160 Die Gesetzgebung. (§. 119.)
Zweck des Satzteils des Art. 109 ursprünglich ein ganz anderer gewesen ist, als die
Bestimmung des Art. 100 wirkungslos zu machen, wie es jetzt der Fall ist, wo durch
den Art. 100 in Verbindung mit Art. 109 das Steuerbewilligungsrecht der Kammern
so ziemlich auf das Maß des dem Vereinigten Landtage eingeräumt gewesenen Steuer-
bewilligungsrechts zurückgeführt worden ist. Dies bestätigt aber die Entstehungsgeschichte
des Satzteils des Art. 109 bis zur Gewißheit. Derselbe findet sich nämlich zuerst
(wörtlich gleichlautend) in dem §. 82 des Regierungsentwurfs v. 20. Mai 1848. Da-
mals fand die Staatsregierung diese Bestimmung notwendig, weil einer Verfassung erst
entgegengesehen wurde, also ein Budget, welches erst von den zu konstituierenden Kam-
mern geschaffen werden konnte, noch nicht existierte, und weil deshalb der Meinung ent-
gegengetreten werden mußte, als solle bis zur Vereinbarung des Budgetgesetzes jede
Steuerzahlung sistiert sein. §. 82 des Regierungsentwurfs ist dann unverändert in den
Verfassungsentwurf der Verfassungskommission der Nationalversammlung (Art. 109) über-
gegangen; er ist aber auch da nicht in den Titel von den Finanzen aufgenommen,
sondern (ebenso wie es mit Art. 82 des Regierungsentwurfs der Fall war) unter den
„allgemeinen Bestimmungen“ stehen geblieben. Unter diesen allgemeinen Bestimmungen
des Regierungsentwurfs und des Entwurfs der Verfassungskommission der Nationalver=
sammlung waren aber sowohl diejenigen enthalten, die ihrer Natur nach ganz unzweifel-
haft nur vorübergehender Natur sein konnten, als auch diejenigen, die zunächst nur
die Ausführung der Verfassung betrafen und in keinem andern Titel Platz finden
konnten. Diesen Titel von den „allgemeinen Bestimmungen“ hat hierauf die oktroyierte
Verfassungsurkunde v. 5. Dez. 1848 in zwei Titel geteilt, nämlich in „allgemeine
Bestimmungen“ und „Übergangsbestimmungen“ sie hat den jetzigen Art. 109,
welcher in ihr den Art. 108 bildete, unter die „allgemeinen Bestimmungen“ gesetzt,
während derselbe nach der ursprünglichen Absicht sowohl der Staatsregierung als der
Verfassungskommission der Nationalversammlung nur die Tragweite einer vorüber-
gehenden Bestimmung (nämlich bis zur Vereinbarung des Budgetgesetzes) haben sollte.
In dieser Bedeutung stand der Satzteil des jetzigen Art. 109 in vollster Überein-
stimmung und Konsequenz mit den von der Finanzverwaltung handelnden Art. 99
und 100; er derogierte ihnen nirgends; dagegen ist es, wenn man ihm eine mehr als
vorübergehende Bedeutung hätte beilegen wollen, nicht abzusehen, wie er dann von den
Art. 99 und 100 irgend hätte getrennt werden können; er wäre diesen vielmehr voraus-
zustellen gewesen, wonach dann alles übrige von den Finanzen hätte abgemessen.
werden müssen, während jetzt der Art. 109 dem Art. 100 geradezu widerspricht und ihn
aufhebt. Vertreter der Staatsregierung haben dagegen behauptet, ein unlösbarer Wider-
spruch zwischen dem Art. 100 und dem Satzteil des Art. 109 bestehe nicht, sondern die
Art. 99 und 100 seien bestimmt, das Verhältnis der Kammern zur Staats-
regierung zu regeln, während der Satzteil des Art. 109 nur das Verhältnis der
Steuerpflichtigen zur Regierung feststellen und daher auf das Verhältnis der
Kammern zur Regierung ohne Einfluß bleiben solle. Ferner ist von der Staatsregierung
bestritten worden, daß der Art. 109 nur eine transitorische Bedeutung haben könne.?
Dieser Versuch zur Vereinigung der Art. 100 und 109 ist indes von keinem praktischen
Erfolge. Denn wenn (nach Art. 109) die Steuerpflichtigen die bestehenden Steuern fort-
entrichten müssen, ohne daß diese im Budget des Jahres stehen, so ist es wenig erheblich,
ob die Kammern sie in das Budget aufnehmen oder nicht. lberdies widerlegt sich die
1 Vgl. die Komm. Ber. beider Kammern und a. O., S. 775). Vgl. auch die Erörter. des
die Plenarverhandl. derselben in den Stenogr. Abgeordn. Waldeck in der Sitz. des A. H. vom
Ber. 1849— 50 der 2. K., S. 379—422 und 13. Mai 1865 (Stenogr. Ber. des A. H. 1865,
S. 1734 ff., und der 1. K., S. 1108—65 und B/d. III, S. 1479—81), dagegen der Abgeordn.
S. 2034 ff. Gegen die im Texte vertretene Aus- Gneist“ (a. a. O., S. 1485).
legung der Art. 99 u. 100 in der Verbind. mit 2 Vgl. die Erklär. des Fin. Min. v. Rabe
dem Art. 109 die Erörter, des Abgeordn. Wal= und des Min. Präsid, v. Manteuffel in den.
deck in der Sitz. des A. H. v. 19. Jan. 1864 Stenogr. Ber. der 1. K. 1849—50, Bd. III, S.
(Stenogr. Ber. des A. H. 1864, Bd. II, S. 769 1140 u. 1145.
— 772), dagegen der Abgeordn. Osterrath (a.