Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Die Aufsicht über die Religionsgesellschaften. (8. 124.) 181 
Vorlage über das Kirchenpatronat und die Bedingungen, unter welchen dasselbe auf— 
gehoben werden kann, und in Verbindung damit für diejenigen Landesteile, in welchen 
der Art. 15 der Verfassungsurkunde auf keiner Stufe zur Ausführung gebracht ist, Vor— 
lagen über die Verwaltung des Kirchenvermögens und über die Pfarrerwahl zu machen. 
Bei dieser Beratung erklärte der Minister der geistlichen Angelegenheiten 2, daß der Be- 
schluß des Abgeordnetenhauses die Staatsregierung veranlassen werde, zunächst diejenigen 
Informationen einzuziehen, welche erforderlich seien, um eine definitive Beschlußnahme 
über den Gegenstand herbeizuführen; denn es müsse anerkannt werden, daß es wünschens- 
wert sei, die Frage der Ausführung des Art. 17 der Verfassungsurkunde, es sei nach 
dieser oder jener Seite hin, zum Austrag zu bringen. Dagegen erklärte der Minister, 
daß die Staatsgewalt nicht die Aufgabe und das Recht habe, in die innere Verfassung 
der Kirche einzugreifen, sondern daß die Organisation der Kirche, insbesondere ihre Ver- 
mögensverwaltung und das Recht der Pfarrbesetzung, nach Art. 15 der Verfassungs- 
urkunde nur durch die Kirche selbst geregelt werden könne und dürfe. Die Angelegen- 
heit wurde erst nach längerer Zeit wieder aufgenommen.3 Auf eine Interpellation 
darüber, ob und wann die Einbringung einer Gesetzesvorlage über das Patronat be- 
absichtigt werde, bzw. wieweit die Vorarbeiten hierzu gediehen seien 4, teilte der Minister 
der geistlichen Angelegenheiten in der Sitzung des Abgeordnetenhauses v. 1. März 18765 
mit, daß infolge des Beschlusses des Abgeordnetenhauses v. 10. Dez. 1869 von den be- 
treffenden Behörden Auskunft über die bestehenden Patronatsverhältnisse erfordert worden, 
und daß demnächst eine Vervollständigung des betreffenden Materials durch erneuerte 
Berichterstattungen erfolgt sei, daß sich indes hierbei eine so große Verschiedenheit der 
für ein Gesetz über die Aufhebung des Kirchenpatronates in Betracht kommenden Punkte 
ergeben habe, daß der Erlaß eines den Gegenstand erschöpfend regelnden Gesetzes auf 
so große Schwierigkeiten gestoßen sei, daß sich ein bestimmter Termin, zu welchem die 
beabsichtigte Gesetzvorlage werde vorgelegt werden können, nicht angeben lasse. Spätere 
Versuche einer Ausführung des Art. 17 sind nicht bekannt geworden.“ 
V. Eine umfassende Neuordnung bzw. Ausgestaltung im einzelnen hat das Recht 
der Staatsaufsicht über die Kirchen seit den siebziger Jahren erfahren. Es bedurfte 
einer solchen gegenüber der evangelischen Kirche gelegentlich der Befestigung ihrer Selb- 
ständigkeit durch den Ausbau der Gemeinde= und Synodalverfassung, gegenüber der katho- 
lischen Kirche zufolge der kirchenpolitischen Maßnahmen während des sog. Kultur- 
kampfes. Auf diese Neuregelung wird zweckmäßigerweise erst in späterem Zusammenhange, 
nämlich bei der Darstellung des wesentlichen Inhaltes jener Gesetzgebung näher ein- 
gegangen werden.7 
  
1 Verhandl. des A. H. 1869—70, Stenogr. 
Ber., S. 1113—21. Dieser Beschluß wurde auf 
den vom Abgeordn. v. Bonin (Genthin) gestellten 
Antrag v. 11. Nov. 1869 (Drucks. des A. H. 1869 
— 70, Nr. 97, Stenogr. Ber. 1869—70, Anl. 
Bd. J, S. 520, Nr. 97) gefaßt; dieser Antrag war 
jedoch nur dahin gerichtet, „die Staatsregierung 
zur Vorlegung eines Gesetzes zur Ausführung 
des Art. 17 der Verf. Urk. aufzufordern". Der 
weitergehende Teil des gefaßten Beschl. ist auf den 
Antrag des Berichterstatters (Abgeordn. Richter- 
Sangerhausen) gefaßt worden (Drucks. a. a. O., 
Nr. 112, III; Stenogr. Ber. a. a. O., Anl. Bd. II, 
S. 607, Nr. 112, III). Die Begründung des An- 
trages des Abgeordn. v. Bonin hebt hervor, daß vor 
der Ausführung des Art. 17 weder die Ausfüh- 
rung des Art. 15 noch des Art. 26 möglich sei. 
Von dem Berichterstatter wurde (Stenogr. Ber.- 
1869—70, S.111 ff.) dargetan, daß es sich keines- 
wegsempfehle, in der Gesetzgebung über das Kirchen- 
patronat Anderungen des bestehenden Rechts- 
zustandes herbeizuführen, ohne gleichzeitg fest- 
zustellen, was an die Stelle des aufzuhebenden 
  
Patronats treten solle, insbesondere in Beziehung 
auf die Verwaltung des Kirchenvermögens und 
die Wahl der Pfarrer. In gleichem Sinne er- 
klärte auch der Abgeordn. Graf Schwerin (a. a. 
O., S. 1119), daß das Kirchenpatronat nur auf- 
gehoben werden könne und dürfe im Zusammen- 
hange mit der Ausführung des Art. 15, wozu es 
für die evangel. Kirche gleichfalls eines Aktes der 
Gesetzgebung bedürfe. 
2 Stenogr. Ber. des A. H. a. a. O., S. 1118. 
3 Die in den Jahren 1873 und 1874 einge- 
brachten Anträge der Abgeordn. Virchow und 
v. Knesebeck sind nicht zur Beratung gelangt. 
4 Interpellation des Abgeordn. Schmidt (Sa- 
gan) v. 25. Febr. 1876; Stenogr. Ber. des A. H. 
1876, Anl. Bd. I, Nr. 60, S. 542; Begründung: 
Stenogr. Ber. a. a. O., Bd. I, S. 374—376. 
5 Erklär. des Min. in der Sitz. des A. H. v. 
1. März 1876 (Stenogr. Ber. des A. H. 1876, 
Bd. J, S. 376—379y. 
s Anschütz, Verf. Urk., S. 350. 
7 Unten §§. 128, 129, 131.
	        
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