178 Staat und Kirche. (8. 124.)
die freie Leitung ihrer Angelegenheiten zugesichert hatte; daraus folgte, daß der Staat
sich seitdem nicht mehr in die Bestellung der Religionsdiener einmischen durfte. Art. 18
hat indes mehrere Ausnahmen von diesem Grundsatze festgestellt, die durch die Aufhebung
des Grundsatzes selbst nicht berührt worden sind.
1. Das Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl= und Bestätigungsrecht bei Besetzung
kirchlicher Stellen besteht fort, soweit es auf Grund des Patronatrechtes dem
Landesherrn (oder Privatpersonen) zusteht. Nur dasjenige Mitwirkungsrecht des Staates
bei Besetzung kirchlicher Stellen ist aufgehoben worden, welches dem Landesherrn jure
territoriali zugestanden hat 2; aufrecht erhalten ist dagegen das Recht des Staates
zur Besetzung aller dem landesherrlichen („fiskalischen") Patronatrechte unterworfenen
geistlichen Stellen (sowie das Vorschlags= und Wahlrecht, welches Privatpatronen und
Gemeinden zusteht).5
2. Es besteht dasjenige Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl= und Bestätigungsrecht
bei Besetzung kirchlicher Stellen fort, welches auf besonderen Rechtstiteln (außer
dem Patronat) beruht. Dadurch sind vor allem diejenigen Rechtsverhältnisse aufrecht er-
halten worden, welche durch die mit dem päßpstlichen Stuhle hierüber getroffenen Ab-
kommen festgestellt worden sind."
1 Uber die derogatorische Wirkung des Art. 18
und deren Ausnahmen Anschütz, Verf. Urk., Bd. 1,
S. 352—359.
2 In der Kirchenhoheit ist an sich nur das
Recht auf Uberwachung des kirchlichen Amter-
wesens und auf Abwehr staatsgefährlicher Ver-
leihungen begriffen. Die Landesherren sind aber
durch die verschiedensten Titel in den Besitz von
Patrongten gelangt und haben außerdem häufig
durch Ubertragung des Ernennungsrechtes ihre
Teilnahme an der Besetzung der Kirchenämter er-
weitert. Mit der Entwicklung der territorialisti-
schen Anschauungsweise sind die landesherrlichen
Patronate häufig als Ausflüsse der Landeshoheit
aufgefaßt worden. So unhbestritten indes dem
Landesherrn für diejenigen Kirchenpfründen, deren
Patron er ist, das im Patronatsrecht liegende
Präsentationsrecht der Geistlichen zusteht,
hat doch ein sog. Landespatronatsrecht,
kraft dessen der Landesherr als solcher prin-
zipiell ein Präsentations= oder Ernennungsrecht
zu allen geistlichen Benefizien im Staatsgebiete
hätte, gemeinrechtlich niemals bestanden (Richter-
Dove-Kahl, Kirchenrecht, §§. 187 ff.; Walter,
Kirchenrecht, §. 234; Hinschius, Das landes-
herrliche Patronatsrecht, 1856). Jedenfalls hat
aber Art. 18 der Verf. Urk. sowohl das aus dem
Oberaufsichtsrechte des Staates fließende Recht
des Landesherrn auf Anstellung, Vorschlag, Wahl
und Bestätigung von Kirchendienern als auch
sein aus jenem sog. „Landespatronat" hergeleitetes
Recht beseitigt, und nur in den im Art. 18 aus-
drücklich bezeichneten Ausnahmefällen noch eine
Teilnahme des Staates zugelassen. — Hiernach
modifiziert sich für die Provinz Hannover auch der
im §. 72 des Landesverfassungsges. f. Hannover
v. 6. Aug. 1840 und im §. 26 des Verfassungs-
änderungsges. v. 5. Sept. 1848 ((G. S. f. Hannover
1840, Abt. I, S. 141; 1848, Abt. I, S. 261) aus-
gesprochene Grundsatz, daß die nicht unmittelbar
vom Könige oder seinen Behörden, sondern von
Dritten ernannten oder präsentierten Pfarrer und
anderen höheren Kirchendiener der evangel. und
röm.-kathol. Kirche der Bestätigung des Königs
bedürfen, welche jedoch ohne erhebliche Gründe
nicht verweigert werden soll. Die mit Ermäch-
tigung des Min. d. geistl. Ang. erlassenen Be-
scheide des Oberpräsidenten der Provinz Han-
nover v. 19. Dez. 1868 an die Bischöfe von
Hildesheim und Osnabrück (Nr. 9645) haben
denn auch ausdrücklich den Fortfall der in dem
Landesverfassungsges. v. 6. Aug. 1840 berührten
landesherrlichen Zuständigkeiten anerkannt.
2 Anschütz, Verf. Urk., Bd. I, S. 354 f.
*! In Betracht kommen für Altpreußen die
Bulle De salute animarum v. 16. Juli 1821,
vom Könige sanktioniert durch Kab. O. v. 23. Aug.
1821 (G. S. 1821, S. 114), und das zu ihrer
Ergänzung ergangene Breve Quod de fidelium
v. 16. Juli 1821 (nicht in der G. S.). Näheres
bei Hinschius, Kirchenrecht, Bd. II, S. 696 ff.;
Hinschius, Der Staat und die Bischofswahlen,
1874; Hinschius, Preuß. Kirchenrecht, S. 464 ff.;
Stutz, Der neuste Stand des Bischofswahl-
rechts, 1909, u. a. m. Bei der Revision der
Verf. Urk. und der Abfassung des Art. 18 wurde
davon ausgegangen, daß über alle diejenigen Er-
nennungen, welche auf den besonderen Rechts-
titeln mit dem Papste beruhen, ohne Vereinigung
mit dem päpstlichen Stuhle nicht disponiert wer-
den könne; aus diesem Grunde wurden in den
Art. 18 die Worte: „oder besonderen Rechts-
titeln“ ausgenommen (vgl. die Erklärungen des
Min. d. geistl. Ang. in den Stenogr. Ber. der
2. K. 1849—50, Bd. II, S. 1179, und der 1. K.,
Bd. III. S. 1024. — Was die im Jahre 1866
mit Preußen vereinigten Landesteile angeht, so
sind für die der oberrheinischen Kirchenprovinz
angehörenden preuß. Gebiete die Bullen Provida
Sollersque und Ad dominici gregis custodiam
(zu letzterer das Breve Re sacra), für die Pro-
vinz Hannover die Bulle Impensa Romanorum
Pontificum maßgebend. Die beiden ersteren Bullen
sind bestätigt für Kurhessen durch Verordn. v.
31. Aug. 1829 (G. S. für Kurhessen 1829,
S. 45), für Nassau durch Edikt v. 9. Okt. 1827
(Nassauische Verordn. Samml., Bd. IV, S. 465),
für Frankfurt a. M. durch Ges. v. 2. März 1830
(Frankf. Gesetz= und Statutensamml., Bd. IV,
S. 181 ff.), die letztere Bulle durch das Patent