der Verf. Urk.
s S. dazu auch VI, S. 15 f. Vgl. ins-
besondere H. A. Zachariä, Uber den territo-
rialen Umfang der standesherrl. Vorrechte in
Deutschland, 1867, 2. Aufl.; Zöpfl, Neueste
Angriffe auf die staatsrechtl. Stellung der Stan-
desherren, 1367, S. 181 ff.; Augsburger allgem.
Zeit., 1866. Beil. Nr. 312, 313, 317, 318; die
Stellung der deutschen Standesherren, von dem-
selben ungenannten Verfasser, 1868, S. 15 ff., u.
2. Aufl., Berlin 1870, S. 26 ff.; H. Schulze,
S. 402.
“ Vgl. die Verhandl. des Abg. H. 1868—69,
Bd. I, S. 336 ff., besonders die Rede des Abg.
Roscher, S. 337—341 (Sitz. v. 30. Nov. 1868).
Die ebendas. S. 336—337 von dem Abg.
Windthorst (Meppen) vorgetragenen Ansichten
widersprechen dem Wortlaute der Dekl. v. 10.
Juni 1854, welche auf die Standesherren der
im Jahre 1366 inkorporierten Gebiete formell
nicht ausgedehnt wurde. Durch die Einver-
leibungsgesetze v. 20. Sept. u. 24. Dez. 1866
ist die preuß. Verf. v. 31. Jan. 1850 unbe-
dingt und ohne die Dekl. v. 10. Juni 1354
in den einverleibten Ländern eingeführt worden;
die Geltung der Deklaration in den neuen Pro-