Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. 125
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dem durch das abgelaufene Budgetgesetz festgestellten Staatshaushaltsetat des letztver—
flossenen Jahres unverändert in den Entwurf zum Etat des neu angetretenen Jahres
übergegangen sind, ohne besonderen Nachweis ihrer Notwendigkeit sofort zahlbar gemacht
werden können; b) daß alle übrigen in den Entwurf des neuen Staatshaushaltsetats
vorläufig aufgenommenen Ausgaben, also namentlich die der laufenden Verwaltung (Or—
dinarium) angehörigen Ausgabeerhöhungen und alle zur Bestreitung außerordentlicher Be-
dürfnisse bestimmten Ausgabefonds (Extraordinarium) nur dann angewiesen werden dürfen,
wenn entweder eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung besteht, oder die Ausgabe nach
dem Ermessen des Verwaltungschefs ohne Gefahr für den geregelten Gang der Verwal-
tung oder für andere wichtige Staatsinteressen nicht ausgesetzt werden kann“. Die Be-
gründung zu diesem Staatsministerialbeschluß bemerkt, „daß aus der in Art. 109 der
Verfassungsurkunde sanktionierten Forterhebung der bestehenden Steuern die Befugnis der
Regierung, diese Steuern zu den Staatsbedürfnissen zu verwenden, von selbst folge,
daß die Entscheidung darüber, welche Ausgaben bis zur erfolgten gesetzlichen Feststellung
des Ausgabeetats als unzweifelhafte und dringende Staatsbedürfnisse anzusehen sind,
jedem Verwaltungschef innerhalb seines Departements zustehe, und daß für die Not-
wendigkeit derjenigen in den neuen Etatsentwurf ausgenommenen Ausgaben, welche der
laufenden Verwaltung angehören (Ordinarium) und lediglich aus dem vorzährigen fest-
gestellten Etat übernommen sind, eine durch die verfassungsmäßig erfolgte Feststellung
dieses Etats begründete Vermutung spreche““. Dieser Beschluß sowie seine Begründung
fand jedoch in der Zweiten Kammer den entschiedensten Widerspruch.! Es wurde (von
dem Abgeordneten Simson und Gen.) der Antrag gestellt, „daß die Kammer, zur
Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte, die Erklärung abgeben möge, daß das Staats-
ministerium, solange nicht die gesetzliche Feststellung des Staatshaushaltsetats erfolge,
oder doch eine ausdrückliche Zustimmung der Kammern zu einer provisorischen Ver-
längerung des zuletzt vereinbarten Staatshaushaltsetatsgesetzes für einen Teil des nächst-
folgenden Jahres erwirkt worden, nach Art. 99 der Verfassungsurkunde gesetzlich nicht
berechtigt sei, für das nächstfolgende Etatsjahr Ausgaben anweisen und leisten zu
lassen“.“ Denn es gebe nur einen Rechtstitel für die Verausgabung der Steunern
und Staatseinkünfte, nämlich den gesetzlich festgestellten Ausgabeetat des Jahres; von
einer Geltung des Staatshaushaltsetats könne, eben weil er ein Gesetz sei, nicht die
Rede sein vor seiner Publikation; mit dem Ablaufe des Etatsjahres, für welches das
Gesetz erlassen worden, erlösche es von selbst, wie denn auch bei der Revision der
Verfassung von beiden Kammern anerkannt worden sei, daß ohne eine durch die Ver-
fassung gebilligte Verlängerung mit dem letzten Tage des Rechnungsjahres der Ausgabe-
etat zu gelten aufhöre, indem sonst die Staatsregierung es in ihrer Hand haben würde,
durch versagte Zustimmung zu dem neuen Finanzgesetze das alte beliebig zu verlängern.
Der Finanzminister v. Rabe gab jedoch in der Sitzung v. 25. Febr. 18514 die Er-
2. K. vom 24. und
1 Vgl. die Verhandl. der
1850 1
25. Febr. 1851 (Stenogr. ver. der 2. K.
—51, Bd. I, S. 327—361.
2 Vgl. Drucks. der 2. K. 1850—51, Nr. 111.
3 Vgl. die Rede des Abgeordn. Simson in
festgestellte Etat sei, und daß also alle Ausgaben,
die nicht auf einem solchen beruhen, der gesetz-
lichen Basis entbehren"“. Nur von zwei Abge-
vordneten wurde der grundsätzliche Widerspruch
# erhoben, „vor der Verfassung habe die Staats-
regierung den Etat allein festzustellen gehabt;
den Stenogr. Ber. der 2. K. 1850 —51, Bd. I,
S. 327 f. — In gleichem Sinne änußerten sich
auch viele andere Redner (vgl. insbes. die Reden
der Abgeordn. v. Beckerath, a. a. O., S. 333;
Beseler, a. a. O., S. 339, und Frhrn. v. Vincke,
a. a. O., S. 348). Auch hat schon damals der
im übrigen einen abweichenden Standpunkt ein-
nehmende Abgeordn. v. Bodelschwingh (Hagen)
die Frage in demselben Sinne aufgefaßt, indem
er (a. a. S. 344) insbes. ausführte, „daß
der Art. 9 der Verf. Urk. nicht anders verstan-
den werden könne, als daß die einzige gesetzliche
Basis der Staatsausgaben der durch ein Gesetz
dieser unzweifelhafte Rechtsgrundsatz finde jetzt
nach der Verfassung in denjenigen Ausnahme-
fällen noch statt, wo ein Etat nicht zustande kom-
men könne“ (v. Kleist-Retzow, a. a. O., S. 335
—337), und „was geschehen solle, wenn ein
Etatsgesetz nicht zustande komme, darüber schweige
die Verfassung gänzlich; sie sage nirgends, daß
in einem solchen Falle das frühere Recht der Re-
gierung, Ausgaben aus den Staatsmitteln zu
machen, abgeschafft sei“ (v. Bismarck, a. a. O.,
S. 337—339).
4 Vgl. Stenogr. Ber. der 2. K. 1850—51,
Zd. I., S. 346—347.