Die Zulassung von Religionsgesellschaften. (8. 123.) 171
durch den Zusammenschluß mehrerer Gemeinden entstand die Synode, welche die höchste
Autorität der Kirche verkörperte. Diese sog. Presbyterial= und Synodalverfassung,
welche mit einigen Modifikationen später auch bei den kleve-märkischen Lutheranern Ein-
gang fand, hat sich indes auch hier unter der Herrschaft des evangelischen Landesherrn
nicht in vollständiger Selbständigkeit erhalten, sondern es hat später eine unmittelbare
Einwirkung der Fürsten Platz gegriffen. Auch als im Jahre 1835 die Synodal= und
Presbyterialverfassung durch die Kirchenordnung für Rheinland und Westfalen v. 5. März
1835 erneute Bestätigung erhielt, geschah dies nur so, daß mit ihr das Prinzip der
Konsistorialverfassung vereinigt wurde. 7
Zweiter Titel.
Die einzelnen Außerungen der Kirchenhoheit.
S. 123.
A) Die Zulassung von Religionsgesellschaften.
I. Das Recht der Zulassung (Aufnahme, Anerkennung; jus receptionis, jus
reformandi) besteht in der Befugnis des Staates, die Bildung von Religionsgesell-
schaften in seinem Gebiete zu gestatten und die Bedingungen ihres Bestehens vorzu-
schreiben. Dieses Recht gehört unzweifelhaft zu den in der Kirchenhoheit enthaltenen
Hoheitsrechten des Staates.3 Das Allgemeine Landrecht ", welches heimliche Zusammen-
künfte, die der Ordnung und Sicherheit des Staates gefährlich werden könnten, auch
unter dem Vorwande des häuslichen Gottesdienstes, nicht duldete 5, gestattete die Ver-
bindung mehrerer Einwohner des Staates zu Religionsübungen, jedoch nur unter dessen
Genehmigung“, und sprach schon hierdurch aus, daß dem Staate das Recht zustehe,
1 Richter-Dove-Kahl, Kirchenr., 8§.151 ff.;
Friedberg, S. 100ff.
2 Richter-Dove-Kahl, Kirchenr., 8§. 70 ff.,
98 f.; Jakobson, §. 25; Thudichum, Deut-
sches Kirchenrecht, Bd. I, 1877, S. 125 ff., 192 ff.;
Kahl, Lehrsystem, S. 289 ff. (Bekenntnisfreiheit),
315 ff.; Hinschius, Staat und Kirche, S. 208 ff.,
233 ff.; Fürstenau, Grundrecht der Religions=
freiheit, S. 74 ff.; Zorn, Die Hohenzollern und
die Religionsfreiheit, 1896; Wentzl, Die Ent-
wicklung der Bekenntnisfreiheit in Brandenburg-
Preußen und ihr heutiger Stand, Dissertation,
Stettin 1909; Stutz, a. a. O., S.399 ff., 405 ff.;
Schoen, Bd. I, S. 160 ff.; Anschütz, Die
Verf. Urk. für den preuß. Staat, Bd. I, 1912,
S. 183 ff.; Hinschius-Smend, Art. Gewissens-
freiheit, in v. Stengel-Fleischmanns W. St. V. R. 2,
Bd. II, S. 285 ff.; Kahl, Art. Kirchenhoheit,
ebenda S. 572 ff.; Kaufmann, Kirchenrechtl.
Bemerkungen über die Entstehung des Begriffs der
Landeskirche, 1911; Bornhak, Pr. St. R.2,
Bd. III, S. 647 ff.
3 Der Westfälische Friede hat nur den recht-
lichen Bestand der evangelischen Kirche neben der
katholischen im Reiche zur grundgesetzlichen An-
erkennung gebracht und die rechtliche Stellung
dieser beiden Konfessionen zueinander nach dem
Prinzip der Rechtsgleichheit geordnet; da-
gegen beabsichtigte er keineswegs, ein unbeschränk-
tes Recht zur beliebigen Bildung neuer Reli-
gionsgesellschaften zu gründen, sondern die gegen
andere Religionsgesellschaften und insbesondere
gegen das Sektenwesen ergangenen früheren Reichs-
gesetze blieben aufrecht erhalten. Auch ging dieser
Friede von der Annahme aus, daß das Recht, die
eine oder die andere der beiden Konfessionen in
dem Lande aufzunehmen, d. h. nach deren Be-
kenntnis den öffentlichen Gottesdienst im Lande
umzugestalten (jsus rekormandi), ein unzweifel-
haft in der Landeshoheit begründetes Recht der
Landesherren sei, welches diesen nicht zu entziehen,
sondern nur auf bestimmte Schranken zurückzu-
führen sei. Zorn, S. 147; Schoen, Landes-
kirchentum in Preußen, 1898, S. 32 f.; Schoen,
Kirchenrecht, Bd. I, S. 160 ff.; v. Bonin, Die
praktische Bedeutung des jus reformandi, in
Stutz' Kirchenrechtl. Abhandl., Heft 1, 1902;
Greiff, Das staatliche Reformationsrecht, 1903.
4 Hinschius, Das preuß. Kirchenrecht im
Gebiete des A. L. R., in Kochs Komment. zum
A. L. R., 1884; Trusen, Das preuß. Kirchen-
recht im Bereiche der evangel. Landeskirche, 1883;
lbersicht über die Entwicklung vor dem A. L. R.
bei Schoen, Bd. l, S. 161—166.
5 A. L. R., II, 11, §. 9; später ersetzt durch
das Ges. v. 11. März 1850 über die Verhütung
eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung ge-
fährdenden Mißbrauchs des Versammlungs= und
Vereinigungsrechts. Vgl. auch Reichsvereinsgesetz
v. 19. April 1908, S. 24.
5 A. L. R., II, 11, §. 10. Dieser Genehmi-
gung bedarf es zufolge Art. 12 der preuß. Verf.
Urk. nicht mehr; es gelten die Vorschriften des
Vereinsrechts (Hinschius, a. a. O., S. 510).