Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

172 Staat und Kirche. (8. 123.) 
zu prüfen und zu beschließen, ob und in welchem Umfang einer neuen Religionsgesell- 
schaft die Befugnis zur Ausübung ihres Gottesdienstes zu erteilen oder zu versagen sei. 
Ferner bestimmte das Allgemeine Landrecht, daß jede Kirchengesellschaft 1 verpflichtet sei, 
„ihren Mitgliedern Ehrfurcht gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue 
gegen den Staat und sittlich gute Gesinnungen gegen ihre Mitbürger einzuflößen“ 2, und 
indem es verbot, „Religionsgrundsätze, welche diesem zuwider sind, im Staate zu lehren 
und auszubreiten“ 3, behielt es dem Staate die Befugnis vor, „dergleichen Grundsätze, 
nach angestellter Pritfung, zu verwerfen und deren Ausbreitung zu untersagen“. 4 Ins- 
besondere sollte jede Kirchengesellschaft, die als solche auf die Rechte einer geduldeten An- 
spruch machen wolle, „sich bei dem Staate gebührend melden und nachweisen, daß die 
von ihr gelehrten Meinungen nichts enthalten, was dem oben gedachten Grundsatze (8. 13) 
zuwiderläuft“.? Die landrechtliche Gesetzgebung nahm also gleichfalls für den Staat das 
sog. Reformationsrecht vollständig in Anspruch. In betreff der Zulassung von Re- 
ligionsgesellschaften unterschied das Allgemeine Landrecht sodann zwischen den vom Staate 
ausdrücklich aufgenommenen Kirchengesellschaften, welche als solche die Rechte pri- 
vilegierter Korporationen haben 65, und den zwar genehmigten, aber nicht öffentlich auf- 
genommenen Religionsgesellschaften (geduldeten Kirchengesellschaften), welche nur die 
Befugnisse geduldeter Gesellschaften besitzen.“ Unter Bezugnahme auf diese Grundsätze 
des Allgemeinen Landrechtes und in Bestätigung seiner Bestimmungen über Glaubens- 
und Religionsfreiheit hat demnächst das Patent v. 30. März 1847, betreffend die Bil- 
dung neuer Religionsgesellschaften 3, ausgesprochen, daß den Untertanen „nach Maßgabe 
der allgemeinen Landesgesetze die Freiheit der Vereinigung zu einem gemeinsamen Be- 
kenntnisse und Gottesdienste zu gestatten sei“. Indem dieses Patent einerseits den bis 
dahin ausdrücklich aufgenommenen Kirchen?, nämlich der evangelischen und der römisch- 
katholischen, nach wie vor den landesherrlichen Schutz zusichert, gestattet es andererseits 
jedem Untertan die volle Freiheit des Austritts aus seiner Kirche und die Vereinigung 
zu besonderen Religionsgesellschaften ohne allen Nachteil im Genusse der bürgerlichen Rechte 
und Ehren; nur sollen auch solche neu gebildete Religionsgesellschaften verpflichtet sein, 
sich in allen Angelegenheiten, die sie mit anderen bürgerlichen Gesellschaften gemein 
haben, nach den Gesetzen des Staates zu richten, welchen Gesetzen auch die Oberen und 
die einzelnen Mitglieder in allen Vorfällen des bürgerlichen Lebens unterworfen sind, 
soweit nicht der Staat Ausnahmen hiervon ausdrücklich zugelassen hat.10 Das Patent 
behält aber dem Staate das Recht vor, die Verbindung einzelner zu Religionsübungen 
und gemeinschaftlichen Zusammenkünften zu genehmigen oder zu verbieten, und es 
sollen auch im ersteren Falle dergleichen Verbindungen nur als erlaubte Privatgesell- 
schaften angesehen werden 11, so daß also auch hier wiederum dem Staate das Auf- 
nahmerecht ausdrücklich vorbehalten worden ist. Endlich erklärt das Patent es unter 
bestimmten Voraussetzungen für zulässig, einer neuen Kirchengesellschaft noch besondere 
Berechtigungen durch landesherrliche Konzessionen zu erteilen. Es wird somit hinsicht- 
lich des Aufnahmerechts zwischen öffentlich aufgenommenen privilegierten 52, 
  
1 Unter „Kirchengesellschaften“ begreift das aufgenommenen privilegierten Kirchengesellschaften 
A. L. R. alle Religionsgesellschaften, die sich (ecclesiae receptae) gehörten die lutherische, die 
zur öffentlichen Feier des Gottesdienstes ver= reformierte und die katholische Kirche (Rel.-Edikt 
bunden haben. A. L. R., II, 11, §. 11; Hin= v. 9. Juli 1788). Hinschius, S. 12ff., Anm. 29; 
schius, a. a. O., S. 1025; Anschütz, Verf. Urk.. Schoen, Bd. I, S. 164 ff.; Anschütz, Verf. 
Bd. 1, S. 199 ff., 238 f. Urk., Bd. I, S. 184, 185. 
2 A. L. R., II, 11, §. 13; seit Verf. Urk. !7 A. a. O., §§. 20, 22; Hinschius, a. a. O., 
(Art. 12, 15) aufgehoben (Hinschius, S. 1127,S-. 12 ff., Anm. 29. 
Anschütz, Verf. Urk., Bd. I, S. 318 f.). § G. S. 1847, S. 121; Hinschius, S. 5 ff. 
3 A. a. O., §. 14; dazu jedoch Verf. Urk., Art. 12, ° Das Patent sagt: „den in Unseren Staaten ge- 
27, 30, Reichspreßges. v. 7. Mai 1874, Reichs= schichtlich und nach Staatsverträgen bevorrechteten. 
vereinsges. v. 19. April 1908, §. 24; Hin= Kirchen, der evangel. u. der römisch-katholischen“. 
schius, S. 1127. 10 Das Patent verweist auf die §§. 5, 6, 27 
4 A. a. O., §. 15. —31, 112 A. L. R., II, 11; Hinschius, S. 6f. 
5 A. a. O., §. 21; seit Verf. Urk. (Art. 12) 11 A. L. R., II, 11, §§. 9, 10; A. L. R., II, 6, 
aufgehoben inschtus S. 1734 §§. 1—4, 11—14; Hinschius, S. 7. 
  
„88. 17, 96. Zu den ausdrücklich 12 Vgl. oben Anm. 6.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.