Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

202 Staat und Kirche. (S. 128.) 
dem Gesetz kein anderer Anfangstermin bestimmt ist, mit dem vierzehnten Tage nach dem- 
jenigen Tage, an welchem das betreffende Stück des genannten Blattes in Berlin aus- 
gegeben worden ist (Generalsynodalordnung, §. 6, Abs. 4); diese Bestimmung findet auch 
auf provinzielle kirchliche Gesetze Anwendung (Ges. v. 3. Juni 1876, Art. 13, Abs. 3). 
Durch diese Vorschriften ist die Selbständigkeit der kirchlichen Gesetzgebung innerhalb. 
ihres Bereiches anerkannt. Um aber zu verhüten, daß die kirchliche Gesetzgebung in den 
staatlichen Bereich übergreife, verlangt die enge Beziehung der evangelischen Landeskirche 
zum Staate, insbesondere auch die Doppelstellung des Königs als Staatsoberhaupt und 
als Träger des Kirchenregiments, daß dem möglichen Konflikte zwischen staatlicher und. 
kirchlicher Gesetzgebung vorgebeugt werde. Daher enthält bereits S. 6, Abs. 3 der General- 
synodalordnung die Bestimmung, daß, bevor ein von der Generalsynode angenommenes 
Gesetz dem König zur kirchenregimentlichen Genehmigung vorgelegt wird, die Erklärung 
des Ministers der geistlichen Angelegenheiten darüber herbeizuführen ist, ob gegen den 
Erlaß desselben von Staats wegen etwas zu erinnern ist. Diese Bestimmung hat das 
Gesetz v. 3. Juni 1876 betreffend die evangelische Kirchenverfassung in den neun älteren 
Provinzen noch erweitert und verschärft, indem Art. 13, Abs. 1 und 2 verordnet, daß 
kirchliche Gesetze und Verordnungen, sie mögen für die Landeskirche oder für einzelne 
Provinzen oder Bezirke erlassen werden, nur so weit rechtsgültig sind, als sie mit einem 
Staatsgesetze nicht in Widerspruch stehen, und daß, bevor ein von einer Provinzial- 
synode oder von der Generalsynode beschlossenes Gesetz dem König zur Sanktion vorge- 
legt wird, die Erklärung des Staatsministeriums darüber herbeizuführen ist, daß 
gegen den Erlaß des Gesetzes von Staats wegen nichts zu erinnern ist. 1 
3. Durch die neue Kirchenverfassung sind den Kirchengemeinden und höheren kirch- 
lichen Verbänden auch in finanzieller Beziehung wichtige Rechte beigelegt worden.? Den 
Kirchengemeinden verlieh §. 31, Nr. 6 der Kirchengemeinde= und Synodalordnung das 
Besteuerungsrecht zur Deckung ihrer Bedürfnisse, soweit die erforderlichen Mittel nicht 
nach bestehendem Recht aus dem Kirchenvermögen oder vom Patron oder von sonst speziell 
Verpflichteten zu gewähren waren; der Repartitionsfuß mußte nach Maßgabe direkter Staats- 
steuern oder am Orte erhobener Kommunalsteuern festgesetzt werden; die Umlage bedurfte 
der Genehmigung des Konsistoriums und der Vollstreckbarkeitserklärung durch den Regierungs- 
präsidenten, gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an den Oberpräsidenten zustand 
(Ges. v. 24. Mai 1874, Art. 3; Verordn. v. 9. Sept. 1876, Art. 3). Weiterhin wurde 
durch die Kirchengemeinde= und Synodalordnung und die Generalsynodalordnung ein Umlagen- 
recht der höheren kirchlichen Verbände: der Kreissynoden, der Provinzialsynoden und der 
Generalsynode, begründet. Während bei diesen Verbänden infolge der Einfachheit des Um- 
lageverfahrens die spärlichen gesetzlichen Bestimmungen ausreichten und zu einer gedeihlichen 
steuerrechtlichen Gesamtentwicklung führten 3, war dies bezüglich des Besteuerungsrechts 
der Kirchengemeinden keineswegs der Fall. Hier erwies sich vielmehr eine viel eingehen- 
dere gesetzliche Regelung in immer stärkerem Maße als unabweisbare Notwendigkeit. Wenn 
auch Verwaltung und Rechtsprechung durch Beantwortung einzelner Fragen manche 
empfindliche Lücke ausfüllten und die Materie nach besten Kräften zu fördern versuchten, 
war doch die Ordnung des kirchengemeindlichen Steuerrechts dürftig, lückenhaft, veraltet, 
unübersichtlich und kontrovers.“ Die fortbestehenden alten, ganz unzweckmäßigen, auf 
örtlichen Gewohnheiten und territorialen Sondereinrichtungen beruhenden Normen wider- 
sprachen den wirtschaftlichen Anschauungen der neuen Zeit.5 Die buntscheckige Regelung 
führte zu einer bedauerlichen Rechtsunsicherheit. Die Mißstände traten um so deutlicher 
zutage, als die Kirchengemeinden in immer steigendem Maße von ihrem durch §. 31, Nr. 6 
der Kirchengemeinde= und Synodalordnung begründeten Besteuerungsrecht Gebrauch machten. “ 
  
1 Diese Feststellung mußte früher in der Ver- 8 Giese, a. a. O., S. 82. 
kündigungsformel erwähnt werden. Ges. v. 4 Näheres bei Giese, Kirchensteuerrecht, S. 81 f. 
28. Mai 1894 (G. S. 87), F. 2. 5 Goßner, Preuß. evangel. Kirchenrecht, 1899, 
2 Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht, in Stutz S. 457; Giese, a. a. O., S. 49 ff., 81 ff. 
Kirchenrechtl. Abhandlungen, Heft 69/71, 1910, " Aufzählung der hauptsächlichsten Mängel bei 
S. 49 ff. Giese, a. a. O., S. 83 f.
	        
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