Die Militärgerichtsbarkeit. (8. 106.) 717
militärstrafgerichtsordnung v. 1. Dez. 1898 (R. G. Bl., S. 1189) eine neue
Organisation an ihre Stelle trat. Durch diese neue Gesetzgebung des Reiches ist ins-
besondere auch die preußische Militärstrafgerichtsordnung v. 3. April 1845 (G. S.,
S. 329)1 in vollem Umfange außer Kraft gesetzt worden. Die preußische Militärstraf-
gerichtsordnung v. 3. April 1845 galt vor Inkrafttreten des neuen Reichsgesetzes v.
1. Dez. 1898 im ganzen Reichsgebiete, ausgenommen nur Bayern und Württemberg:
in Preußen kraft des oben zitierten Gesetzes, in den Staaten des Norddeutschen Bundes
kraft der gemäß der Bundesverfassung, Art. 61, erlassenen Verordnung v. 29. Dez. 1867
(B. Bl., S. 185), dazu für Südhessen Militärkonvention v. 4. April 1867, Art. 14,
für Baden Verordnung v. 24. Nov. 1871 (R. G. Bl., S. 401), für Elsaß-Lothringen.
Gesetz v. 6. Dez. 1873; in Bayern galt eine besondere Militärstrafgerichtsordnung v.
29. April 1869, in Württemberg eine solche v. 20. Juli 1818.
Jetzt besteht hinsichtlich der Organisation und des Verfahrens der Militärstrafgerichte
einheitliches gemeines Recht im Gesamtgebiete des Deutschen Reiches.
Rauer, Protok. der Verf. Komm., S. 111, 105 u.
126). Bei der Revision der oktroyierten Verf. Urk.
hat der Art. 36 derselben (als Art. 37 der Verf.
Urk. v. 31. Jan. 1850) folgende Fassung erhal-
ten: „Der Militärgerichtsstand des Heeres be-
schränkt sich auf Strafsachen und wird durch das
Gesetz geregelt. Die Bestimmungen über die
Militärdisziplin im Heere bleiben Gegenstand be-
sonderer Verordnungen.“ Die Kammern gingen
hierbei davon aus, „daß je freier die Verfassung
eines Landes sich gestalte, um so strenger dessen
militärische Institutionen sein müßten, und daß
daher die Militärgerichtsbarkeit in ihrem bis-
herigen Umfange erhalten, nur einiges davon
ausgeschieden, anderes mehr präzisiert werden
müsse" (vgl. v. Rönne, Verf. Urk., zum Art. 37,
S. 80—82). Die Beibehaltung des Militär-
gerichtsstandes in Strafsachen steht somit mit den
Grundsätzen der Verf. Urk. nicht im Widerspruche;
das bei der Revision der Verf. Urk. in Aussicht
genommene Gesetz über die verbesserte Regulierung
dieses Gegenstandes, auf welches auch der §. 10
der Verordnung v. 2. Jan. 1849 hinweist, ist in-
des erst jetzt vom Reiche erlassen worden. Der
in der Sitz. Per. 1862 von dem Abgeordneten
Mellien und Gen. im Abg. H. eingebrachte Ge-
setzentwurf, betr. die Beschränkung des Militär-
gerichtsstandes (Drucks. des Abg. H. 1862, VI.
Legislatur-Per., Bd. III, Nr. 78 und Stenogr. Ber.
des (demnächst aufgelösten) Abg. H. 1862, Bd. II,
Nr. 71, S. 426 ff.), ist wegen erfolgter Auflösung
des Hauses unerörtert geblieben; in der nächst-
folgenden Sitz. Per. (VII. Legislatur-Per., 1. Ses-
sion 1862) ist dagegen über die Frage zweimal
im Abg. H. verhandelt worden. Von dem Ab-
geordneten Simon u. Gen. wurde unterm 5. Juli
1862 eine Interpellation an das Staatsministe-
rium gerichtet, ob und wann die Staatsregierung
der Landesvertretung eine Gesetzesvorlage zur Auf-
hebung der Militärgerichtsbarkeit für alle nicht
disziplinären und militärischen Vergehen und
Verbrechen zu machen beabsichtige (vgl. Stenogr.
Ber. des Abg. H. 1862, Bd. VI, Nr. 65, S. 462),
welche Frage (in der Sitzung v. 15. Juli 1862)
verneinend beantwortet wurde (vgl. Stenogr. Ber.
des Abg. H. 1862, Bd. II, S. 614—636). Außer-
dem gab eine Petition Berthold und Gen. v.
9. Juli 1862, welche dahin gerichtet war, die
Militärgerichtsbarkeit auf rein militärische Ver-
gehen zu beschränken, Veranlassung zur noch-
maligen Erörterung des Gegenstandes. Das
Abg. H. beschloß (in der Sitzung v. 2. Sept.
18625, diese Petition der Staatsregierung zu über-
weisen. Von seiten des Justizmin. wurde im
Laufe der Beratung erklärt, daß nach Art. 37
der Verf. Urk. das Prinzip der Aufrechterhaltung
des besonderen Gerichtsstandes des Militärs in
Strassachen nicht in Frage gestellt werden könne,
daß jedoch eine Revision der Bestimmungen über
das Strafverfahren bei den Militärgerichten aller-
dings beabsichtigt werde (uvgl. den Komm. Ber. der
Justizkomm. des Abg. H. v. 16. Aug. 1862 in
den Stenogr. Ber. 1862, Bd. VII, S. 1040—42,
und die Plenarverhandl. a. a. O., Bd. III, S.
1472—85). — Auch im Reichstage des Nordd.
Bundes ist der Gegenstand in der Sitzungsperiode
von 1870 zur Sprache gekommen. Der Reichs-
tag hat in der Sitzung v. 30. März 1870 auf
den Antrag der Abgeordneten Lasker, v. Bernuth
und Frhr. v. Hoverbeck (Stenogr. Ber. 1870, Anl.
Bd. I, S. 248, Nr. 38) beschlossen, „den Bun-
deskanzler aufzufordern, baldmöglichst mit der
neuen Strafprozeßordnung eine Reform der
Militärgerichtsbarkeit vorzubereiten, auf der Grund-
lage, daß das Militärstrafverfahren mit den wesent-
lichen Formen des ordentlichen Strafprozesses um-
geben und die Zuständigkeit der Militärgerichte
im Frieden auf Dienstvergehen der Militärpersonen
beschränkt werde (Stenogr. Ber. des Reichstags
1870, Bd. I, S. 561—574). Da inzwischen
diesem Beschlusse keine Folge gegeben worden war,
so erneuerte der Reichstag bei der Beratung der
Strafprozeß-O. denselben auf den Antrag der
Komm. zur Vorberatung des Entwurfs der
letzteren (vgl. Stenogr. Ber. des Reichstags
1875—76, Bd. III, Aktenst. Nr. 10, S. 413)
in der Sitzung v. 21. Dez. 1876 (Stenogr. Ber.
a. a. O., Bd. II. S. 994—998), jedoch nur da-
hin, „daß der Reichskanzler aufzufordern sei, mit
tunlichster Beschleunigung dem Reichstage den
Entwurf einer Militärstrafprozeßordnung vorzu-
legen, in welcher das Militärstrafverfahren mit
den wesentlichen Formen des ordentlichen Straf-
prozesses umgeben wird“.
1 Auf ihr beruht die Darstellung bei v. Rönne
in der 4. Aufl. dieses Werkes, Bd. III, S. 878 ff.,
die somit heute antiquiert ist, aber des rechtshistori-
schen Interesses auch heute noch nicht ermangelt.