Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

714 Das Staatsbürgerrecht. (8. 105.) 
Gerichtsbarkeit hat, untersteht es als „besonderes“ Gericht dem Amtsgericht 1, im übrigen 
lediglich der vorgesetzten Verwaltungsbehörde. Als „.gehörig besetzt“ gilt das Dorf- 
gericht, wenn neben dem Schulzen zwei Schöffen oder ein Schöffe und ein vereideter 
Gerichtsschreiber mitwirken.? 
Die analogen, ziemlich vielgestaltigen Einrichtungen im Westen der Monarchie? 
wurden als Organe der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufgehoben durch Art. 119 des Ge- 
setzes v. 21. Sept. 1899, dafür aber gestattet, daß durch königliche Verordnung Orts- 
gerichte zum gleichen Zwecke eingerichtet würden in folgenden Landesteilen: 1. in den 
Hohenzollernschen Landen, 2. im vormaligen Herzogtum Nassau, 3. in den vormals 
großherzoglich hessischen Gebietsteilen, 4. in dem vormals landgräflich hessischen Bezirke 
Homburg, 5. im Gebiete der vormals freien Stadt Frankfurt, 6. in den vormals kur- 
hessischen Teilen des Oberlandesgerichtsbezirks Frankfurt, 7. im Bezirke des ehemaligen 
Justizsenats Ehrenbreitstein." 
Von dieser gesetzlichen Befugnis wurde Gebrauch gemacht durch die königliche Ver- 
ordnung v. 20. Dez. 1899 (G. S., S. 640). Die durch diese Verordnung geschaffenen 
Ortsgerichte gehören zu den Oberlandesgerichtsbezirken Kassel und Frankfurt und sind, 
soweit sie gemeinsam für mehrere Gemeinden sind, in der der Verordnung beigegebenen 
Anlage B (G. S., S. 650 ff.) einzeln aufgezählt (Landgerichtsbezirke Neuwied, Hechingen, 
Limburg a. d. L., Wiesbaden, Marburg); außerdem wird im Oberlandesgerichtsbezirk 
Frankfurt sowie in den vormals großherzoglich hessischen Landesteilen des Oberlandes- 
gerichtsbezirks Kassel in jeder Gemeinde ein Ortsgericht gebildet, ausgenommen die 
Amtsgerichtssitze und die im §. 2 der Verordnung einzeln aufgezählten Gemeinden. 
Diie Ortsgerichte bestehen aus dem Ortsgerichtsvorsteher — in der Regel dem Ge- 
meindevorsteher, eventuell einer anderen von der Gemeinde präsentierten Person (§. 6, 
Abs. 2 der Verordnung) — und drei ortskundigen Gerichtsmännern, gleichfalls nach Vor- 
schlag der Gemeinde, deren Zahl auch auf fünf erhöht werden kann (§F. 5); der Vor- 
steher wird vom Landgerichtspräsidenten, die Gerichtsmänner vom Amtsgericht ernannt 
im Einvernehmen mit der Gemeindeaufsichtsbehörde (§. 6). Die Mitglieder des Orts- 
gerichts leisten den Diensteid (§. 9). Die Geschäfte des Ortsgerichts werden vom Vor- 
steher erledigt, insoweit nicht — §. 10, Abs. 2 und 3, §. 11 — die Zuziehung von 
Gerichtsmännern, sei es allgemein, sei es durch besondere Anordnung des Amtsgerichts, 
angeordnet ist (§. 10, Abs. 1). Die Ortsgerichte stehen unter der Dienstaufsicht des 
Amtsgerichts, dem ein Disziplinarstrafrecht — Rüge, Verweis, Geldstrafe bis 100 Mark — 
zusteht nach näherer Maßgabe des §. 13 der Verordnung. Die Berufung der Mit- 
glieder des Ortsgerichts ist jederzeit widerruflich (§. 14). In allen Aufsichtssachen be- 
steht der Beschwerdeweg bis zum Oberlandesgerichtspräsidenten; bekleiden, wie dies die 
Regel, die Mitglieder des Ortsgerichts ihr Amt als Nebenamt, so bedarf es für die 
angegebenen Maßnahmen des „Benehmens“ mit der Dienstaufsichtsbehörde des Haupt- 
amtes (§§. 13—15). Die Mitglieder des Ortsgerichts beziehen Gebühren nach An- 
weisung des Justizministers (§. 10). 
Die Mitwirkung der Dorf= und Ortsgerichte in Sachen der freiwilligen Gerichts- 
barkeit findet hauptsächlich statt 5, unter Aufhebung des bisherigen Rechts (Art. 119): 
1. für die Sicherung des Nachlasses im Sinne des §. 1960 des Bürgerlichen 
Gesetzbuches, insbesondere Anlegung von Siegeln, Verwahrung von Geld und Kostbar- 
keiten, Aufnahme des Nachlaßverzeichnisses unter sofortiger Mitteilung an das Amts- 
gericht“; 
  
1 Pr. Ges. über die freiwillige Gerichtsbarkeit 5* S. dazu noch Art. 111 und Art. 118 des 
v. 21. Sept. 1899 (G. S., S. 249), Art. 110, G. v. 21. Sept. 1899 für Übertragung diefer 
Abs. 2. Zuständigkeit auf Gemeindebeamte in anderen 
3 Ebenda, Abf. 1. Landesteilen, denen Art. 112—116 noch weitere 
3 S. darüber die früheren Auflagen dieses Funktionen zuweisen. 
Werkes, 4. Aufl., Bd. III, S. 366 f. 6i G. v. 21. Sept. 1899, Art. 104—107; s. 
* Art. 122 m. 119, Abs. 1, Art. 123, Abs. 1| dazu Art. 121 (im ehemaligen Kurhessen sind nur 
des G. v. 21. Sept. 1899. die Amtsgerichte für §. 1960 zuständig). 
 
	        
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