Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Grundpflichten und Grundrechte. (§. 53.) 85 
mäßigkeit bedroht das Strafgesetzbuch an sich nicht mit Strafe, sondern nur ausnahms- 
weise in den sog. Unterlassungsverbrechen und Vergehen und Ubertretungen, sofern man 
diese überhaupt hierher rechnen will, indem es hier die positive Pflicht zum Handeln in- 
direkt durch die Strafandrohung ausspricht. Der von Einzelnen gegen die Gesetze oder 
gegen obrigkeitliche Befehle ausgeübte einfache Ungehorsam oder passive Widerstand ist daher, 
so lange er nicht eine Form annimmt, in welcher er unter ein besonderes Strafgesetz fällt, 
noch keine strafbare Handlung, sondern kann nur die Anwendung von Maßregeln zur 
Beseitigung dieses Hindernisses rechtfertigen.) Dagegen beginnt das Gebiet der Straf- 
barkeit mit der Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze oder die Anordnungen 
der Obrigkeit (§§. 110—112 des Reichsstrafgesetzbuches); dann folgt die Widersetzlich- 
keit gegen Beamte (§. 113); die Nötigung einer Behörde oder eines Beamten zu Hand- 
lungen oder Unterlassungen (§. 114); der Aufruhr, wenn mehrere Personen sich öffent- 
lich zusammenrotten, um mit vereinten Kräften Abgeordneten der Obrigkeit Widerstand 
zu leisten oder gegen Behörden oder Beamte Zwang zu üben (§. 115); der Auflauf, 
wenn den Befehlen der Obrigkeit zur Räumung von öffentlichen Wegen, Straßen oder 
Plätzen keine Folge geleistet wird (§. 116); die Befreiung von Gefangenen (88. 120, 
121); die Meuterei in Gefangenanstalten (§. 122). Diese Fälle des aktiven Wider- 
standes sind es also allein, welche als strafbar zu erachten sind. Insbesondere bei der 
Widerstandsleistung gegen Beamte (8§. 113, 114)8# ist jedoch durch den §. 113 des 
Strafgesetzbuches der Grundsatz sanktioniert, daß nicht bloß der lediglich passive Wider- 
stand straflos ist, sondern auch, daß der Beamte „nur in der rechtmäßigen Ausübung 
seines Amtes“ gegen Widerstand geschützt wird.“ Eine Ausnahme von der Regel der 
Strafbarkeit eines jeden aktiven Widerstandes gegen die Staatsgewalt bildet übrigens der 
Fall, wenn der Widerstand durch Notwehr geboten war (§. 53). 
Insoweit diese Vorschriften des Strafgesetzbuches zur Anwendung zu kommen haben, 
ist durch sie die Frage positiv gelöst. Es bleibt nur noch die weitere Frage zu erwägen, 
ob außerhalb dieses Rahmens ein „Recht“ des Widerstandes gegen die Staatsgewalt 
konstruiert werden kann. Diese Frage muß verneint werden. Den Anordnungen der 
Staatsgewalt ist Gehorsam zu leisten; ohne diese Grundlage ist die Rechts= und Staats- 
ordnung undenkbar. Die Anordnungen der Staatsgewalt müssen auf Verfassung und 
Gesetz beruhen, sonst sind sie nicht Recht, sondern Willkürr. Ergibt im einzelnen 
  
gleichsam qualifizierten Ungehorsam durch gemein- 
same Verbindung und mit ungesetzlichen Mitteln, 
also mit pofitiven Handlungen, im Auge. 
1 Zu diesen sog. Unterlassungsverbrechen und 
Bergehen gehören nämlich diejenigen Fälle, wo 
das Gesetz die Unterlassung positiver Handlungen 
speziell unter Strafe stellt, z. B. die Nichtanzeige 
der im §F. 139 des Str. G. B. gedachten Ver- 
brechen, die Nichtentfernung aus versammelter 
Menge (§. 116); ferner die Nichtbeobachtung 
polizeilicher Anordnungen (88. 366, 367, 368), 
endlich die widerrechtlichen Unterlassungen der 
Beamten in Untersuchungssachen (§. 346), sowie 
im Dienstverhältnisse überhaupt. 
2 Also die Exekutionsvollstreckung, den Zivil- 
zwang, Geldbußen, welche nicht als Strafmittel 
zu erachten sind, s. im Verwaltungsrecht über 
den Verwaltungszwang. 
3 Diese §§. lauten: §. 113: Wer einem Be- 
amten, welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, 
von Befehlen und Anordnungen der Verwal- 
tungsbehörden, oder von Urteilen und Verfügungen 
der Gerichte berufen ist, in der rechtmäßigen Aus- 
übung seines Amtes durch Gewalt oder Be- 
drohung mit Gewalt Widerstand leistet, oder wer 
einen solchen Beamten während der rechtmäßigen 
Ausübung seines Amtes tätlich angreift, wird 
  
mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu zwei 
Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vor- 
handen, so tritt Gefängnisstrafe bis zu einem 
Jahre oder Geldstrafe bis zu eintausend Mark ein. 
Dieselben Strafvorschriften treten ein, wenn die 
Handlung gegen Personen, welche zur Unter- 
stützung des Beamten zugezogen waren, oder 
gegen Mannschaften der bewaffneten Macht, oder 
gegen Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- 
oder Bürgerwehr in Ausübung des Dienstes be- 
gangen wird. §. 114: Wer es unternimmt, 
durch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder 
einen Beamten zur Vornahme oder Unterlassung 
einer Amtshandlung zu nötigen, wird mit Ge- 
fängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sind 
mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefäng- 
nisstrafe bis zu zwei Jahren ein. 
* Vgl. hierüber: R. Hiller, Die Recht- 
mäßigkeit der Amtsausübung im Begriff des 
Verbrechens der Widersetzlichkeit Würzburg, 1873); 
John, in v. Holtzendorffs Handbuch des d. 
Strafr., Bd. III, S. 115 ff., sowie die Lehr- 
und Handbücher des Strafrechts; Wachenfeld 
bei Holvendorff-Kohler, Enzyklop. Bd. II, S. 319; 
Beling, Grundzüge des Strafrechts, 2. Aufl. 
(1902) S. 99.
	        
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