Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die Verwaltungsgerichte. (8. 108.) 739 
b) zur Entscheidung auf die Berufung gegen Entscheidungen der Bezirksausschüsse 
das Bundesamt für das Heimatwesen, welches eine zunächst nur für Berufungen in 
Streitigkeiten der Armenverbände verschiedener Bundesstaaten errichtete ständige und kolle- 
giale Reichsbehörde ist, deren Zuständigkeit indes — zufolge der Bestimmung des §. 52 
des Gesetzes v. 6. Juni 1870 — durch den §. 57 des preußischen Gesetzes v. 8. März 
1871 auf die Berufung in Streitsachen zwischen Armenverbänden des 
Preußischen Staates ausgedehnt worden ist. Das Bundesamt für das Heimatwesen 
hat seinen Sitz in Berlin und besteht aus einem Vorsitzenden und mindestens vier Mit- 
gliedern, welche auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt werden. 
Der Vorsitzende sowohl, als auch mindestens die Hälfte der Mitglieder muß die Be- 
fähigung zum Richteramte besitzen. Zur Fassung einer gültigen Entscheidung des Bundes- 
amtes gehört die Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern, von denen mindestens eines 
die vorgeschriebene richterliche Qualifikation haben muß. 1 Für Bayern und Elsaß-- 
Lothringen ist das Bundesamt für Heimatwesen nicht zuständig. 
2. Das Reichsoberseeamt. 
a) Zur Untersuchung der Seeunfälle, von welchen Kauffahrteischiffe betroffen werden, 
sind an den deutschen Küsten Seeämter errichtet.) Die Errichtung der Seeämter und 
die Bestimmung der Behörden, welche die Aufsicht über diese Amter zu führen haben, 
steht den Landesregierungen nach Maßgabe der Landesgesetze, die Abgrenzung der Be- 
zirke dem Bundesrate zu.3 Die Oberaufsicht über die Seeämter führt das Reich. Das 
Seeamt bildet eine kollegiale Behörde und besteht aus einem Vorsitzenden und vier Bei- 
sitzern. Der Vorsitzende muß die Fähigkeit zum Richteramte besitzen; er wird für die 
Dauer des zur Zeit seiner Ernennung von ihm bekleideten Amtes, oder, falls er zur Zeit 
seiner Ernennung ein Amt nicht bekleidet, auf Lebenszeit ernannt. Mindestens zwei der 
Beisitzer müssen die Befähigung als Seeschiffer besitzen und als solche gefahren haben. 
Die Beisitzer werden für jeden Untersuchungsfall von dem Vorsitzenden aus einer von 
der Aufsichtsbehörde auf jedes Jahr im voraus aufgestellten Liste ausgewählt. Der 
Reichskanzler bestellt für jedes Seeamt einen Kommissar, welcher berechtigt ist, Anträge 
an das Seeamt oder seinen Vorsitzenden zu stellen, den Verhandlungen des Seeamtes 
beizuwohnen, Einsicht von den Akten zu nehmen und für den Fall, daß der Vorsitzende 
die Einleitung einer Untersuchung verweigert, Anträge auf Anordnung einer Untersuchung 
bei dem Reichskanzler zu stellen. Das Verfahren vor dem Seeamte ist öffentlich und 
mündlich; nach Schluß der Verhandlungen hat das Seeamt über die Ursachen des See- 
unfalls seinen Spruch abzugeben. Auf Antrag des Reichskommissars kann, wenn sich 
ergibt, daß ein deutscher Schiffer oder Steuermann den Unfall oder dessen Folgen in- 
folge des Mangels solcher Eigenschaften, welche zur Ausübung seines Gewerbes erforder- 
lich sind, verschuldet hat, demselben durch den Spruch die Befugnis zur Ausübung seines 
Gewerbes (einem Schiffer auch die Befugnis zur Ausübung des Steuermannsgewerbes) 
aberkannt werden.“ 
b) Wenn das Seeamt durch seine Entscheidung einem Schiffer oder Steuermanne 
die Befugnis zur Ausübung des Gewerbes entzogen oder einem hierauf gerichteten An- 
trage des Kommissars keine Folge gegeben hat, so steht dem Schiffer oder Steuermanne, 
beziehungsweise dem Kommissar, gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der Berufung 
an das Oberseeamt zu. Dieses bildet eine kollegiale Reichsbehörde und besteht aus 
einem Vorsitzenden, welcher zum Richteramte befähigt sein muß, und sechs Mitgliedern, 
  
#1 Vgl. §§. 37—45 des Ges. v. 6. Juni 1870.— 
Über das Verfahren vgl. §§. 46—51 a. a. O. und 
das Regulativ zur Ordnung des Geschäftsganges 
bei dem Bundesamte für das Heimatwesen v. 
6. Jan. 1873 (gentralbl. für das D. R. 1873, 
S. 4 ff.). — Vgl. Zorn II, S. 605. 
* G. v. 27. Juli 1877 (R. G. Bl., S. 555). 
Vgl. das Verzeichnis der Behörden für die Unter- 
suchung von Seeunfällen im Zentralbl. für das 
D. R. 1879, S. 314 ff. 
  
2s In Preußen bestehen zurzeit Seeämter in 
Königsberg, Danzig, Stettin, Stralsund, Flens- 
burg, Tönning, Emden. Vgl. die Bekanntmachung 
des Reichskanzlers v. 1. Dez. 1877. Seeämter 
befinden sich außerdem in Rostock, Lübeck, Ham- 
burg, Bremerhaven, Bremen und Brake. (Zen- 
tralbl. für das D. R. 1877, S. 621.) 
* 8§. 1, 6—9, 13, 21, 25, 26 des Reichsges. 
v. 27. Juli 1877, betr. die Untersuchung von 
Seeunfällen (R. G. Bl. 1877, S. 549). 
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