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stimmte Pflicht der Staatsregierung bzw. der Oberrechnungskammer auf Vorlegung
der Bemerkungen gegenüber. Daß die bloßen Bescheinigungen der Oberrechnungskammer,
sowohl unter der allgemeinen Rechnung als unter den Spezialrechnungen, keineswegs als.
diejenigen Bemerkungen anzuerkennen sind, welche der Art. 104 erfordert, ergibt sich aber
aus der Entstehungsgeschichte dieses Artikels, aus welcher deutlich hervorgeht, daß dabei nicht
an eine formell-kalkulatorische Bescheinigung, ein bloßes Attest gedacht worden, sondern
materielle Erinnerungen, welche auf vorgekommene Mängel und Ungehörigkeiten der Ver—
waltung hinweisen, gemeint sind. Ohne solche materielle Bemerkungen der Oberrechnungs-
kammer kann die Prüfung der allgemeinen Rechnung nicht zu einer bewußten Uberzeugung
führen. Dies hat auch die Staatsregierung grundsätzlich nicht bestritten. Es wurde
daher die Oberrechnungskammer mit der Anweisung versehen, sich nicht auf die bloß
kalkulatorische Bescheinigung der Richtigkeit der geprüften Rechnungen und der Uberein-
stimmung der allgemeinen Rechnung mit den Spezialrechnungen zu beschränken, sondern
auch ihre Erinnerungen über die allgemeine Rechnung des Staatshaushaltsetats und
gegen das Verfahren der verwaltenden Behörden aufzustellen, welche demnächst den Kam-
mern mitzuteilen in Aussicht gestellt wurde.? Die durch den Allerh. Erlaß v. 24. Juni
1862 der Oberrechnungskammer erteilte Anweisung ordnete an 3, daß die aufzustellenden
Bemerkungen folgendes ergeben sollen: a) welche Etatsüberschreitungen gegen die ein-
zelnen Kapitel und Titel des nach Art. 99 der Verfassungsurkunde festgestellten" Staats-
haushaltsetats stattgefunden haben; b) ob außerordentliche Ausgaben, für welche der er-
wähnte Staatshaushaltsetat keine Deckungsmittel enthält, vorgekommen sind, und c) welche
Erinnerungen bei der Rechnungsprüfung aus dem Grunde aufgestellt worden, weil das
Verfahren der verwaltenden Behörden bei der Vereinnahmung oder Erhebung, bei der
Verausgabung oder Verwendung von Staatsgeldern, oder bei Erwerbung, Benutzung oder
Veräußerung von Staatseigentum mit den Bestimmungen des gesetzlich festgestellten
Staatshaushaltsetats in Widerspruch gestanden habe. In der Session des Jahres 1863
wurden nunmehr dem Hause der Abgeordneten die allgemeinen Rechnungen zum ersten
Male im Laufe der ganzen Zeit seit Erlaß der Verfassungsurkunde unter Beifügung
der in Aussicht gestellten „Bemerkungen der Oberrechnungskammer“ vorgelegt.? Schon
die früheren Berichte der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses v. 16. Juni und
6. Okt. 1862 " ergeben indes, daß wesentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der
Staatsregierung und dem Abgeordnetenhaus über die Art und Beschaffenheit der in
Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung.
1 Dies ist sowohl von der Budgetkommission,
als auch von beiden Häusern der Volksvertre-
tung wiederholt in eingehendster Weise dargetan
und erklärt worden. Von einem der erfahren-
sten Finanzmänner (dem Abgeordn. Kühne) ist
sogar ohne Widerspruch des Hauses erklärt wor-
den, „daß die bisherige Art der Erteilung der
Decharge lediglich ein Gaukelspiel“ sei, da die
Volksvertretung eine Rechnung genehmige, die
sie gar nicht prüfen könne (vgl. Stenogr. Ber.
der 2. K. 1854—55, Bd. II, S. 833). Vgl.
insbes. auch den Ber. der Budgetkomm. des A. H.
v. 16. Juni 1862 (Drucks. des A. H. 1862,
VII. Legisl. Per., 1. Session, Bd. I, Nr. 48, und
Stenogr. Ber. 1862 des neugewählten A. H.,
Bd. V, Anl. Nr. 39, S. 302 ff.).
2 Vgl. die Erklärung des Fin. Min. in der
15. Sitz. des A. H. v. 27. Juni 1862 (Stenogr.
Ber. 1862, S. 411—4129.
3 Der Allerh. Erlaß v. 24. Juni 1862 ist zwar
den Kammern nicht mitgeteilt worden, sein In-
halt ergibt sich indes aus den infolge desselben
aufgestellten, dem A. H. mitgeteilten Bemerkun-
gen der Oberrechnungskammer über den Staats-
haushalt der Jahre 1859 u. 1860 (vgl. Drucks.
des A. H. 1863, Nr. 77 u. 127, und Stenogr.
Ber. 1863, Anl. Nr. 65 u. 106, S. 264 ff. u.
60|1 ff., desgl. Stenogr. Ber. des A. H. 1871—72,
Anl. Bd. II, Aktenst. Nr. 148, S. 886). Der
später von dem Referenten der Budgetkomm. ein-
gesehene Erlaß v. 24. Juni 1862 hat übrigens
den oben (im Texte) angegebenen Wortlaut, nur
mit der Abweichung, daß es darin bei dem
Punkte c) heißt: „welche Erinnerungen bei der
Revision derjenigen Rechnungen, durch welche
die Ausführung des gedachten Staats-
haushaltsetats, sowie der demselben zu-
grunde liegenden Etats und Nachwei-
sungen dargetan wird, aus dem Grunde
aufgestellt worden sind, weil usw.“ (Vgl. den
Bericht der Budgetkomm. des A. H. v. 14. Jan.
1864 in den Stenogr. Ber. des A. H. 1864,
Anl. Bd. IV, Nr. 77, S. 493).
4 Also nur des durch die Gesetzsamm-
lung publizierten Staatshaushaltsetats.
5 Vgl. oben Note 3.
"# Vxgl. Drucks. des A. H. 1862, VII. Legisl.
Per., 1. Session, Bd. I, Nr. 48, und Bd. V,
Nr. 168, desgl. Stenogr. Ber. dess. 1862, Bd. V,
Anl. Nr. 39, S. 302, und Bd. VIII, Anl. Nr. 154,
S. 1626.