Evangelische Kirche.
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Nachdem sodann die oktroyierte Verfassungsurkunde v. 5. Dez. 1848 in Art. 12
den demnächst auch in Art. 15 der revidierten Verfassungsurkunde vom 31. Jan. 1850
aufgenommenen Grundsatz ausgesprochen hatte, daß die evangelische Kirche das Recht habe,
ihre Angelegenheiten selbständig ! zu ordnen und zu verwalten, war nicht zu bestreiten
und wurde auch seitens der Staatsregierung anerkannt, daß Maßnahmen erforderlich
seien, um die evangelische Kirche wirklich in den Besitz der Selbständigkeit zu setzen.
Schon im März 1848 unternahm die Staatsregierung einleitende Schritte zur Begrün-
dung einer neuen Verfassung der evangelischen Kirche.
Es wurde eine Kommission zur
Ausarbeitung des Entwurfes einer Presbyterial= und Synodalverfassung eingesetzt 2, wel-
cher als Vorlage für eine zu berufende konstituierende Landessynode dienen sollte.
Die
Kommission arbeitete auch den Entwurf eines Wahlgesetzes für diese Landessynode aus 3,
nicht gewonnen. Nur in der Rheinprovinz und
in Westfalen wurden durch die Kirchenordn.
v. 5. März 1835 (v. Kamptz, Ann., Bd. XIX,
S. 104) Kreis= und Provinzialsynoden neu
geschaffen, wobei der Gedanke einer Verbindung
der alten Presbyterial= und Synodalverfassung
mit den Konsistorialelementen verwirklicht wurde.
Auf Grund des Erlasses des Min. d. geistl. Ang.
v. 10. Juli 1843 wurden die Kreis= und im fol-
genden Jahre die Provinzialsynoden, „als die-
jenigen kirchlichen Organe, von welchen die Vor-
schläge für eine bessere Gestaltung und Entwicklung
der kirchlichen Verhältnisse zunächst angeregt und
vorbereitet werden können“, wiederum berufen.
Die Zusammensetzung der Kreissynoden war un-
verändert geblieben; die Provinzialsynoden da-
gegen hatten ein neues Element erhalten, näm-
lich je einen geistlichen Abgeordneten aus jeder
Kreissynode, den Militäroberprediger der Provinz
und ein Mitglied der theologischen Fakultät der
betr. Landesuniversitäten. In diesen Synoden
machten sich zwar über die Art der Ausführung
und die Funktionen der Synoden verschiedene
Auffassungen geltend; darüber aber bestand volles
Einverständnis, daß die Gewährung sSynodaler
Einrichtungen und die Zuziehung von Nichtgeist-
lichen zu den Synoden notwendig und daß
namentlich auch eine Landessynode zu bilden
sei, in welcher die Mehrzahl der Provinzialsynoden
diese Frage der Verfassung zum Abschlusse ge-
bracht wissen wollte. Demzufolge wurde auf
Grund der Kab. O. v. 20. März 1846 eine
Generalsynode berufen, deren Bedeutung der
Erlaß des Ministers dahin bestimmte, daß sie sich
als den Schluß herausstelle, „durch welchen die
aus den unteren kirchlichen Kreisen heraufge-
stiegene Beratung in ein Resultat zusammengefaßt
und der Weisheit des obersten Schutz= und Schirm-
herrn der Kirche anheimgestellt werden könne.“
Die Generalsynode wurde aus 37 geistlichen und
38 nichtgeistlichen Mitgliedern zusammengesetzt
(Denkschrift, betr. die Berufung einer allgemeinen
Landessynode in den Aktenst. aus der Verw. des
Ev. O. K. R., Bd. III, H. 1, S. 3ff.). Sie er-
stattete ein Gutachten über die Verfassung der
Kirche und speziell der Synoden. Dieses Gut-
achten beantragte die Herstellung einer selbständigen
Lebensform der Kirche, und zwar materiell
durch Anerkennung des Grundsatzes, daß Gottes
Wort und evangelisches Bekenntnis das unterste
Fundament aller Verfassung bilden, formell
durch Bestellung eines Oberkonsistoriums als
höchster Verwaltungsinstanz, durch Verpflichtung
der Mitglieder der Konsistorien auf die Normen
der Kirche, endlich durch Einführung der Synoden
auf dem Grunde presbyterialer Einrichtungen in
den Gemeinden und durch Errichtung einer
Landessynode, an deren Zustimmung Ab-
änderungen in den Grundlagen der Landeskirche
bezüglich Lehre, Liturgie und Verfassung gebunden
sein sollen. Am 29. August wurde die Synode
ohne weiteren Bescheid vom König vertagt. Von
ihren Anträgen wurde nur derjenige vorüber-
gehend verwirklicht, welcher die Errichtung eines
Oberkonsistoriums betraf; diese wurde durch die
Verordn. v. 28. Jan. 1848 (G. S. 1848, S. 27)
angeordnet, doch ist dieses Oberkonsistorium alsbald
wieder außer Wirksamkeit getreten (Bekanntmach.
des Staatsmin. v. 15. April 1848, G. S. 1848,
S. 114). Die Errichtung des Oberkonsistoriums
war unter Berufung auf das Gutachten der General-
synode erfolgt, obgleich diese das Oberkonsistorium
nur in Verbindung mit einer General-
synode vorgeschlagen hatte.
1 Daß hier unter der kirchlichen Selbständig-
keit dasselbe gemeint ist, was jeder, auch der unter
der Verfassung mitunterzeichnete Min. v. Laden-
berg bisher darunter verstanden hatte, kann nicht
in Zweifel gezogen werden. Die als besondere
Denkschrift am 15. Dez. 1848 vom Min. v. La-
denberg veröffentlichten „Erläuterungen, die
Bestimmungen der Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848
über Religion, Religionsgesellschaften und Unter-
richtswesen betreffend“ verteidigten denn auch die
volle Selbständigkeit der Religionsgesellschaften
gegenüber allen Beschränkungen und sicherten die
baldige nähere Regulierung der Verhältnisse zu.
Indes war schon darin von der Berufung einer
konstituierenden Synode und von dem Aufhören
des landesherrlichen Kirchenregiments nicht mehr
die Rede, während die Erläuterungen das wenig
in Zweifel gezogene Fortbestehen der landes-
herrlichen Kirchenbehörden ausdrücklich versicherten;
so auch Zirk. Reskr. des Min. d. geistl. Ang. v.
12. Dez. 1848, M. Bl. d. i. Verw. 1848, S. 384.
2 Diese Kommission wurde von dem Min. der
geistl. Ang. am 27. März 1848 angeordnet. Sie
bestand unter dem Vorsitz des Min. Dir. v. Laden-
berg aus den Bischöfen Neander und Roß, dem
Wirkl. Oberkonsistorialrat Ribbeck, dem Ober-
konsistorialrat Nitsch, dem Superintendenten
Schultz, dem Prof. Richter, den Predigern Sy-
dow und Jonas.
* Sowohl der Min. Erlaß v. 27. März 1848
als der Entwurf des Wahlgesetzes für die Landes-
synode sind im Preuß. Staatsanzeiger veröffent-