724 Die Staatsbehörden. (F. 106.)
In Abweichung von diesem verfassungsmäßigen Prinzipe hat die Militärstrafgerichts-
ordnung die Militärgerichtsgewalt als Bestandteil der Militärverwaltung,
somit als kontingentsherrliches Recht anerkannt, dafür andererseits das Haupt-
gewicht gelegt auf die vollkommen einheitliche Militärgerichtsorganisation.
Soweit demnach dermalen noch Kontingente bestehen, sind die Militärgerichte der
unteren Instanzen grundsätzlich Kontingentsgerichte, somit Bestätigung und Begnadigung,
insoweit das Gesetz sie vorschreibt oder zulüßt, Sache der Kontingentsherren.1
C. Von der Zivilgerichtsbarkeit unterscheidet sich die Militärgerichtsbarkeit durch
ihre grundsätzliche Zweiteilung. Alle Urteile bürgerlicher Gerichte werden zwar im Namen
des Inhabers der Gerichtsgewalt gesprochen; aber im übrigen erfolgt die Ausübung der
Gerichtsgewalt durch ganz unabhängige Gerichte. Demgegenüber sind zwar die er-
kennenden Militärgerichte in ihrer Rechtsprechung auch unabhäüngig (§. 18, Abs. 1), über
ihnen aber steht, und zwar als integrierender Bestandteil der Gerichtsbarkeit selbst, der
Gerichtsherr. „Die Militärstrafgerichtsbarkeit wird durch die Gerichts-
herren und durch die erkennenden Gerichte ausgeübt“ (§. 12). Der Gerichts-
herr spricht nicht Recht, aber er hat kraft seiner militärischen Befehlsgewalt die gesetzlich
geregelte Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Recht gesprochen und der Rechtsspruch vollzogen
wird. Darin liegt: 1. Besetzung, Berufung und Beauftragung des erkennenden Gerichts
(§§. 250 f., 261 ff.); 2. Anordnung aller Zwangshandlungen des Verfahrens, wie Vor-
führung des Angeklagten, Untersuchungshaft, Suspension vom Dienst, Beschlagnahme des
Vermögens; 3. die Vollstreckung der Strafe (§F. 451 ff.).
Die gerichtsherrliche Gewalt wird, entsprechend den militärischen Rangverhältnissen,
eingeteilt in die höhere und die niedere Gerichtsbarkeit (§. 13); letztere bezieht
sich nur auf Personen, die nicht Offiziersrang haben (§F. 14) und auf Übertretungen sowie
solche Vergehen, die nur mit Arrest bedroht sind und bei denen keine Ehrenstrafe zu er-
warten ist (§. 15)2; alle Übrige Gerichtsbarkeit ist höhere Gerichtsbarkeit, die sich dem-
gemäß auf alle der Militärstrafgerichtsbarkeit unterworfenen Personen und Handlungen
erstreckt (§. 17).
Gerichtsherr der niederen Gerichtsbarkeit ist der Regimentskommandeur, sowie die
Kommandeure selbständiger Bataillone der Landwehrbezirke, kleiner Festungen und von
Berlin; in der Marine die Kommandeure selbständiger Matrosen-, Werftdivifionen,
Bataillone, Abteilungen (§. 19). Die niederen Gerichtsherren können von ihren mili-
tärischen Vorgesetzten, die die höhere Gerichtsbarkeit haben, nach Maßgabe des militärischen
Dienstverhältnisses auch in bezug auf ihre gerichtsherrlichen Funktionen angewiesen werden
(§. 24). Gerichtsherr der höheren Gerichtsbarkeit sind der kommandierende General, der
Divisionskommandeur, der Gouverneur von Berlin, die Kommandanten großer Festungen
sowie von in Kriegszustand erklärten Distrikten; in der Marine der kommandierende
Admiral und die Stationschefs der beiden Marinestationen (§. 20); die gesetzlichen Voraus-
setzungen, nach denen sich die höhere Gerichtsbarkeit unter diese verschiedenen militärischen
Organe verteilt, sind im Gesetz (§. 26 ff.) genau bestimmt; der Schwerpunkt liegt im
Divisionskommandeur (§. 30).
Zur Hilfeleistung sind den niederen Gerichtsherren Gerichtsoffiziere (§. 99), den
höheren richterliche Militärjustizbeamte zur Seite gestellt (§. 13, Abs. 2 u. 3).
D. Die erkennenden Militärgerichte sind: Standgericht, Kriegsgericht, Ober-
kriegsgericht, Reichsmilitärgericht (§. 18, Abs. 2). Die drei unteren Instanzen
sind Kontingentsgerichte (§. 93) und unständig; sie werden immer für den einzelnen Fall
durch den Gerichtsherrn nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften gebildet. Die hoöchste
Instanz ist ein Reichsgericht und ständig. Sämtliche Gerichte sind Kollegialgerichte, ent-
weder nur besetzt mit Offizieren oder mit Offizieren und Juristen (Kriegsgerichtsräten,
1 Uber den „zuständigen Kontingentsherrn“ * Dazu noch die Sondervorschrift des §. 16.
Einführ. Ges. z. Mil. St. G. O. (R. G. Bl. 1898,
S. 1298), §. 4. Uber die Bestätigungsorder
88. 416 -418.