146 Die Gesetzgebung. (8. 118.)
In dieser Beziehung muß zuvörderst davon ausgegangen werden, daß sie das Recht und
die Pflicht haben muß, alle Rechnungen über die Verwaltung von Staatsvermögen
und Staatseinkünften zur Revision zu ziehen. Es sind ferner die Befugnisse zu be-
stimmen, welche ihr zustehen müssen, damit die Rechnungsrevision ihren Zweck, über
etwaige Vertretungen aus der geführten Verwaltung Gewißheit zu gewähren, erfüllen
kann; endlich sind die Befugnisse festzusetzen, welche nach vollzogener Prüfung der Rech-
nungen von der Oberrechnungskammer in Anspruch zu nehmen sind. Weil es nach
diesen Richtungen hin einer Ergänzung der Rechtsverhältnisse der Oberrechnungskammer
bedurfte, um auch eine Kontrolle der Finanzverwaltung seitens der Volksvertretung im
Sinne des Art. 104 der Verfassungsurkunde zu ermöglichen, hat der Schlußabsatz dieses
Artikels den Erlaß eines dementsprechenden besonderen Gesetzes über die Einrichtung
und die Befugnisse der Oberrechnungskammer vorgeschrieben.! Zur Erfüllung dieser Be-
stimmung der Verfassungsurkunde ist das Gesetz v. 27. März 1872, betreffend die Ein-
richtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer 2, ergangen.
III. Dieses Gesetz bestimmt, indem es einfach den seit 1723 bestehenden Rechts-
zustand festlegt, daß die Oberrechnungskammer eine dem Könige unmittelbar untergeordnete,
den Ministern gegenüber selbständige Behörde sein soll, welche die Kontrolle des gesamten
Staatshaushalts durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Einnahmen und
Ausgaben von Staatsgeldern, über Zugang und Abgang von Staatseigentum und über
die Verwaltung der Staatsschulden zu führen hat (§. 1).3 Sie hat in allen wesentlichen
Beziehungen die Unabhängigkeit einer richterlichen Behörde und faßt alle wichtigen Be-
schlüsse gemäß gesetzlicher Vorschrift in kollegialischer Form. In letzterer Hinsicht be-
stimmt der §. 8 des Gesetzes, daß die Oberrechnungskammer ihre Beschlüsse nach Stimmen-
mehrheit der Mitglieder, einschließlich des Vorsitzenden, welcher bei gleicher Teilung der
1 Zur Erfüllung der Verheißung des Abs. 3 den Beschluß wegen baldigster Vorlage (vgl. Ste-
des Art. 104 der Verf. Urk. hat es eines Zeit= nogr. Ber. des A. H. 1866—67, Bd. III, S. 1771,
raumes von mehr als 22 Jahren bedurft. Beide und Stenogr. Ber. des A. H. 1869, S. 1813
Häuser des Landtages erwarteten von der Ere —1814).
füllung dieser Verheißung das Ende der offen- 29
kundigen Mißstände, welche die Prüfung der wurf' u escine issinan 144 und den Ent-
Rechnung durch die Kammern nahezu unwirksam v iven) in den Stenogr.
und die Entlastung der Staatsregierung fast zu oe16 67/1 1 erren de Lemukteuf=
einer bloßen Formalität machte. An kein un- * 2 A
erfülltes Versprechen der Verf. Urk. ist die Staats- 8 * ean Se- d e iittenst
regierung in beiden Kammern so oft und drin- .. . .,·
gend gemahnt worden. Der Erlaß des Gesetzes RT 5. Mür5 15, /2 Bd en 5 rnol Bea-
wurde von beiden Kammern bereits im Jahre S 512 ff. desal. die Verhandl. im # E "rtu15.
1853 (ogl. Stenogr. Ver. der 2. K. 1852—-53, 16. 17 Fe#r. 1819 (St= —
Bd. III, S. 1527, und Stenogr. Ber. der 1. K. "«’«" # enogr. Ser.
.. des A. H. 1871—72, Bd. II, S. 781—870),
1852—53, Bd. II, S. 1138) und demnächst vom ferner die Verhandl. im H. H. in der Si
A. H. 1855—641 alljährlich, und auch vom HP. H. am HeO. an der itz. v.
.... » .J.-.Vcaxz1872(Stenogx.Ber.desdp.09.18c1
mehrfach in ausdrücklichen Beschlüssen gefordert —72, Bd. I., S. 258—269), sowie die Verhandl
(vgl. hierüber die ausführlichen Mitteilungen iun. 17 » «)n'
. . im A. H. in der Sitz. v. 14. März 1872 (Ste-
der 3. Aufl. dieses Werkes, Bd. I, Abt. 1, §. 67, nogr. Ver. des A. H. 1871—72, Bo. II, S. 875,
S. 429 ff., welche indes jetzt nur noch von histori- 95 « ·"'«· '«"«’
schem Interesse sind). In der ersten Session des «
Jahres 1862 legte die Staatsregierung dann * Der Ber. der Komm. des A. H. v. 30. Jan.
endlich den Gesetzentwurf dem A. H. vor (vgl. 1872 (Stenogr. Ber. des A. H. 1871—72, Aktenst.
denselben (nebst Motiven] in den Stenogr. Ber. Nr. 148, S. 846), bemerkt, daß die im §. 1 des
des A. H. 1862, Bd. II, Aktenst. Nr. 5, S. 20 ff., Gesetzes ausgesprochene volle Selbständigkeit und
und Drucks. des A. H. 1862, Bd. I, Nr. 9), Unabhängigkeit der Oberrechnungskammer in Ver-
welcher von einer mit der Vorberatung betrauten bindung mit den Worten des Abs. 1 des §. 18:
Kommission durchberaten und mehrfach geändert „anter selbständiger, unbedingter Verantwortlich-
wurde (vgl. den Komm. Ber. v. 7. März 1862 keit aufzustellenden Bemerkungen“ nach der von
in den Stenogr. Ber. des A. H. 1862, Bd. II, dem Regierungskommissar erteilten Auskunft die
Aktenst. Nr. 77, S. 481 ff., und Drucks. des A. H. Bedeutung habe, daß die Oberrechnungskammer
1862, Bd. III, Nr. 87), jedoch wegen der dar= durch keine Rücksicht, auch nicht durch die
auffolgenden Auflösung des A. H. nicht zur Be= bisher justifizierenden Kabinettsorders, sich ein-
ratung im Plenum gelangte. Seitdem wieder= schränken lassen dürfe, sofern ein gesetzlicher Grund
holte das A. H. in den Jahren 1867 und 1869 zur Bemerkung vorhanden sei.