Die besonderen Zivilgerichte. (8. 105.) 705
höchste Erlasse aus den Jahren 1849—1851 errichtet worden, namentlich in Magde-
burg, Wernigerode, Halle, Stettin, Breslau, Schwedt, Minden, Liegnitz, Görlitz, Ratibor,
Sagan; sie haben indes den gehegten Erwartungen nicht entsprochen und sind nach und nach
sämtlich wieder eingegangen.1
III. Der F. 108 der Reichsgewerbeordnung v. 21. Juni 1869 hatte die bestehenden
Gewerbegerichte aufrecht erhalten, in Ermangelung solcher aber den Gemeinde-
behörden die Entscheidung gewerblicher Streitigkeiten, unter Vorbehalt der Berufung
auf den Rechtsweg, übertragen, und daneben die Möglichkeit gewährt, daß durch
Ortsstatut aus Laien bestehende gewerbliche Schiedsgerichte errichtet werden können.?
Da indes die Erfahrung ergab, daß diese Bestimmungen der Gewerbeordnung dem
Zwecke, eine sachgemäße und schleunige Entscheidung der zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern entstehenden Streitigkeiten zu sichern, nicht genügten, und daß nament-
lich die errichteten „Schiedsgerichte“ nicht den Erwartungen entsprachen, so wurde dem
Reichstage der Entwurf eines Gesetzes, betreffend einige Abänderungen der Gewerbeord-
nung 3, vorgelegt, wonach der §. 108 der Gewerbeordnung durch anderweitige Bestim-
mungen ersetzt werden sollte. Dieser Gesetzentwurf wollte, unter Beseitigung der
„Schiedsgerichte“, besondere „Gewerbegerichte“ einführen, welche durch die Zentralbehörden
an Stelle der bestehenden besonderen Behörden oder der eventuell zur Entscheidung be-
rufenen Gemeindebehörden errichtet werden können und im Anschlusse an die Gerichte
unterster Ordnung gebildet werden, aus einem Richter als Vorsitzenden und aus Bei-
sitzern bestehen sollten, die aus der Zahl der Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Ge-
meindevertretung zu wählen, und deren Entscheidungen endgültig sein sollten. Dieser
Entwurf ist indes nicht zur Beschlußfassung im Reichstage gelangt. Das Deutsche Ge-
richtsverfassungsgesetz hielt, indem es die Gewerbegerichte als besondere Gerichte zuläßt,
die landesgesetzlich bestehenden Gewerbegerichte aufrecht und überließ es den Landesgesetz-
gebungen, solche da, wo sie noch nicht bestehen, einzuführen. Die Reichsregierung hat
demnächst dem Reichstage unterm 13. Febr. 1878 einen anderweitigen Entwurf eines
Gesetzes, betreffend die Gewerbegerichte ", vorgelegt, welcher indes nicht die Zustimmung
des Reichstages erhalten hat." Infolgedessen sind in dem Reichsgesetze v. 17. Juli 1878,
betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung ", die Bestimmungen des §. 108 der
Reichsgewerbeordnung v. 21. Juni 1869 durch diejenigen des §. 120 a des gedachten
Reichsgesetzes v. 17. Juli 1878 ersetzt worden, welcher genau die Bestimmungen des
früheren §. 108 der Gewerbeordnung enthält, wonach die gewerblichen Schiedsgerichte unter
denselben Bedingungen wie bisher fortbestehen sollten und nur einige unwesentliche redaktionelle
Anderungen vorgenommen hatte.7
Ihre endgültige Regelung fand dann die Materie nach langen Erörterungen durch
das bedeutsame Gewerbegerichtsgesetz v. 29. Juli 1890 (R. G. Bl., S. 141),
durch welches eine einheitliche Organisation für das ganze Reich geschaffen ist,
die auszuführen die Einzelstaaten berufen wurden. Eine wesentliche Abände-
rung fand dieses Gesetz durch Gesetz v. 30. Juni 1901 (R. G. Bl., S. 249), und
es wurde dann in neuer Redaktion mit Bekanntmachung v. 29. Sept. Lor (R. G. Bl.,
S. 353) publiziert."* Diese Gesetzgebung ist einer der wichtigsten Bestandteile der neueren
Sozialgesetzgebung.
— •
: Vgl. Jahrbuch der preuß. Gerichtsverfassung,
Tahrg, V (1861), S. 69, Jahrg. IX (1870),
136, Jahrg. XV, S. 85. Note 1.
* Infolge dieser Bestimmung hat der Min.
für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten
durch die Zirk. Erl. v. 4. Okt. 1870 und 31. Juli
1871 (M. Bl. d. i. Verw. 1870, S. 232 und
1871, S. 208) die Regierungen und Landdrosteien
zur Berichterstattung über die Einrichtung von
Schiedsgerichten zur Schlichtung von Streitigkeiten
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern aufgefordert.
* BVgl. diesen Gesetzentw. in den Stenogr. Ber.
des Reichst. 1874, Bd. III„ Aktenst. Nr. 21,
v. Rönne-LZorn, Preuß. Staatsrecht. 5. Aufl. II.
S. 130 ff. Die Komm. des Reichst. hatte über
diesen Entw. den Bericht v. 17. März 1874
Stsnage. Ber. des Reichst. 1874. Aktenst. Nr. 90,
S. 287 ff.) erstattet, in welchem sie in der Haupt-
aache dem Entwurf zugestimmt hatte.
* Stenogr. Ber. des Reichst. 1878, Bd. III,
Nr. 41, der Bericht der Kommission ebenda,
Nr. 10.
5 Stenogr. Ber. 1878, Bd. II, S. 1491 flf.
* R. G. Bl., S. 199.
7 Stenogr. Ber. des Reichst. 1878, Bd. II,
S. 1492.
* Zahlreiche Kommentare, bes. der von Wil-
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