738 Die Staatsbehörden. (. 108.)
über die Gegenvorstellung selbständig und unter eigener Verantwortlichkeit in kollegialischer
Beratung und Beschlußfassung zu befinden.?
2. Das Reichspatentamt, welches aus ständigen und aus nichtständigen juristischen
und technischen Mitgliedern besteht, welche vom Kaiser, und zwar die nichtständigen auf fünf
Jahre, ernannt werden, und welches seinen Sitz in Berlin hat und zuständig ist für:
a) die Erteilung, b) die Erklärung der Nichtigkeit, c) die Zurücknahme der Patente.
Während die Entscheidungen zu a zwar auf kollegialische Beschlußfassung und nach fakul-
tativer Anhörung der Beteiligten und Beweisaufnahme, aber doch immer nur in den
Formen einer Administrativentscheidung erfolgen, findet in den Fällen zu b und c ein
verwaltungsgerichtliches Verfahren vor einer Abteilung des Patentamtes statt, welche mit
zwei zum Richteramte oder höheren Verwaltungsdienste befähigten Mitgliedern, einschließ-
lich des Vorsitzenden, und drei sonstigen Mitgliedern besetzt sein muß, und gegen deren
Entscheidung die Berufung an das Reichsgericht zulässig ist.?
3. Die Reichsrayonkommission als höhere Instanz über den Festungskom-
mandanturen behufs der Entscheidung über bauliche Anlagen in der Umgebung von Festungen,
bestehend aus einem Vorsitzenden und vier Mitgliedern, die vom Kaiser ernannt werden.?
4. Das Reichsversicherungsamt." Das Reichsversicherungsamt, errichtet ge-
mäß §. 87 des Unfallversicherungsgesetzes v. 6. Juli 1884, neugestaltet durch Gesetz v.
30. Juni 1900 (R. G. Bl., S. 573), ist teils Verwaltungsbehörde, teils Verwaltungs-
gericht zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten der Unfalls-, Alters= und Invaliditäts=
versicherungsgesetzgebung. Das Amt besteht aus einem Präsidenten, der erforderlichen
Zahl von ständigen und 18 unständigen Mitgliedern; erstere werden vom Kaiser auf Vor-
schlag des Bundesrats ernannt, von letzteren werden sechs vom Bundesrat, und zwar vier
aus seiner Mitte, die übrigen zwölf von den Vorständen der Genossenschaften und den
versicherten Arbeitern je zur Hälfte gewählt; die Wahlperiode ist fünf Jahre. Die For-
men des Verfahrens und der Geschäftsgang sind durch kaiserliche Verordnung v. 19. Okt.
1900 (R. G. Bl., S. 983) unter Zustimmung des Bundesrats geregelt.
B. Reichsverwaltungsgerichte als obere Instanz über Landesbehörden.
1. Das Bundesamt für Heimatwesen.? Das Reichsgesetz v. 6. Juni 1870
über den Unterstützungswohnsitz"“ hat für Streitigkeiten zwischen verschiedenen Armen-
verbänden über die öffentliche Unterstützung Hilfsbedürftiger, wenn die streitenden Armen-
verbände verschiedenen Einzelstaaten angehören, ein bestimmtes Verfahren vorgeschrieben,
indem es die Regelung des Verfahrens in dem Falle, wenn die streitenden Teile einem
und demselben Bundesstaate angehören, der Landesgesetzgebung überläßt.“ Von dieser
Befugnis hat Preußen in den §§. 40 bis 63 des Gesetzes v. 8. März 1871, betreffend
die Ausfilhrung des Bundesgesetzes über den Unterstützungswohnsitz 2, Gebrauch gemacht.
Danach sind für Preußen in Streitigkeiten der bezeichneten Art folgende Behörden zu-
ständig:
a) zur Entscheidung von Streitigkeiten, welche gegen einen preußischen Armen-
verband von einem anderen deutschen (auch einem preußischen) Armenverbande geltend
gemacht werden, die Bezirksausschüsse als Verwaltungsgerichte?";
1 S. 4 und §. 5, Ziffer 4 des Ges. v. 27. Juni
1873 und Regulativ v. 13. März 1876 zur Ord-
nung des Geschäftsganges bei dem durch Richter
verstärkten Reichseisenbahnamte (Zentralbl. für
das D. R. 1376, S. 197 ft.). Vgl. Laband,
Bd. 1, S. 397; Zorn II, S. 297.
2 §§8. 13, 11, 24, 27—30, 32 des Patent-
gesetzes v. 25. Mai 1877 (R. G. Bl. 1877,
S. 501) und Verordnung v. 18. Juni 1877, betr.
die Einrichtung, das Verfahren und den Ge-
schäftegang des Patentamtes (R. G. Bl. 1877,
S. 533, jetzt ersetzt durch Verordnung v. 11. Juni
1891 (N. G. Bl., S. 349) und Verordnung v.
25. Okt. 1899 (R. G. Bl., S. 661); vgl. Laband,
Bd. I. S. 399; Bd. III, S. 228 ff., 240, 329.
5 Reichsges. v. 21. Dez. 1871 (R. G. Bl., S. 4591,
§. 29; vgl. Laband, Bd. I, S. 397 f.
* Fuld in Archiv für öffentl. K., Bd. VI.
S. 35 ff.; Laband, Bd. I, S. 400 ff.; Bd. III.
S. 292, 305 ff., 330 ff.
5 Vgl. Laband, Bd. I, S. 394; Münfer
berg in Stengels Wörterb., Bd. I. S. 77.
* R. G. Bl. 1870, S. 360 ff.
* SS. 37—52 des Reichsges. v. 6. Juni 19701.
* G. S. 1871, S. 130 ff.
* B. G., 8. 39.