70 Das Staatsbürgerrecht. (8. öl.)
den befreiten Gerichtsstand in bürgerlichen Rechtssachen für aufgehoben; es hat jedoch
die Verordnung v. 26. Juni 1867 über die Gerichtsverfassung in dem vormaligen Her-
zogtume Nassau und den vormals großherzoglich hessischen Gebietsteilen 1 (im §. 25) bestimmt,
daß die in den älteren Provinzen des Staates bestehenden Vorschriften über den allge-
meinen Gerichtsstand der Häupter und Mitglieder der vormals reichsständischen Familien
auch im Geltungsbereiche der gedachten Verordnung Anwendung finden sollen. Diese Be-
stimmungen sind indes durch die mit dem 1. Okt. 1879 in Kraft getretene Reichsjustiz=
gesetzgebung erledigt beziehungsweise abgeändert worden.: Eine Steuerbefreiung der
nassauischen Standesherren findet nur noch insoweit statt, als die zur Selbstbewohnung
derselben bestimmten Schlösser von der Gebäudesteuer und die Lustgärten dieser Schlösser
von der Grundsteuer befreit sind.3 Mitglieder von Gemeinden sind die nassauischen
Standesherren nicht. Zum Kreistag können sie durch Vertreter wählen."
Über „Prädikat= und Titelrecht der deutschen Standesherren“ s. jetzt das Werk von
Herm. Rehm (München 1905, während des Druckes erschienen), sowie die Nachträge
zu Band II.
§. 52.
Rechtsverhältnisse des niederen Adels.2
I. Das Allgem. Landrecht bezeichnet (§. 1, Tit. 9, Tl. II) den Adel als „den
ersten Stand im Staate, welchem, nach seiner Bestimmung, die Verteidigung des Staates,
sowie die Unterstützung der äußeren Würde und inneren Verfassung desselben hauptsäch-
lich obliegt“. “ Diese Verpflichtungen liegen indes allen übrigen Staatsbürgern nicht
minder ob, als dem Adel; insbesondere gilt dies rücksichtlich der Verteidigung des Vater-
landes, seitdem das Gesetz v. 3. Sept. 1814 die allgemeine Wehrpflicht aller Preußen
ausgesprochen hat. Es ist bereits oben bemerkt worden, daß die frühere bevorrechtete
Stellung des Adels hauptsächlich auf der den übrigen Staatsbürgern in der Regel ent-
zogenen Befähigung zum größeren Grundbesitze und zur Ausübung der mit letzterem
verknüpften politischen Vorrechte beruhte, daß indes mit der durch das Edikt v. 9. Okt.
1807 ausgesprochenen Hinwegräumung der Schranken, welche bis dahin die verschiedenen
Geburtsstände bezüglich der Art ihrer Beschäftigung und Bestimmung im Staate kasten-
artig getrennt hatten, der Adel aufhörte, einen politisch hervorragenden und exklusiv
berechtigten Stand im Staate zu bilden.“ Die fernere Gesetzgebung aus jener Zeit-
epoche seit dem Jahre 1807 erkannte es, wie gleichfalls schon oben des näheren
erörtert worden, als eine ihrer vorzüglichsten Aufgaben, „die Disharmonie im Volke, den
1 G. S. 1867, S. 1094 ff. S. 103 ff. — Über den preuß. Adel ins-
3 Agl. hierüber S. 49. besondere: G. A. Bielitz, Darst. d. Rechts-
* Ugl. ob. S. 49, 52. verh. des Adels in Preußen (Berlin 1840). —
* Schön, R. d. Komm. V., S. 287, N. 5. Wolff, Über die Ehrenstände in Preußen (im
S. 387, N. 5. Zentralbl. für Juristen, Jahrgang 1842, S. 70 ff.).
5 Vgl. im allgemeinen: J. Chr. Lünig, — E. Th. Gaupp, Uber die Bildung der ersten
Collectio nova, worin der mittelbaren oder land“ Kammer in Preußen und die Stellung des
sässigen Ritterschaft in Deutschland sonderbare Adels in der Gegenwart überhaupt (Breslau.
Prärogativen und Gerechtsamen, auch Privilegien 1852). Vgl. Bornhak, St. R. I. S. 282 ff.;
und Freiheiten enthalten sind (Frankfurt, 1710. G. Meyer, Lehrb. D. St. R. (5), S. 757 f.;
2 Teile); v. Strantz, Geschichte des deutschen Schröder, D. R. Gesch. (4) S. 806 f.; Gierke,
Adels (Breslau, 1845), 3 Teile; H. v. Eisen= D. Priv. R. I, §S. 48; v. Stengel, Staaterecht
hardt, Uber den Beruf des Adels und die Natur Preusens (189.4) S. 70.
der Pairieverfassung (Stuttgart u. Tühbingen, *Uber die bereits auf dem Posener Landtage
1852); Klüber, ff. R. d. d. B., S. 369 ff.; von 1841 beantragte Aufhebung dieser Bestim-
Zachariä. D. St. u. B. R., 3. Aufl., Bd. I, mungen und derienigen Satzungen des Tit. 9
S. 543 ff.; Zöpfl, Grundf. des gem. d. St. a. a. O., welche sich auf den Unterschied des
R., 5. Aufl., Bd. II, S. 156 ff.; Bluntschli, Adels und der anderen Stände beziehen, ogl.
Allgem. St. Lehre, 6. Aufl., S. 170 ff.: Held, den Ber. in der Preuß. Staatszeitung, Jahrg.
System d. Verf. R., Bd. II, S. 641 ffl.: Stahl,] 1341, Nr. 132.
Philosophie des Rechts, 3. Aufl., Bd. II, Abt. I. 7 Siehe S. 2, 3; Bornhak, St. R. I, S. 237.