116 Die Gesetzgebung. (8. 118.)
Voranschlage überhaupt nicht berücksichtigt worden sind, indem sie sich nicht vorhersehen
ließen, und indem Ausgaben erforderlich werden können, auf welche nicht gerechnet war.
Hieraus aber ergibt sich für die Staatsregierung die Verpflichtung, den Kammern nach
allen diesen Richtungen hin Rechenschaft abzulegen; insbesondere ist sie verbunden, die
stattgefundenen Abweichungen von dem Etat, besonders aber die Etatsüberschreitungen zu
rechtfertigen und der Genehmigung der Kammern zu unterbreiten.
II. Die Verfassungsurkunde enthält keine Bestimmungen über die nach allen diesen
Richtungen zu befolgenden Grundsätze 1, indes ließen sich doch teils aus der Natur der
Sache, teils aus der seither befolgten Praxis gewisse Grundsätze und Regeln ableiten.
Das Gesetz v. 11. Mai 1898 hat nunmehr diese Grundsätze in die allgemein verbind-
liche Rechtsform des Gesetzes gebracht.
1. Zunächst versteht es sich von selbst, daß auch alle unvorhergesehenen Ein-
nahmen und Ausgaben des Staates zur Kenntnis und Genehmigung der Kammern ge-
bracht werden müssen. Was aber die Behandlung solcher Ausgaben betrifft, welche zwar
nicht in den Staatshaushaltsetat eingestellt, wohl aber durch ein Spezialgesetz nach Fest-
stellung des Staatshaushaltsetats bewilligt worden sind, so bedarf es in dieser Beziehung
keines abändernden oder Indemnitätsgesetzes, sondern es kommen dafür die für Etats-
überschreitungen geltenden Grundsätze zur Anwendung.
2. Das Gesetz v. 11. Mai 18982 (§. 2) führt ausdrücklich als in den Etat
einzustellende Einnahmen und Ausgaben auf („gehören auch“): a) Erlöse aus der Ver-
äußerung von beweglichem oder unbeweglichem Eigentum des Staates, b) Einnahmen,
welche dem Staate durch Beiträge Dritter zu im Staatshaushaltsetat vorgesehenen Aus-
gaben zufließen, c) Einnahmen und Ausgaben auf Grund von Anleihegesetzen, wenn
und soweit in den letzteren die Aufnahme in den Staatshaushaltsetat vorgesehen ist,
d) die Einnahmen und Ausgaben derjenigen zu besonderen Zwecken bestimmten Fonds,
über welche dem Staate allein die Verfügung zusteht, sofern diese Fonds nicht juristische
Persönlichkeit besitzen, e) die Einnahmen und Ausgaben derjenigen Unterrichts-, wissen-
schaftlichen, Kunst= und ähnlichen Anstalten, welche vom Staate allein oder mit Hilfe
von Zuschüssen Dritter zu unterhalten sind, sofern diese Anstalten nicht juristische Persön-
lichkeit besitzen; vertragsmäßige Rechte und Stiftungsbestimmungen bleiben jedoch durch
die Vorschriften unter d und e unberührt.
Handelt es sich um Fonds, die ganz oder zum Teil für Zwecke bestimmt sind, für
welche auch allgemeine Staatsmittel verwendet werden, so sind über diese Fonds, falls
sie juristische Persönlichkeit besitzen, der Staat aber die alleinige Verfügung über sie hat,
dem Landtage die Nachweisungen über die veranschlagten Einnahmen und Ausgaben bei
den Spezialetats der betreffenden Verwaltungszweige mit Angabe der hauptsächlichsten
Verwendungszwecke zu geben; dies gilt insbesondere auch für die Unterrichts-, wissen-
schaftlichen, Kunst= und ähnlichen Anstalten, welche 1. vom Staate allein oder mit Hilfe
von Zuschüssen Dritter zu unterhalten sind, aber juristische Persönlichkeit besitzen, 2. vom
Staat und von Dritten gemeinschaftlich zu unterhalten sind, 3. von Dritten zu unter-
halten sind, aber vom Staate mit Zuschüssen, die nicht auf rechtlicher Verpflichtung be-
ruhen, unterstützt werden; nicht anwendbar sind diese Vorschriften für die ausschließlich
dem Elementar= oder Fortbildungsunterricht dienenden, sowie für solche Anstalten, die
aus den etatsmäßigen Dispositionsfonds unterstützt werden (§. 3); für gewisse Arten
solcher Fonds kann das Verfahren noch vereinfacht (§. 4) oder mit Zustimmung der
beiden Häuser des Landtages von den Nachweisungen ganz abgesehen werden (§. 5).
Das Seehandlungsinstitut ist in Einnahmen wie Ausgaben budgetrechtlich ganz als
1 Über die Versuche, welche die Reichsregierung
(bis jetzt ohne Erfolg) gemacht hat, die vorhan-
dene Lücke für das Reich durch Erlaß eines
„Gesetzes über die Verwaltung der Einnahmen
und Ausgaben des Reiches“ auszufüllen, vgl.
v. Rönne, Staatsrecht 2, II, S. 160 ff.
* Dazu Allgemeine Verfügung v. 29. Juni
1898 (M. Bl. S. 133).
1898 und Ausführungsbestimmungen v. 8. Junie
Kommentar: Herr-
furth, Das preuß. Etats-, Kassen= u. Rechnungs-
wesen, 5. Aufl., 1910 ff.; O. Schwarz, For-
melle Finanzverwaltung in Preußen und im
Reich, 1907.