128 Die Gesetzgebung. (8. 118.)
(Art. 99) nur auf Grund des für jedes Jahr im voraus zu vereinbarenden Etatsgesetzes
oder ausnahmsweise auf Grund besonderer Gesetze bzw. besonderer Bewilligungen des
Landtages geleistet oder gerechtfertigt werden können, und daß daher die Staatsregierung
nicht berechtigt sei, auf Grund eines für ein früheres Jahr festgestellten Staatshaushalts-
etats in einem nachfolgenden Jahre Ausgaben zu bestreiten“. Ohne diesem Beschlusse
des Abgeordnetenhauses weitere Folge zu geben, wurde die Session des Jahres 1862
geschlossen und die Finanzverwaltung bis zum Ende des Jahres 1862 ohne Staats-
haushaltsetat fortgeführt. In der wiedereröffneten Session vom Januar 1863 be-
schränkte die Staatsregierung sich auf die Abgabe der Erklärung, „daß sie in Ermange-
lung eines gesetzlich festgestellten Staatshaushaltsetats nicht habe unterlassen dürfen, alle
diejenigen Ausgaben zu bestreiten, welche zur ordnungsmäßigen Fortführung der Ver-
waltung, sowie zur Erhaltung und Förderung der bestehenden Staatseinrichtungen und
der Landeswohlfahrt notwendig gewesen seien“. 1 Das Haus der Abgeordneten beschloß
nunmehr den Erlaß einer Adresse an den König 2; in dieser wurde ausgesprochen, „daß
das Staatsministerium das in Art. 99 der Verfassungsurkunde gewährleistete oberste Recht
der Volksvertretung — das Recht der Ausgabenbewilligung — verletzt habe, indem das-
selbe verfassungswidrig die Verwaltung ohne gesetzlichen Etat fortgeführt und sogar, ent-
gegen der bestimmten Erklärung des Hauses der Abgeordneten, solche Ausgaben verfügt
habe, welche durch Beschlüsse des Hauses definitiv und ausdrücklich abgelehnt worden“.
Bei den Beratungen darüber legte der Ministerpräsident v. Bismarck den Standpunkt
der Staatsregierung in folgender Weise dar 3: „Das Haus der Abgeordneten könne
durch seinen alleinigen Beschluß das Budget weder in seiner Hauptsumme, noch in seinen
Einzelheiten endgültig feststellen, noch durch seine Beschlüsse über den Staatshaushaltsetat
den Bestand und die Organisation der Armee festsetzen. Durch die vorgeschlagene (und
demnächst beschlossene) Adresse würden dem königlichen Hause seine verfassungsmäßigen
Regierungsrechte abgefordert, um sie der Majorität des Abgeordnetenhauses zu über-
tragen. Diese Forderung kleide das Haus in eine Form ein, daß es die Verfassung
verletzt erkläre, insoweit die Krone und das Herrenhaus sich seinem Willen nicht fügten.
Dem Hause sei bekannt, daß das Ministerium auf Befehl des Königs handle und
namentlich diejenigen Regierungsakte, in welchen das Haus eine Verfassungsverletzung
erblicke, in diesem Sinne vollzogen habe. Man verdecke die Tatsache, daß das Haus
sich im Kampfe mit der Krone um die Herrschaft des Landes befinde und nicht im
Kampfe mit dem Ministerium. Zum Zustandekommen eines jeden Gesetzes, also auch
VII. Legisl. Per., 1. Session, Bd. V. Nr. 173,
S. 1, und Stenogr. Ber. dess. 1862, Bd. VIII,
Anl. Nr. 152, S. 1610) abgelehnt, welches in
seinen Erwägungsgründen, insoweit es sich um
die Verfassungsfrage handelt, mit dem Antrage
der Budgetkomm. auf demselben Boden steht.
Dies Amendement spricht nämlich aus: a) „daß
nach dem Wortlaute und dem klaren Sinne des
Art. 99 der Verf. Urk. alle Staatsausgaben durch
ein Gesetz festgestellt werden müssen, und daß
daher eine Berechtigung zur Leistung solcher Aus-
gaben der Landesvertretung gegenüber nicht exi-
stiert, bevor sie durch ein Gesetz festgestellt wor-
den sind; b) daß das bisherige Verfahren, wonach
bei dem Beginne eines jeden Jahres die durch
das Staatshaushaltsetatsgesetz des vorhergehen-
den Jahres festgestellten fortdauernden Ausgaben
bis zur gesetzlichen Feststellung des neuen Staats-
haushaltsetats einstweilen fortgeleistet worden
sind, bis jetzt niemals als ein verfassungsmäßiges
anerkannt, vielmehr von allen Faktoren der Ge-
setzggebung zugegeben worden ist, daß es eine der
nachträglichen Genehmigung der Landesvertretung
bedürfende Abweichung von dem verfassungsmäßi-
gen Verfahren enthalte; c) daß dies bisherige
Verfahren sich stets nur auf die im Vorjahre
durch das Staatshaushaltsetatsgesetz ausdrücklich
bewilligten fortdauernden Ausgaben erstreckt hat,
somit durchaus nicht als Präzedenzfall für die
fernere Leistung solcher Ausgaben geltend gemacht
werden kann, deren weitere Bewilligung von
dem A. H. ausdrücklich abgelehnt worden ist, und
d) daß der von dem Vorsitzenden des Staats-
ministeriums in der 94. Sitz. der Budgetkomm.
abgegebenen Erklärung keinerlei Folge gegeben
werden könne, ohne die Verfassung des Landes
zu verletzen“.
1 Vgl. die Eröffnungsrede des Ministerpräsi-
denten v. Bismarck v. 14. Jan. 1863 in den
Stenogr. Ber. des A. H. 1863, Bd. I, S. 2.
* 0gl. den Bericht der Adreßkomm. v. 23. Jan.
1863 nebst dem Entw. der Adresse in den Ste-
nogr. Ber. des A. H. 1863, Bd. III, Anl. Nr. 2,
S. 2 ff., und die Verhandl. darüber in den Ple-
narsitz. v. 27., 28. u. 29. Jan. 1863, a. a. O.,
Bd. I, S. 21—138.
* Vgl. die Erklärung des Ministerpräsidenten
v. Bismarck in der Sitz. des A. H. v. 27. Jan.
1863 (Stenogr. Ber. 1863, Bd. I, S. 53—55)