Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

(8. 118.) 151 
stimmte Pflicht der Staatsregierung bzw. der Oberrechnungskammer auf Vorlegung 
der Bemerkungen gegenüber. Daß die bloßen Bescheinigungen der Oberrechnungskammer, 
sowohl unter der allgemeinen Rechnung als unter den Spezialrechnungen, keineswegs als. 
diejenigen Bemerkungen anzuerkennen sind, welche der Art. 104 erfordert, ergibt sich aber 
aus der Entstehungsgeschichte dieses Artikels, aus welcher deutlich hervorgeht, daß dabei nicht 
an eine formell-kalkulatorische Bescheinigung, ein bloßes Attest gedacht worden, sondern 
materielle Erinnerungen, welche auf vorgekommene Mängel und Ungehörigkeiten der Ver— 
waltung hinweisen, gemeint sind. Ohne solche materielle Bemerkungen der Oberrechnungs- 
kammer kann die Prüfung der allgemeinen Rechnung nicht zu einer bewußten Uberzeugung 
führen. Dies hat auch die Staatsregierung grundsätzlich nicht bestritten. Es wurde 
daher die Oberrechnungskammer mit der Anweisung versehen, sich nicht auf die bloß 
kalkulatorische Bescheinigung der Richtigkeit der geprüften Rechnungen und der Uberein- 
stimmung der allgemeinen Rechnung mit den Spezialrechnungen zu beschränken, sondern 
auch ihre Erinnerungen über die allgemeine Rechnung des Staatshaushaltsetats und 
gegen das Verfahren der verwaltenden Behörden aufzustellen, welche demnächst den Kam- 
mern mitzuteilen in Aussicht gestellt wurde.? Die durch den Allerh. Erlaß v. 24. Juni 
1862 der Oberrechnungskammer erteilte Anweisung ordnete an 3, daß die aufzustellenden 
Bemerkungen folgendes ergeben sollen: a) welche Etatsüberschreitungen gegen die ein- 
zelnen Kapitel und Titel des nach Art. 99 der Verfassungsurkunde festgestellten" Staats- 
haushaltsetats stattgefunden haben; b) ob außerordentliche Ausgaben, für welche der er- 
wähnte Staatshaushaltsetat keine Deckungsmittel enthält, vorgekommen sind, und c) welche 
Erinnerungen bei der Rechnungsprüfung aus dem Grunde aufgestellt worden, weil das 
Verfahren der verwaltenden Behörden bei der Vereinnahmung oder Erhebung, bei der 
Verausgabung oder Verwendung von Staatsgeldern, oder bei Erwerbung, Benutzung oder 
Veräußerung von Staatseigentum mit den Bestimmungen des gesetzlich festgestellten 
Staatshaushaltsetats in Widerspruch gestanden habe. In der Session des Jahres 1863 
wurden nunmehr dem Hause der Abgeordneten die allgemeinen Rechnungen zum ersten 
Male im Laufe der ganzen Zeit seit Erlaß der Verfassungsurkunde unter Beifügung 
der in Aussicht gestellten „Bemerkungen der Oberrechnungskammer“ vorgelegt.? Schon 
die früheren Berichte der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses v. 16. Juni und 
6. Okt. 1862 " ergeben indes, daß wesentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der 
Staatsregierung und dem Abgeordnetenhaus über die Art und Beschaffenheit der in 
Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. 
  
1 Dies ist sowohl von der Budgetkommission, 
als auch von beiden Häusern der Volksvertre- 
tung wiederholt in eingehendster Weise dargetan 
und erklärt worden. Von einem der erfahren- 
sten Finanzmänner (dem Abgeordn. Kühne) ist 
sogar ohne Widerspruch des Hauses erklärt wor- 
den, „daß die bisherige Art der Erteilung der 
Decharge lediglich ein Gaukelspiel“ sei, da die 
Volksvertretung eine Rechnung genehmige, die 
sie gar nicht prüfen könne (vgl. Stenogr. Ber. 
der 2. K. 1854—55, Bd. II, S. 833). Vgl. 
insbes. auch den Ber. der Budgetkomm. des A. H. 
v. 16. Juni 1862 (Drucks. des A. H. 1862, 
VII. Legisl. Per., 1. Session, Bd. I, Nr. 48, und 
Stenogr. Ber. 1862 des neugewählten A. H., 
Bd. V, Anl. Nr. 39, S. 302 ff.). 
2 Vgl. die Erklärung des Fin. Min. in der 
15. Sitz. des A. H. v. 27. Juni 1862 (Stenogr. 
Ber. 1862, S. 411—4129. 
3 Der Allerh. Erlaß v. 24. Juni 1862 ist zwar 
den Kammern nicht mitgeteilt worden, sein In- 
halt ergibt sich indes aus den infolge desselben 
aufgestellten, dem A. H. mitgeteilten Bemerkun- 
gen der Oberrechnungskammer über den Staats- 
haushalt der Jahre 1859 u. 1860 (vgl. Drucks. 
des A. H. 1863, Nr. 77 u. 127, und Stenogr. 
  
Ber. 1863, Anl. Nr. 65 u. 106, S. 264 ff. u. 
60|1 ff., desgl. Stenogr. Ber. des A. H. 1871—72, 
Anl. Bd. II, Aktenst. Nr. 148, S. 886). Der 
später von dem Referenten der Budgetkomm. ein- 
gesehene Erlaß v. 24. Juni 1862 hat übrigens 
den oben (im Texte) angegebenen Wortlaut, nur 
mit der Abweichung, daß es darin bei dem 
Punkte c) heißt: „welche Erinnerungen bei der 
Revision derjenigen Rechnungen, durch welche 
die Ausführung des gedachten Staats- 
haushaltsetats, sowie der demselben zu- 
grunde liegenden Etats und Nachwei- 
sungen dargetan wird, aus dem Grunde 
aufgestellt worden sind, weil usw.“ (Vgl. den 
Bericht der Budgetkomm. des A. H. v. 14. Jan. 
1864 in den Stenogr. Ber. des A. H. 1864, 
Anl. Bd. IV, Nr. 77, S. 493). 
4 Also nur des durch die Gesetzsamm- 
lung publizierten Staatshaushaltsetats. 
5 Vgl. oben Note 3. 
"# Vxgl. Drucks. des A. H. 1862, VII. Legisl. 
Per., 1. Session, Bd. I, Nr. 48, und Bd. V, 
Nr. 168, desgl. Stenogr. Ber. dess. 1862, Bd. V, 
Anl. Nr. 39, S. 302, und Bd. VIII, Anl. Nr. 154, 
S. 1626.
	        
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