Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung.
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punkt leitend gewesen, daß der Zweiten Kammer als einer reinen Wahlkammer ein
überwiegender Einfluß auf Finanzfragen einzuräumen sei und daß nach der Natur des
Geschäftes immer nur einer Kammer die Einzelberatung über das Budget zufallen kann.1
An diese Bestimmungen des Abs. 3 des Art. 62 der Verfassungsurkunde knüpfen
sich insbesondere folgende Fragen.2
1 Abs. 3 des Art. 62 war in der oktroy. Verf.
Urk. v. 5. Dez. 1848 nicht enthalten, sondern ist
erst bei deren Revision darin aufgenommen worden.
Nach Art. 43 der Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848
sollte auch die 1. K. eine reine Wahlkammer sein,
und deshalb war keine Veranlassung vorhanden,
ihr in betreff der Finanzgesetze und Staatshaus-
haltsetats eingeschränktere Befugnisse als der 2. K.
beizulegen. Die königl. Botschaft v. 7. Jan. 1850
(Proposition VIII) enthielt indes den Vorschlag,
einen Teil der Mitglieder der 1. K. nicht aus
Wahlen hervorgehen, sondern dieselbe (außer den
großjährigen königl. Prinzen) teils aus gewählten,
teils aus solchen Mitgliedern bestehen zu lassen,
welchen ein erbliches Recht auf Sitz und Stimme
in der 1. K. beizulegen, und solchen, welche der
König auf Lebenszeit ernennt, welcher Vorschlag
auch (mit einigen Modifikationen bezüglich der De-
tails) von den revidierenden Kammern angenom-
men wurde. Mit Rücksicht hierauf hatte nun
die königl. Botschaft v. 7. Jan. 1850 (Propo-
sition VII) einen Zusatz zum Art. 60 (jetzt Art.
62) des Inhalts vorgeschlagen: „Finanzgesetz=
entwürfe werden zuerst der 2. K. vorgelegt“, zu
dessen Motivierung dieselbe folgendes anführte:
„Sobald die 1. K. aufhört, eine reine Wahl-
kammer zu sein, so folgt daraus von selbst, daß
der 2. K., wie es in denjenigen Staaten, wo die
konstitutionelle Staatsform dauernden Bestand
gewonnen hat, überall der Fall ist, ein über-
wiegender Einfluß auf Finanzfragen eingeräumt
werde. Eine nähere Feststellung der Befugnisse
dieser Kammer und der Garantien, welcher das
Land bedarf, um den regelmäßigen Fortgang der
Regierung gesichert zu sehen, wird erst dann mit
allseitigem Verständnisse getroffen werden können,
wenn die Behandlung der jetzt vorliegenden Bud-
getfragen hierüber bestimmten Anhalt gewährt.
In dieser Beziehung ist demnach die weitere Ent-
wicklung der Verfassung der Zukunft vorzube-
halten und anzunehmen, daß einerseits die 2. K.
durch die ihr in Art. 98 (jetzt Art. 99) einge-
räumte wichtige, mittels der gegenwärtig vorge-
schlagenen Anderung noch verstärkte Befugnis
befriedigt, andererseits die Regierung durch den
Patriotismus dieser Kammer vor dem Lande
schädlichen Verlegenheiten bewahrt sein werde."“
Im Zentralausschusse der 1. K., welcher zuerst
über diese Proposition beriet, war von einem
Mitgliede beantragt worden, dem von der Staats-
regierung vorgeschlagenen Zusatze folgende Fas-
sung zu geben: „Finanzgesetzentwürfe und der
Staatshaushaltsetat werden zuerst der Zwei-
ten Kammer vorgelegt; der Staatshaushalts-
etat wird von der Ersten Kammer im
ganzen angenommen oder abgelehnt.“
Dieser Vorschlag wurde damit begründet, „daß
der Schwerpunkt der Finanzfragen in die 2. K.
gelegt werden müsse, wodurch sich auch der Zusatz
rechtfertige, daß die 1. K. den Staatshaushalts-
etat nur im ganzen anzunehmen oder abzu-
lehnen habe, da ein entgegengesetztes Ver-
fahren die Sache zwischen beiden Kammern zu
sehr komplizieren und eine Schwerfälligkeit her-
beiführen würde, welche den Staatsorganismus
leicht zu lähmen geeignet sei. Wegen unbe-
deutender Gegenstände sei ein von der 1. K.
zu erhebendes Monitum nicht wünschenswert
und sie werde sich dadurch nicht zur Ablehnung
des Ganzen bestimmen lassen. Auch in anderen
Ländern habe sich, selbst ohne ausdrückliche Ver-
fassungsbestimmung, durch die Praxis nur eine
solche allgemeine Teilnahme der 1. K. geltend
gemacht.“ Dieser Vorschlag fand nun zwar im
Zentralausschusse der 1. K. keine Annahme; die
Proposition VII gelangte jedoch zuerst in der
2. K. zur Beratung, und hier stellte der Ab-
geordn. v. Viebahn (unter Bezugnahme auf die
vorstehend mitgeteilten Motive) bei der Beratung
im Plenum den Antrag, die Proposition VII in
derjenigen Fassung anzunehmen, welche die des
jetzigen Abs. 3 des Art. 62 ist. Dieser Antrag
wurde von der 2. K. angenommen und fand dem-
nächst auch die Zustimmung der 1. K. Bei der
Beratung in der 2. K. waren (von dem Abgeordn.
Urlichs) zur Begründung der vorgeschlagenen
Fassung dieselben Motive hervorgehoben, deren
bereits vorstehend gedacht worden, insbesondere
aber wurde auch auf die praktische Unmöglichkeit
hingewiesen, in beiden Kammern die zeitraubende
Beratung des Budgets im einzelnen vorzu-
nehmen, weshalb die artikelweise Beratung
nur derjenigen Kammer zuzugestehen sei, welche
sich zuerst damit zu befassen hat. Es sei aber
auch aus politischem Standpunkte davon auszu-
gehen, daß die einer nicht gewählten Kammer
gegenübertretende Volksvertretung notwendiger-
weise die eigentliche Entscheidung in der Fest-
stellung des Budgets haben müsse (vgl. das Nähere
hierüber in den Stenogr. Ber. der 1. K. 1849
—50, S. 2217, 2396 ff. u. 2385 ff., und der 2. K.
1849—50, S. 2073 ff.; desgl. in v. Rönnes
Bearbeit. der Verf. Urk. zum Art. 62, S. 119—
121). — In der Sitz. Per. 1851—52 wurde von
dem Abgeordn. v. Zander in der 1. K. der An-
trag gestellt, eine Abänderung des Art. 62 durch
Streichung des Satzes: „lletztere (Staatshaus-
haltsetats) werden von der Ersten Kammer im
ganzen angenommen oder abgelehnt“, zu be-
schließen (vgl. Drucks. der 1. K.185 1—52, Nr. 20).
Diesem Antrage ist zwar die 1. K. beigetreten,
die 2. K. hat denselben indes abgelehnt und somit
ist der Art. 62 unverändert fortbestehen geblieben
(vgl. das Nähere hierüber in den Stenogr. Ber.
der 1. K. 1851—52, S. 34, 144, 325, 328 u.
716, u. der 2. K. 1851—52, S. 1179—1183,
desgl. in v. Rönnes Bearbeit. der Verf. Urk.,
Nachtrag, S. 240—247).
: An den nachfolgenden Ausführungen v. Rön-
nes, die ein charakteristisches Bild der Verfassungs-