Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. (8. 118.) 139 
der Volksvertretung zu besitzen. Dies ist aber kein verfassungsrechtlicher, sondern ein 
verfassungswidriger Zustand 1, und in dieser Hinsicht ist es rechtlich ganz unerheblich, 
wem sachlich die Schuld zur Last fällt, daß das Etatsgesetz nicht rechtzeitig zustande 
gekommen ist, zumal es an einem zuständigen Richter zur Entscheidung dieser Frage 
gänzlich fehlt. Die entgegengesetzte Lehre verkennt gänzlich den Unterschied, welcher doch 
unleugbar zwischen dem formellen und materiellen Budgetrecht besteht. Staatsrecht- 
lich sind allerdings die Kammern verpflichtet, die auf der Verfassung und auf gesetzlicher 
bzw. rechtlicher Verpflichtung des Staates beruhenden sowie der sonst als notwendig an- 
zuerkennenden Ausgaben zu bewilligen; ein rein willkürliches Verweigerungsrecht findet 
keinen Boden in der bestehenden Verfassung. Wenn aber wegen sachlicher Meinungs- 
verschiedenheit zwischen der Staatsregierung und den Kammern über wichtige Etatsansätze 
der Staatshaushaltsetat nicht zustande kommt, wenn also z. B. das Abgeordnetenhaus 
die gesetzliche Existenz gewisser Einrichtungen, die Notwendigkeit ihrer Fortdauer, die 
Höhe der von der Staatsregierung geforderten Verwendungen, also überhaupt in einer 
oder der anderen Beziehung die Notwendigkeit gewisser Aufwendungen bestreitet, so ver- 
letzt die Staatsregierung den Art. 99 der Verfassungsurkunde, wenn sie, ohne ein Staats- 
haushaltsgesetz zur Vereinbarung gebracht zu haben, die Einnahmen und Ausgaben des 
Staates zu verwalten fortfährt. Es ist der alsdann faktisch eintretende Zustand nicht 
ein verfassungsrechtlicher, sondern unzweifelhaft ein dem Verfassungsrechte wider- 
sprechender. Ein solcher verfassungswidriger Zustand aber kann nur dadurch wieder 
beseitigt oder geheilt werden, daß die fehlende Vereinbarung zwischen der Staatsregierung 
und den Kammern nachträglich herbeigeführt und der Staatsregierung für ihr einseitiges 
verfassungswidriges Verhalten von seiten der Kammern die Indemnität erteilt wird. 
Entgegen dieser aus der richtigen Auffassung des durch die Verfassung anerkannten kon- 
stitutionellen Budgetrechtes sich ergebenden Ansicht 3 ist behauptet worden , daß sich daraus 
Folgerungen ergäben, welche es notwendig machten, anzuerkennen, daß der von der Ver- 
  
1 Laband (in dem Aufsatz in Hirths Ann., S. 394, Note 12). Die „Indemnitätserklärung“ 
Jahrg. 1873, S. 548 ff., Note 3) bezeichnet einen geht von der Unrechtmäßigkeit der Regierungs- 
solchen Zustand nur als einen praktisch be= handlung aus, läßt aber das formelle Unrecht 
stehenden anormalen, der lediglich ein ka= hinter materielle Rücksichtsnahmen zurücktreten 
sueller sei und an sich keine Verfassungsver= (vgl. Grotefend, Das St. N. der Gegenwart, 
letzung oder Verfassungswidrigkeit ent= 58. 619, S. 632, Note 2). Es kann keinem Be- 
halte. Dagegen spricht Zachariä (in den denken unterliegen, daß, da die Führung des 
Götting. gelehrten Anzeigen 1871, Stück 10, Staatshaushalts ohne Staatshaushaltsgesetz und 
S. 378 ff.) sich dahin aus, daß er sich ganz ent= die Leistung verweigerter Staatsausgaben eine 
schieden mit der im Text vertretenen Ansicht ein= Verfassungsverletzung enthält, deshalb die An- 
verstanden erklären müsse, daß die Staatsregierung klage nach Art. 61 der Verf. Urk. erhoben werden 
nur durch das zustande gekommene Budgetgesetz könnte, und zwar bis dahin, daß sic durch Indem- 
die staatsrechtliche Vollmacht und die verfassungs= nitätserteilung beseitigt wird. — In formeller 
mäßige Berechtigung zur Bestreitung der darin Beziehung aber muß (wie auch im J. 1866 ge- 
vereinbarten Ausgaben erhalte. schehen ist) die Indemnität durch ein Gesetz 
2 Das Wort „Indemnität" hat zwar im preuß. erteilt werden, da die Indemnitätserteilung nicht 
Staatsrecht noch kaum eine fest ausgeprägte Be= wie die gewöhnliche Entlastung der Staatsregie- 
deutung erhalten, indes kann es keinem Zweifel rung durch die Kammern nach Vorlegung der 
unterliegen, daß der Begriff der Indemnität Rechnungen über den Staatshaushalt auf einer 
teils die nachträgliche Genehmigung und Gültig= Bestimmung der Verfassung beruht, mithin eine 
erklärung einer ohne gesetzliche Berechtigung vor= bloße einseitige Erklärung der Häuser des Land- 
genommenen Handlung, teils die Entbindung tages keine bindende Kraft haben würde (vgl. 
von den zivilrechtlichen und strafrechtlichen Folgen den zit. Ber. der Budgetkomm. des A. H. vom 
einer gesetzwidrigen Handlung umfaßt (ovgl. den 27. Aug. 1866, a. a. O., S. 139). 
Ber. der Budgetkomm. des A. H. v. 27. Ang. 1866 3 Daß die Richtigkeit dieser Auslegung des 
in den Stenogr. Ber. des A. H. 1866—67, Anl. Art. 99 der Verf. Urk. bei Einbringung des Ent- 
Bd. I, Nr. 39, S. 138, und den Bericht der wurfs des Ges. v. 14. Sept. 1866 betr. die 
Budgetkomm. des H. H. v. 6. Sept. 1866 in den Erteilung der Indemnität usw. auch seitens der 
Stenogr. Ber. des H. H. 1866—67, Anl. Bo. Staatsregierung und demnächst auch wiederholt 
Nr. 15, S. 127). Entlastung und Indem= seitens der Krone in den Thronreden v. 5. Aug. 
nität unterscheiden sich dadurch, daß erstere die 1866 (vgl. oben S. 630, Note 4) und v. 9. Febr. 
Anerkennung einer Ausgabe als gerecht= 1867 (vgl. oben S. 632) anerkannt worden 
fertigt, die andere die Verweigerung dieser ist, möge hier nochmals hervorgehoben werden. 
Anerkennung voraussetzt (vgl. Zöpfl, Grunds. 4 Vgl. Laband, Budgetrecht, S. 76 ff. und 
des gem. D. St. R., 5. Aufl., Teil II, §. 398, in Hirths Ann., Jahrg. 1873, S. 548 ff. 
  
 
	        
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