Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. 
(8. 118.. 95 
punkt leitend gewesen, daß der Zweiten Kammer als einer reinen Wahlkammer ein 
überwiegender Einfluß auf Finanzfragen einzuräumen sei und daß nach der Natur des 
Geschäftes immer nur einer Kammer die Einzelberatung über das Budget zufallen kann.1 
An diese Bestimmungen des Abs. 3 des Art. 62 der Verfassungsurkunde knüpfen 
sich insbesondere folgende Fragen.2 
  
1 Abs. 3 des Art. 62 war in der oktroy. Verf. 
Urk. v. 5. Dez. 1848 nicht enthalten, sondern ist 
erst bei deren Revision darin aufgenommen worden. 
Nach Art. 43 der Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 
sollte auch die 1. K. eine reine Wahlkammer sein, 
und deshalb war keine Veranlassung vorhanden, 
ihr in betreff der Finanzgesetze und Staatshaus- 
haltsetats eingeschränktere Befugnisse als der 2. K. 
beizulegen. Die königl. Botschaft v. 7. Jan. 1850 
(Proposition VIII) enthielt indes den Vorschlag, 
einen Teil der Mitglieder der 1. K. nicht aus 
Wahlen hervorgehen, sondern dieselbe (außer den 
großjährigen königl. Prinzen) teils aus gewählten, 
teils aus solchen Mitgliedern bestehen zu lassen, 
welchen ein erbliches Recht auf Sitz und Stimme 
in der 1. K. beizulegen, und solchen, welche der 
König auf Lebenszeit ernennt, welcher Vorschlag 
auch (mit einigen Modifikationen bezüglich der De- 
tails) von den revidierenden Kammern angenom- 
men wurde. Mit Rücksicht hierauf hatte nun 
die königl. Botschaft v. 7. Jan. 1850 (Propo- 
  
sition VII) einen Zusatz zum Art. 60 (jetzt Art. 
62) des Inhalts vorgeschlagen: „Finanzgesetz= 
entwürfe werden zuerst der 2. K. vorgelegt“, zu 
dessen Motivierung dieselbe folgendes anführte: 
„Sobald die 1. K. aufhört, eine reine Wahl- 
kammer zu sein, so folgt daraus von selbst, daß 
der 2. K., wie es in denjenigen Staaten, wo die 
konstitutionelle Staatsform dauernden Bestand 
gewonnen hat, überall der Fall ist, ein über- 
wiegender Einfluß auf Finanzfragen eingeräumt 
werde. Eine nähere Feststellung der Befugnisse 
dieser Kammer und der Garantien, welcher das 
Land bedarf, um den regelmäßigen Fortgang der 
Regierung gesichert zu sehen, wird erst dann mit 
allseitigem Verständnisse getroffen werden können, 
wenn die Behandlung der jetzt vorliegenden Bud- 
getfragen hierüber bestimmten Anhalt gewährt. 
In dieser Beziehung ist demnach die weitere Ent- 
wicklung der Verfassung der Zukunft vorzube- 
halten und anzunehmen, daß einerseits die 2. K. 
durch die ihr in Art. 98 (jetzt Art. 99) einge- 
räumte wichtige, mittels der gegenwärtig vorge- 
schlagenen Anderung noch verstärkte Befugnis 
befriedigt, andererseits die Regierung durch den 
Patriotismus dieser Kammer vor dem Lande 
schädlichen Verlegenheiten bewahrt sein werde."“ 
Im Zentralausschusse der 1. K., welcher zuerst 
über diese Proposition beriet, war von einem 
Mitgliede beantragt worden, dem von der Staats- 
regierung vorgeschlagenen Zusatze folgende Fas- 
sung zu geben: „Finanzgesetzentwürfe und der 
Staatshaushaltsetat werden zuerst der Zwei- 
ten Kammer vorgelegt; der Staatshaushalts- 
etat wird von der Ersten Kammer im 
ganzen angenommen oder abgelehnt.“ 
Dieser Vorschlag wurde damit begründet, „daß 
der Schwerpunkt der Finanzfragen in die 2. K. 
gelegt werden müsse, wodurch sich auch der Zusatz 
rechtfertige, daß die 1. K. den Staatshaushalts- 
  
etat nur im ganzen anzunehmen oder abzu- 
lehnen habe, da ein entgegengesetztes Ver- 
fahren die Sache zwischen beiden Kammern zu 
sehr komplizieren und eine Schwerfälligkeit her- 
beiführen würde, welche den Staatsorganismus 
leicht zu lähmen geeignet sei. Wegen unbe- 
deutender Gegenstände sei ein von der 1. K. 
zu erhebendes Monitum nicht wünschenswert 
und sie werde sich dadurch nicht zur Ablehnung 
des Ganzen bestimmen lassen. Auch in anderen 
Ländern habe sich, selbst ohne ausdrückliche Ver- 
fassungsbestimmung, durch die Praxis nur eine 
solche allgemeine Teilnahme der 1. K. geltend 
gemacht.“ Dieser Vorschlag fand nun zwar im 
Zentralausschusse der 1. K. keine Annahme; die 
Proposition VII gelangte jedoch zuerst in der 
2. K. zur Beratung, und hier stellte der Ab- 
geordn. v. Viebahn (unter Bezugnahme auf die 
vorstehend mitgeteilten Motive) bei der Beratung 
im Plenum den Antrag, die Proposition VII in 
derjenigen Fassung anzunehmen, welche die des 
jetzigen Abs. 3 des Art. 62 ist. Dieser Antrag 
wurde von der 2. K. angenommen und fand dem- 
nächst auch die Zustimmung der 1. K. Bei der 
Beratung in der 2. K. waren (von dem Abgeordn. 
Urlichs) zur Begründung der vorgeschlagenen 
Fassung dieselben Motive hervorgehoben, deren 
bereits vorstehend gedacht worden, insbesondere 
aber wurde auch auf die praktische Unmöglichkeit 
hingewiesen, in beiden Kammern die zeitraubende 
Beratung des Budgets im einzelnen vorzu- 
nehmen, weshalb die artikelweise Beratung 
nur derjenigen Kammer zuzugestehen sei, welche 
sich zuerst damit zu befassen hat. Es sei aber 
auch aus politischem Standpunkte davon auszu- 
gehen, daß die einer nicht gewählten Kammer 
gegenübertretende Volksvertretung notwendiger- 
weise die eigentliche Entscheidung in der Fest- 
stellung des Budgets haben müsse (vgl. das Nähere 
hierüber in den Stenogr. Ber. der 1. K. 1849 
—50, S. 2217, 2396 ff. u. 2385 ff., und der 2. K. 
1849—50, S. 2073 ff.; desgl. in v. Rönnes 
Bearbeit. der Verf. Urk. zum Art. 62, S. 119— 
121). — In der Sitz. Per. 1851—52 wurde von 
dem Abgeordn. v. Zander in der 1. K. der An- 
trag gestellt, eine Abänderung des Art. 62 durch 
Streichung des Satzes: „lletztere (Staatshaus- 
haltsetats) werden von der Ersten Kammer im 
ganzen angenommen oder abgelehnt“, zu be- 
schließen (vgl. Drucks. der 1. K.185 1—52, Nr. 20). 
Diesem Antrage ist zwar die 1. K. beigetreten, 
die 2. K. hat denselben indes abgelehnt und somit 
ist der Art. 62 unverändert fortbestehen geblieben 
(vgl. das Nähere hierüber in den Stenogr. Ber. 
der 1. K. 1851—52, S. 34, 144, 325, 328 u. 
716, u. der 2. K. 1851—52, S. 1179—1183, 
desgl. in v. Rönnes Bearbeit. der Verf. Urk., 
Nachtrag, S. 240—247). 
: An den nachfolgenden Ausführungen v. Rön- 
nes, die ein charakteristisches Bild der Verfassungs-
	        
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