Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

710 Das Staatsbürgerrecht. (8. 105.) 
10. Ausgeschlossen ist die Anwendbarkeit des Gewerbegerichtsgesetzes 
a) auf Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken und Handelsgeschäften, b) auf Arbeiter 
in Betriebsanlagen der Militär= und Marineverwaltung (8. 81) — für alle 
übrigen Staatsbetriebe gilt das Gesetz in vollem Umfange —, c) auf Lehrlinge und 
Arbeiter von Innungen, für welche Innungsschiedsgerichte nach Maßgabe der Gewerbe- 
ordnung bestehen, beziehungsweise die Innungen selbst zuständig zur Entscheidung sind 
[§#. 84 mit a) Gewerbeordnung, §§. 91—91b; b) Gewerbeordnung, §. 81 a, Nr. 4, 
§. 81b, Nr. 41s. . 
E. Die Kaufmannsgerichte. 
Nach dem Muster der Gewerbegerichte und in vielfacher Zugrundelegung der über 
diese ergangenen gesetzlichen Bestimmungen wurden dann ferner noch durch Reichsgesetz 
v. 6. Juli 1904 (R. G. Bl., S. 266)1 Kaufmannsgerichte errichtet. Die für diese be- 
sonderen Gerichte geltenden Vorschriften sind folgende: 
1. Kaufmannsgerichte können bei vorhandenem Bedürfnis für Entscheidung 
von Streitigkeiten aus dem Dienst= oder Lehrverhältnis zwischen Kauf- 
leuten und deren Handlungsgehilfen oder Lehrlingen errichtet werden; in Ge- 
meinden, die mehr als 20000 Einwohner zählen, muß dies geschehen, auch sonst kann 
ausnahmsweise die Errichtung seitens der Landeszentralbehörde angeordnet werden (§. 1, 
Abs. 5). Die Errichtung erfolgt durch Ortsstatut, das binnen sechs Monaten von 
der höheren Verwaltungsbehörde bestätigt werden muß. Die Errichtung kann auch für 
mehrere Gemeinden, sowie für einen höheren Kommunalverband geschehen (8§. 1, 2). 
Auf Handlungsgehilfen, deren Jahresverdienst 5000 Mark übersteigt, und auf Gehilfen 
und Lehrlinge in Apotheken findet das Gesetz keine Anwendung (§. 4). 
2. Die Kaufmannsgerichte bestehen aus einem Vorsitzenden und dessen Stell- 
vertreter, sowie aus mindestens vier gewählten Beisitzern. Vorsitzende und Stell- 
vertreter sollen, falls die Voraussetzungen des §. 11, Abs. 1 gegeben sind, in der Regel 
die gleichen Personen sein, wie bei den an denselben Orten errichteten Gewerbegerichten; 
ebenso sollen Gerichtsschreiberei und Bureaus möglichst die gleichen für beide Arten von 
Gerichten sein (§. 9). 
Die Vorsitzenden oder deren Stellvertreter sollen die Befähigung zum Richteramt 
oder höheren Verwaltungsdienst haben?, dürfen aber weder Kaufleute noch Handlungs- 
gehilfen sein; sie werden vom Magistrat, beziehungsweise von der Gemeindevertretung oder 
von der Vertretung des höheren Kommunalverbands auf mindestens ein Jahr gewählt, 
bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde, außer wenn sie Staats= oder 
Gemeindebeamte sind, oder wenn die Bestätigung bereits für das Gewerbegericht erfolgt 
ist (§. 11). ! 
Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus Kaufleuten, zur Hälfte aus Hand— 
lungsgehilfen bestehen und werden in unmittelbarer und geheimer Wahl je von der 
betreffenden Gruppe gewählt. Die Wahl ist Verhältniswahl derart, „daß neben den Mehr— 
heitsgruppen auch die Minderheitsgruppen entsprechend ihrer Zahl vertreten sind“; die 
Wahl erfolgt auf ein bis zu sechs Jahren, Wiederwahl ist zulässig (§. 12). Wahl- 
berechtigt ist, wer männlichen Geschlechts ist, das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat und 
im Gerichtsbezirke seine Handelsniederlassung hat oder beschäftigt ist §. 13). Kaufleute 
im Sinne dieser Vorschriften sind auch Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften, ein- 
getragenen Genossenschaften, juristischen Personen, die Kaufmannseigenschaft haben, sowie 
die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§. 14). Zum Mitglied 
eines Kaufmannsgerichts können nicht berufen werden: 1. Frauen, 2. Ausländer, 3. Per- 
sonen, welche öffentliche Amter gemäß strafgerichtlichem Urteil nicht bekleiden können, 4. Per- 
sonen, gegen die das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, 
das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffent- 
licher Amter zur Folge haben kann, 5. Personen, welche durch gerichtliche Anordnung in 
  
1 Erläutert von G. von Meyren. Berlin, 1 Für die Gewerbegerichte enthält das Geses 
Heymanns Verlag, 1905. keine derartige Vorschrift.
	        
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