Die besonderen Zivilgerichte. (8. 105.) 703
D. Die Gewerbegerichte.!
I. Der §. 14, Nr. 4 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes läßt Gewerbe-
gerichte als besondere Gerichte? zu; es bestanden solche indes zur Zeit des Er-
lasses des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes für Preußen nur in dem Bezirke des Ober-
landesgerichts zu Cöln.s In diesem Bezirke hatten schon vor der Emanation der
Verfassungsurkunde solche Gerichte bestanden."“ Dieselben beruhten auf der napoleonischen
Gesetzgebung, nämlich auf dem Gesetze v. 18. März 1806 und den Dekreten v. 11. Juni
1809, 3. Aug. 1810 und 17. Dez. 1811, deren Bestimmungen indes durch die Ver-
ordnung v. 7. Aug. 1846 abgeändert und ergänzt worden waren. Sie führten früher
die Bezeichnung „Fabrikgerichte“ und „Räte der Gewerbeverständigen (conseils de
prud'hommes)“; durch die Verordnung v. 7. Aug. 1846 war ihnen die Bezeichnung
„Königliche Gewerbegerichte“ beigelegt worden. Sie waren dazu bestimmt, Streitigkeiten
zwischen Fabrikanten, Werkmeistern, Handwerkern und Gesellen, Lehrlingen und Arbeitern
im Wege der Sühne zu schlichten, und wenn dies nicht geschehen konnte, durch Urteil
zu entscheiden. Sie hatten außerdem für die Feststellung des Tatbestandes zu sorgen,
wenn strafbare Handlungen gegen die Gewerbepolizei, Veruntreuungen von Arbeitsstoffen
oder Gerätschaften durch Arbeiter, oder wenn fälschliche Warenbezeichnungen oder Nach-
ahmungen von „Desseins“ (Zeichnungen von Stoffen) oder von Fabrikzeichen für Eisen-
und Stahlwaren " zu ihrer Kenntnis gelangten. Es bestanden bei ihnen gesetzliche Ein-
richtungen, um das Eigentum an Desseins, sowie die Feststellung der Schuldverhältnisse
zwischen Fabrikanten und Werkmeistern zu sichern. Sie waren ferner befugt, Störungen
der Ruhe und Ordnung in den Werkstätten und jedes gröbliche Verfahren der Lehrlinge
gegen ihre Meister mit einer Gefängnisstrafe bis zu drei Tagen zu ahnden. — Die Ge-
werbegerichte waren an denjenigen Orten, wo das Bedürfnis es erforderte, auf Antrag
der Handelskammern nach vernommenem Gutachten der Regierung errichtet worden; es
bestanden elf solche Gerichte in der Rheinprovinz, nämlich in Aachen, Barmen, Cöln,
Krefeld, Düsseldorf, Elberfeld, Lennep, Mühlheim am Rhein, Remscheid, Solingen und
München-Gladbach.' Diese Gewerbegerichte wurden gebildet aus Fabrikanten (negotiants
tabricants), Werkmeistern und Handwerkern. Die Zahl der Mitglieder und die Art der
Zusammensetzung war für jedes Gericht nach dem örtlichen Bedürfnisse durch Reglements
besonders bestimmt. Die Zahl der Fabrikanten mußte gesetzlich die der Werkmeister und
Handwerker übersteigen. Die Mitglieder wurden jährlich in einer Versammlung der
Fabrikanten, Werkmeister und Handwerker des Bezirks unter dem Vorsitze eines Depu-
tierten der Regierung gewählt. Die Stimmberechtigung und die Wählbarkeit war durch
einen bestimmten jährlichen Steuersatz bedingt; nur solche Personen, welche mindestens
30 Jahre alt waren und wenigstens seit sechs Jahren das Gewerbe der Fabrikanten,
Werkmeister oder Handwerker betrieben hatten, waren wählbar. In jedem Jahre schied
der dritte Teil aus und es erfolgte dafür eine neue Wahl. Die Regierung hatte die
Wahlen zu prüfen; nach erfolgter Bestätigung leisteten die Gewählten den Eid in die
Hände eines Kommissars der Regierung. Die Mitglieder wählten aus sich einen Prä-
1 Vgl. G. Eberty, Die Gewerbegerichte und
das gewerbliche Schiedsgerichtswesen in ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung und ihrem gegenwärtigen
Stande (Berlin, 1869); Stieda in Conrads
Handwörterb. d. Staatswiss., Bd. III, S. 950 ff.,
ders.: Das Gewerbegericht (1890). Kommentare
von Haas (2. Aufl.), Hirsekorn, Mugdan-
Cuno (5. Aufl.), v. Schulz, Wilhelmi-Bewer
(2. Aufl.).
Uber die allgemeinen Gesichtspunkte dieser
Sondergerichtsbarkeit s. Stieda in Conrads
Handwörterb., Bd. III, S. 951; über fremde, be-
sonders die französische und österreichische Gesetz-
gebung ebenda, S. 956 ff
2 Die früher bestandenen Fabrikengerichtsdepu-
tationen in Westfalen sind durch den §. 12, Nr. 2
des Ausführ. Ges. v. 24. April 1878 zum D.
Gerichtsverf. Ges. aufgehoben, nachdem sie tatsäch-
lich schon längere Zeit nicht mehr in Tätigkeit
gewesen waren.
4 Vgl. über dieselben: Starke, Beiträge zur
Kenntnis der besteh. Gerichtsverfassung, Tl. I,
8. 80, S. 233 ff., Meißner, Die Fabriken-
gerichte in Frankreich (Leipzig, 1846), Stieda
bei Conrad, Handwörterb., Bd. III, S. 952.
5 G. S. 1846, S. 403.
* Ugl. in dieser Beziehung die Verordnung v.
18. Aug. 1847 zum Schutze der Fabrikzeichen an
Eisen= und Stahlwaren in der Provinz West-
falen und der Rheinprovinz (G. S. 1347, S. 335)
und G. v. 24. April 1354 (G. S. 1854, S. 213).
7 Die Gewerbegerichte in Remscheid und So-
lingen zur Sicherung des Eigentums an Fabrik-=
zeichen von Eisen- und Stahlwaren oder deren