Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

164 Die Gesetzgebung. (§. 120.) 
dierten Schuld, zu unterscheiden ist die sog. schwebende Schuld (dette flottante). 
Die durch Gesetz festgestellte fundierte Schuld ruht auf dem Staate in seiner Gesamt- 
heit; es können indes auch schwebende Verwaltungsschulden des Staates dadurch entstehen, 
daß die Fälligkeitstermine der Einnahmen und der Ausgaben des Staates, wie in jedem 
geschäftlichen Betriebe, nicht immer zusammenfallen und hierdurch ein Bedarf des Staates 
eintritt, welcher erst durch spätere Einnahmen wieder gedeckt werden kann. Solche Ver- 
waltungsschulden sind der Natur der Sache nach nicht zu vermeiden, und es wird sich 
dagegen insbesondere kein gegründetes Bedenken erheben lassen, wenn dadurch etatsmäßige 
Einnahmen zu etatsmäßigen Ausgaben nur vorweggenommen werden oder wenn unab- 
wendbare außerordentliche Staatsbedürfnisse eintreten. Die unfundierten Staatsschulden 
sind aber entweder Staatsschulden im engeren Sinne oder bloße Rechnungsschulden. 
Von der letzteren Art sind alle in die Klasse der Staatsschulden förmlich nicht auf- 
genommene Schulden der Staatskasse, welche die Natur eines Ausgaberückstandes aus 
einer laufenden Staatsverwaltungsrechnung haben, wie der Rückstand einer der Staats- 
kasse obliegenden jährlichen Leistung oder einer Zahlung für ordentlichen Staatsaufwand 
eines bestimmten Rechnungsjahres, und alle Ausgaben, die unter dem Voranschlag (Etat) 
eines bestimmten Rechnungsjahres nicht begriffen sind. Zu der ersteren Gattung 
gehören dagegen alle Schulden, die (verzinsbar oder nicht) als Rückstände der ge- 
nannten Art nicht zu erachten sind. Wenn die Staatsregierung in betreff solcher 
schwebenden Verwaltungsschulden die Mittel besitzt, sie zur gehörigen Zeit aus den Jahres- 
einnahmen einzulösen, so erledigen sie sich von selbst; den Kammern ist alsdann ihre 
darauf bezügliche Mitwirkung durch die Bestimmungen des Art. 104 der Verfassungs- 
urkunde angewiesen. Wenn jedoch eine solche Deckung innerhalb des Budgets nicht 
möglich ist, muß die Staatsregierung die Genehmigung der Kammern nachträglich ein- 
holen; es treten dann die Bestimmungen des Art. 103 der Verfassungsurkunde in 
Wirksamkeit, wenn die schwebende Schuld in eine fundierte verwandelt werden soll. 
Nach erfolgter Konsolidierung geht dann die schwebende Schuld vollständig in die 
eigentliche Staatsschuld über. Es ist gebräuchlich geworden, daß dem Finanzminister 
für Vorwegnahmen der hier in Rede stehenden Art gesetzlich ein Maximalkredit be- 
willigt wird, und zwar in der Form, daß der Staatsregierung die Ermächtigung zur 
Ausgabe verzinslicher Schatzanweisungen mit kurzer Umlaufszeit erteilt und auch die 
Verwaltung solcher vorläufigen Anleihen der Hauptverwaltung der Staatsschulden über- 
tragen wird. 
Die Form, in welcher im preußischen Staate fundierte Staatsschulden aufge- 
nommen werden, ist die, daß Staatsobligationen ausgestellt werden, welche den 
Nennbetrag der Schuld enthalten, und daß der Staat diese Obligationen verkauft 
(Emission und Emissionskurs) in der Weise, daß er für den Kaufpreis den jährlichen 
Zins, welcher gegen Überreichung des Kupons ausgezahlt wird, zu bezahlen verspricht. 
Die Schuldscheine sind auf den Inhaber ausgestellt, und zwar so daß dem Gläubiger 
kein Kündigungsrecht zusteht, während ein solches dem Staate vorbehalten ist. Dem- 
zufolge ist es, wenn nicht bei der Aufnahme der Anleihe das Gegenteil vereinbart 
worden ist, rechtlich zulässig, wenn der Staat, gegen das Anerbieten des auszuzahlenden 
Nominalbetrages, denjenigen Gläubigern gegenüber, welche dieses Anerbieten nicht an- 
nehmen, eine Zinsreduktion vornimmt. In dieser Beziehung ist indes die Frage 
  
1 Hierher gehören insbes. auch solche (verzins- 
1850—51, S. 644 ff. u. S. 703 ff., desgl. den 
liche) Anerkenntnisse, welche nach §. 13 des Ges. 
Komm. Ber. a. a. O., Bd. III, S. 563 ff. Die 
v. 11. Mai 1851 (G. S. 1851, S. 361)), jetzt 
nach §. 20 des Reichsges. v. 13. Juni 1873 (R. 
G. Bl. 1873, S. 134) über Kriegsleistungen und 
deren Vergütung ausgestellt werden können. 
2 Über die Streitfrage, ob die Staatsregierung 
verfassungsmäßig überhaupt berechtigt sei, ohne 
vorherige Zustimmung der Kammern Anerkennt- 
nisse über Verwaltungsschulden auszustellen, vgl. 
die Erörter. in der 2. K. in den Stenogr. Ber. 
  
Frage ist bereits bei dem ersten Verein. Landtage 
zur Sprache gekommen (vgl. Rauer, Verhandl. 
des Verein. Landtages, S. 118—190, und dessen 
ständ. Gesetzgeb. der preuß. Staaten, neue Folge 
Abt. 2, S. 184—187). 
8 Dagegen würde jede anderweite willkürliche 
Herabsetzung des Zinsfußes, Zahlung der Zinsen 
in verschlechterten Münzsorten oder in uneinlös- 
barem Papiergelde widerrechtlich sein.
	        
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