Das geltende Recht der ev. Kirche. (8. 128.) 203
Die Lösung der unerquicklichen Rechtslage konnte nur im Wege einer kodifikatorischen.
Neuordnung erfolgen. Obwohl kirchliche und staatliche Behörden sich dieser Erkenntnis
nicht verschlossen und die Kirchenregierung auf Anregung der dritten Generalsynode (1891) ½
an die Ausarbeitung eines Kirchensteuergesetzentwurfes herantrat, bedurfte es doch zur
Erreichung des Zieles noch der liberwindung erheblicher Schwierigkeiten. So gediehen
die gesetzgeberischen Arbeiten erst im Sommer 1905 zum Abschluß. Die im wesentlichen
an die Vorschriften des preußischen Kommunalabgabengesetzes sich anlehnende Kodifikation
erfolgte in einem Kirchengesetz und einem Staatsgesetz. Des letzteren bedurfte es, um
dem Kirchengesetz, soweit es Anderungen bzw. Aufhebungen staatsgesetzlicher Bestimmungen.
enthielt, die staatliche Bestätigung zu erteilen, sodann um ihm ergänzend die Vollstreck-
barkeit zu sichern, endlich um die Staatsbehörden zu bezeichnen, die bei Vorbereitung und-
Ausführung des Steuergeschäfts und im Rechtsmittelverfahren mitzuwirken berufen sein-
sollten.? Der Entwurf des Kirchengesetzes wurde vom Oberkirchenrat der Generalsynode 8,
der des Staatsgesetzes von der Staatsregierung den Häusern des Landtages vorgelegt. 2
Beide Entwürfe fanden ziemlich unveränderte Annahme. Die Gesetze stellen das kirch-
liche Gemeindesteuerrecht auf eine neue rechtliche Grundlage. Sie tragen einen kodifika-
torischen Charakter. Das „Kirchengesetz betreffend die Erhebung von Kirchensteuern in den
Kirchengemeinden und Parochialverbänden der evangelischen Landeskirche der älteren Pro-
vinzen der Monarchie“ wurde am 26. Mai 1905 (K. G. u. V. Bl. 31), das Staats-
gesetz gleichen Titels am 14. Juli 1905 (G. S. 277) vom Könige unterzeichnet.? s
Damit war das Ziel einer erschöpfenden Zusammenstellung des kirchengemeindlichen.
Steuerrechts der altpreußischen Landeskirche erreicht. Das Steuerrecht der Synodalver-
bände und der Landeskirche beruht nach wie vor auf den Bestimmungen der Kirchen-
verfassungsgesetze von 1873, 1875 und 1876. Eine kurze Gesamtübersicht über das
geltende Kirchensteuerrecht der altpreußischen Landeskirche ergibt folgendes Bild.
a) Die Kirchengemeinden? (entsprechend die Parochialverbände in größeren
Orten und die Berliner Stadtsynode) haben das Recht, zur Befriedigung ihrer Bedürf-
nisse Steuern zu erheben, soweit die sonstigen verfügbaren Einnahmen dazu nicht aus-
reichen, namentlich die erforderlichen Geldmittel und Leistungen nicht nach bestehendem
Recht aus dem Kirchenvermögen entnommen werden können oder vom Patron oder von
sonst speziell Verpflichteten gewährt werden (Ges. v. 26. Mai 1905, 88. 1, Abs. 1, 25).
Die Erhebung der Steuer erfolgt auf Grund eines Beschlusses der Gemeindevertretung
(Verbandsvertretung), welcher der Genehmigung des Konsistoriums als kirchlicher und des
Regierungspräsidenten als staatlicher Aufsichtsbehörde bedarf (Ges. v. 26. Mai, S§. 1, Abs. 2,
27; Staatsges. v. 14. Juli 1905, Art. I, VII; Verordn. v. 23. März 1906, Art. I).
Steuerpflichtig sind alle Evangelischen, welche der Kirchengemeinde durch ihren Wohnsitz.
1905, §.59, S. 282; Verhandl. der westfäl. Pro-
1 Verhandl. der G. S. von 1891 (1892),
S. 941 ff.
2 Verhandl. der 5. G. S. von 1903, Bd. I,
S. 714.
3 Verhandl. der 5. G. S. von 1903, Bd. I,
S. 699—724.
4 Zuerst dem H. H. (Stenogr. Ber. 1904—05,
S. 433 ff., 597 ff., 614 ff.).
5 Die Anderungen der G. S. bezogen sich auf
§. 7, Abs. 2; §. 9; §. 10, Abs. 3; §. 13, Abf. 1;
§. 17; §. 18, Abs. 5 u. 7; §. 21; §F. 25.
6 Außerdem benötigte der Entw. des Kirchen-
gesetzes, da er eine Abänderung der rhein.-westf.
K. O. (§. 18 zu d) enthielt, nach §. 10 der
G. S. O. verfassungsmäßig noch der Annahme
durch die Synodalvertretungen dieser Provinzen
(Kirchenges., §. 31). Die Annahme erfolgte durch
die rheinische Provinzialsynode am 28. Sept. 1905,
durch die westfäl. Provinzialsynode am 30. Sept.
1905 (Verhandl. der 27. rhein. Provinzialsynode
vinzialsynode 1905, Beschl. 149, S. 102).
* Zum Kirchengesetz erließ der Ev. O. K. R.
unter Mitwirkung des Gen.-Syn.-Vorstandes die-
Ausführungsanw. v. 22. März 1906 (K. G. u.
V. Bl., S. 5), zum Staatsgesetz der Min. d.
geistl. Ang. die Ausführungsanw. v. 24. März
1906 (M. Bl. d. i. Verw., S. 69).
s Zum vorigen Gies e, Kirchensteuerrecht,
S. 84—87
" Crisolli-Schultz, Die preuß. Kirchen-
steuergesetze nebst den Ausführungsanw., 1907,
S. 7 ff., 232 ff.; Schoen, Bd. II, S. 568 ff.;
Giese, Kirchensteuerrecht, S. 206 ff., 279 ff.;
kleinere Aufsätze verschiedener Verfasser im Preuß.
Pfarrarchiv, Bd. I ff., 1909 ff.; Giese, Miß-
stände im preuß. Kirchensteuerrecht, Deutsche Revue
1913, Maiheft, S. 250 ff.; vgl. auch die Ent-
scheidungen des O. V. G. in Kirchensteuersachen,
in der amtlichen Sammlung und im Preuß.
Pfarrarchiv.