Das geltende Recht der ev. Kirche. (8. 128.) 207
Persönlichkeit besitzen endlich die Kirchengemeinden, und zwar sowohl die Einzelkirchen—
gemeinden als auch die Gesamtkirchengemeinden (Parochialverbände und Berliner Stadt—
synode) !; ihre Vertretung erfolgt durch den Gemeindekirchenrat (das Presbyterium )
bzw. die Verbandsvertretung (den geschäftsführenden Ausschuß der Berliner Stadtsynode).5
5. Um die Selbständigkeit der evangelischen Landeskirche in der Verwaltung
ihrer Angelegenheiten zu verwirklichen, bedurfte auch das Aufsichtsrecht des Staates
einer neuen, genauen Regelung, da sonst die Aufsicht des Staates in der Gestalt, wie
sie in dem bisherigen Recht begründet und nach richtiger Auffassung durch Art. 15 der
Verfassungsurkunde keineswegs beseitigt worden war, in Kraft und fitglich die evangelische
Landeskirche einer mit der berechtigten Selbständigkeit nicht in Einklang stehenden Aufsicht
unterworfen geblieben wäre. Mit der der evangelischen Kirche einzuräumenden Selbständig-
keit war ferner die bisherige Trennung der äußeren und inneren kirchlichen Angelegen-
heiten bezüglich der verwaltenden Organe nicht vereinbar, demgemäß die Zuständigkeit
der kirchenregimentlichen Behörden, soweit dies die staatlichen Interessen gestatteten, um
die sog. Externa zu erweitern, die Zuständigkeit der staatlichen Behörden aber entsprechend
einzuschränken.“ Daher hat das Gesetz v. 3. Juni 1876 in Art. 21, Abs. 1 die Ver-
waltung der Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche, soweit solche bisher von dem
Minister der geistlichen Angelegenheiten und den Regierungen geübt worden, auf den
Evangelischen Oberkirchenrat und die Konsistorien als Organe der bechemergierung.
übergehen lassen und in Abs. 3 daselbst Veränderungen der kollegialen Verfassung dieser
Organe der Genehmigung durch ein Staatsgesetz (G. S. O., S. 7, Nr. 5) unterstellt.
Aus dem grundsätzlichen und allgemeinen Ausdruck des Art. 21, Abs. 1 folgt, daß alle
kirchlichen Angelegenheiten übergegangen sind, soweit nicht ausdrücklich und speziell in dem
Gesetz selbst Vorbehalte für die Staatsbehörden gemacht sind; dies ist in den Art. 22
und 23 geschehen. Art. 22 bestimmt, daß in Beziehung auf die Patronatsverhältnisse,
sowie auf die kirchlichen Angelegenheiten bei dem Militär und öffentlichen Anstalten in
den Zuständigkeiten der Behörden durch das Gesetz v. 3. Juni 1876 nichts geändert
wird. Art. 23 behält den Staatsbehörden nur folgende Gegenstände vor: a) die An-
ordnung und Vollstreckung der zur Aufrechterhaltung der äußeren kirchlichen Ordnung
erforderlichen polizeilichen Vorschriften; b) die Regelung der streitigen Kirchen-, Pfarr-
und Küstereibausachen, sowie die Vollstreckung der einstweiligen Entscheidungen in diesen
Sachen; c) die Beitreibung kirchlicher Abgaben 8;ch die Leitung der Kirchenbuchführung,
soweit die Kirchenbücher noch zur Beurkundung des Personenstandes dienen; e) die Aus-
stellung von Attesten über das Vorhandensein derjenigen Tatsachen, welche den Anspruch
auf Kostenfreiheit begründen; f) die Mitwirkung bei der Veränderung bestehender, sowie
bei der Bildung neuer Pfarrbezirke; g) die Mitwirkung bei der Besetzung kirchenregi-
mentlicher Amter oder bei der Anordnung einer kommissarischen Verwaltung derselben;
diese Mitwirkung bleibt in dem bisherigen Umfange bestehen, insbesondere hat die An-
stellung der Mitglieder der kirchenregimentlichen Behörden unter Gegenzeichnung des
Ministers der geistlichen Angelegenheiten zu erfolgen. — Außerdem hat das Gesetz in
1 Giese, a. a. O., S. 505 f.
2 Ges. v. 28. Juli 1891 (G. S. 332).
3 Kirchenges. v. 17. Mai 1895 nebst Staatsges.
v. 18. Mai 1895 und Verordn. v. 20. Okt. 1896;
für Rheinprovinz und Westfalen Kirchenges. und
Staatsges. v. 4. Juli 1904; Giese, a. a. O.,
S. 506 f.; Schoen, Bd. I, S. 377 ff.
4 Motive zum Entw. des Ges. v. 3. Juni 1876
(Stenogr. Ber. des A. H. 1876, Anl. Bd. I,
Nr. 31, S. 384 f., 389 ff.).
5 Das diesen kirchlichen Regierungsbehörden
zustehende kirchliche Aufsichtsrecht über die Ver-
mögensverwaltung der Kirchengemeinden fand
seine nähere Regelung in dem Kirchenges. vom
18. Juli 1892 nebst dem Staatsges. v. 8. März
1893 (G. S. 21) und der königl. Verordn. v.
8. März 1893 (K. G. u. V. Bl., S. 12).
6 Abs. 2 des Art. 21 fügt hinzu, daß der Zeit-
punkt und die Ausführung des Überganges königl.
Verordnung vorbehalten bleibe. Diese Verord-
nung ist am 5. Sept. 1877 (G. S. 1877,
S. 215) ergangen.
*7 Das Ges. v. 28. Mai 1894 (§. 1) läßt die
Bestimmungen des Art. 21 unberührt.
*s Nach der königl. Verordn. v. 25. Sept. 1897
(G. S. 405) werden die Rechte des Staates in
diesem Falle, soweit sie bezüglich der Vollstreck-
barkeit der Beschlüsse über Gemeindeumlagen bis
dahin von den Regierungen geübt wurden, durch
den Regierungspräsidenten ausgeübt, gegen dessen
Verfügung die Beschwerde an den Oberpräsiden-
ten zusteht.