2 Die Gesetzgebung. (8. 109.)
der gleiche in der absoluten Monarchie wie in jeder anderen Staatsform. In jedem
Staate kann ein Gesetz nur von der höchsten Staatsgewalt ausgehen, dagegen ist
die Frage, wem in einem bestimmten Staate die gesetzgebende Gewalt zusteht, lediglich
eine Frage des positiven Staatsrechts. Zum Begriff des Gesetzes gehört ferner, daß
es eine wirkliche Rechtsregel ausspricht; jedes Gesetz muß eine Rechtsvorschrift ent—
halten; daß der ausgesprochene Rechtssatz eine allgemeine Regel aufstellen müsse, ist
nicht erforderlich; auch einzelne Tatbestände können in der Form des Gesetzes geregelt
werden.! Über die erstere Frage wird zurzeit in der staatsrechtlichen Literatur ein leb-
hafter Streit geführt. Gegenüber der älteren, auch von v. Rönne in den früheren Auf-
lagen vertretenen Theorie von der Einheitlichkeit des Gesetzesbegriffes hat Laband eine
neue Theorie begründet? und darin ziemlich allgemeine Zustimmung gefunden.⅝ Laband
unterscheidet zwischen materiellem und formellem Gesetz, je nachdem das Gesetz Rechts-
sätze enthalte — materielles Gesetz — oder nur in der Form des Gesetzes ergangen
sei, ohne Rechtssätze zu enthalten — formelles Gesetz; Typus des letzteren sei das
Staatshaushaltsgesetz (über dieses s. unten § 118). Zugleich wird von der herrschen-
den Lehre der Satz vertreten: Rechtssätze könnten im konstitutionellen Staate nur durch
Gesetz, d. h. unter Zustimmung der Volksvertretung oder kraft besonderer Delegation
des Gesetzgebers erlassen werden. Dieser von Laband und Georg Meyer"“ vertretene
Satz hat seine besonders scharfe Begründung durch Anschütz 5 gefunden; abgelehnt wird
er von Arndt, der insbesondere betont, daß bei den Verhandlungen über die Ver-
fassungsurkunde niemand daran gedacht habe, den Grundsatz aufzustellen: „Rechtsnormen
aller Art dürfen fortan nur mit Zustimmung des Landtages aufgestellt werden.“ „Wäre
man von jenem Satze ausgegangen, so hätte man zum mindesten den (für den wichtig-
sten gehaltenen) Titel „Von den Rechten der Preußen“ fortlassen können und müssen.“!
Wesentlich für die Geltung des Gesetzes ist ferner seine von der Staatsgewalt aus-
gehende Veröffentlichung, nämlich die offizielle Verkündigung, ohne welche niemand
verbunden ist, der erlassenen Vorschrift zu gehorchen. Somit ist als Gesetz im wei-
teren Sinne die von der höchsten Staatsgewalt ausgehende und gehörig
veröffentlichte Rechtsvorschrift anzusehen. Als leitender Grundsatz des kon-
stitutionellen Staatsrechtes kommt aber weiter in Betracht, daß das Staatsober-
haupt kein Gesetz ohne Zustimmung der Volksvertretung erlassen kann, und so ergibt
sich für den Begriff des Gesetzes im engeren, konstitutionellen Sinne noch das formelle
Erfordernis, daß im konstitutionellen Staate nur solche Rechtsregeln als Gesetze an-
zusehen sind, welche vom Staatsoberhaupt unter Zustimmung der Volksvertretung erlassen
worden sind.
II. Die Befugnis zur Gesetzgebung umfaßt: a) das Recht, Bestimmungen über
die Verfassung des Staates zu treffen und die geltenden Bestimmungen dieser Art ab-
1 Mit Recht bekämpft Laband, St. N., II, S. 2ff.,
die Theorie, daß das Gesetz begrifflich eine all-
gemeine Rechtsnorm zum Inhalt haben müsse;
ein Gesetz kann vielmehr auch einen ganz spe-
ziellen, ja sogar einen individuellen Charakter
tragen. Literatur über diese Streitfrage bei
G. Meyer-Anschütz, §. 8, Anm. 1.
2 S. jetzt St. R., II, S. 1 ff., dort auch er-
schöpfende Literaturangaben; über das „formelle“
Gesetz S. 61 ff.
3 G. Meyer-Anschütz, Ss. 155—170;
Schulze, Pr. St. R., II, S. 9 ff.; v. Seydel-
Piloty, Bayer. St. R.3, Bd. I, S. 837 ff.;
Schwartz, Verf. Urk., S. 195. Gegen die Labandsche
Unterscheidung s. Hänel, Studien, II, und St. R.,I,
S. 275 ff.; v. Martitz in der Ztschr. f. d. ges.
Staatswiff. Bd. XXXVI:; Arndt, Verordn. R.,
S. 120 ff.; St. R., S. 156 f.; Komment. (h,
S. 242 fl.½ Zorn, St. R., I, S. 147, u. a. m.
Vgl. Meyer-Dochow, D. Verw. R.“, I, S. 17 ff.
4 G. Meyer-Anschütz, S. 561: „Es können
allgemeine, die Untertanen verpflichtende Rechts-
vorschriften nur mit Zustimmung des Landtags
erlassen werden. Der Erlaß derselben auf dem
Wege der Verordnung ist grundsätzlich ausge-
schlossen.“
5 Die gegenwärtigen Theorien über den Be-
griff der gesetzgebenden Gewalt, zuletzt zusammen-
fassend in seiner Bearbeitung des G. Meyerschen
Lehrb., S. 163—169, und bei v. Holtzendorff-
Kohler , Bd. IV, S. 151 ff.; vgl. auch Rosin,
Polizeiverordn. R., S. 1 ff. Vollständige Literatur-
angaben bei G. Meyer-Anschütz, S. 549,
Anm. 1.
6 Vgl. seine oben, S. 1, Anm. 1, angeführten
Schriften.
1? Übereinst. mit Arndt: v. Stengel, St. R.,
S. 167 f.; Bornhak, I, 514 ff.; Zorn, St. R., I,
S. 401 ff.