Kathol. Kirche seit Erlaß der Verfassungsurkunde. (§. 131.) 225
der Gesetzgebung gewesen wäre, das Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche
auf Grund des Art. 15 der Verfassungsurkunde neu zu gestalten, war doch die auf—
geregte Zeit zu einer so mühsamen Arbeit nicht geeignet. Obschon es leicht gewesen
war, den Grundsatz auszusprechen, so würde es doch schwer geworden sein, ihn in
seinen Konsequenzen durch die verwickelten Verhältnisse hindurch in einem umfassenden
Ausführungsgeset zu verfolgen. Es blieb daher der Staatsregierung nur übrig, entweder
im gegenseitigen Einvernehmen mit den geistlichen Oberen die kirchlichen Angelegenheiten
auf dem Verwaltungswege in die neuen Verhältnisse überzuleiten oder durch ausdrücklichen
Verzicht auf Mitwirkung und durch Geschehenlassen dem Prinzip des Art. 15 Genüge
zu leisten. Von diesen Wegen beabsichtigte der Minister der geistlichen Angelegenheiten
den ersteren zu betreten. In einem Erlaß v. 6. Jan. 1849 1 an sämtliche Ober-
präsidenten setzte er die Grundlagen für eine Vereinbarung näher auseinander.
Bischöfe fanden es indes nicht in ihrem Interesse, auf diese ihnen vorgeschlagene Aus-
einandersetzung einzugehen, sondern lehnten das Anerbieten des Ministers in einer ge-
meinsamen Deukschrift3s ab. Diese Denkschrift geht von der Voraussetzung aus, daß-
durch die Verfassungsurkunde alle bisherigen Beschränkungen der Kirche sofort auf-
gehoben seien und letztere sich somit bereits im Vollbesitz ihrer Selbständigkeit befinde.
Durch diese Erklärung und weitere Äußerungen gleicher Richtung wurde der Gedanke
einer gütlichen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche völlig abgeschnitten. Daher
konnte nur der zweite der oben bezeichneten Wege eingeschlagen werden. Auf diesem
ist denn auch, von einzelnen Punkten abgesehen, die Regulierung der Verhältnisse erfolgt.“
Da die römisch-katholische Kirche in Preußen von alters her in ihren Bischöfen die
Organe einer selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten bewahrt
hatte 5, nahm die Staatsregierung keinen Anstand, die in den Landesgesetzen anerkannte
Legitimation der Bischöfe als Vertreter der römisch-katholischen Kirche in Preußen als fest-
stehend anzunehmen und diese auch nach Erlaß der Verfassungsurkunde für befugt zu
erachten, diejenigen kirchlichen Rechte, auf welche der Staat künftighin keinen Anspruch
mehr erheben könne, selbständig auszuüben, wegen der Auseinandersetzung aller übrigen
Rechtsverhältnisse aber gleichfalls mit ihnen in Verhandlungen zu treten.“ Uber die
Ausführung bezüglich einzelner Gegenstände fanden, kommissarische Verhandlungen mit den
Bischöfen statt. Auf Grund dieser Verhandlungen wurden sodann mit Genehmigung
des Ministers der geistlichen Angelegenheiten von mehreren Oberpräsidenten Regulative
insbesondere über die Ressortverhältnisse in den Angelegenheiten der Verwaltung und Be-
Die
aufsichtigung des katholischen Kirchen-, Pfarr= und Stiftungsvermögens erlassen. 3
f. kathol. Kirchenrecht, Bd. XI; Hinschius, Die
preuß. Kirchengesetze des Jahres 1873, S. IVf.;
Friedberg, Grenzen, S. 426 ff.; Friedberg,
Die evangel. und kathol. Kirche der neu einver-
leibten Länder, 1867; Ans chütz, Verf. Urk., Bd. I,
S. 288f.
1 M. Bl. d. i. Verw. 1849, S. 265 ff.
2 Über die weiteren, die Auseinandersetzung
vorbereitenden Schritte der Staatsregierung vgl. die
Reskr. des Min. d. geistl. Ang. v. 1. März und
15.Dez. 18490(0M. Bl. d. i. Verw. 1849, S. 267,268).
3 Vogts Kirchenrecht, Tl. I, S. 29.
* Richter in der Ztschr. f. Kirchenrecht, Bd. 1,
S. 107—9. Uber das verfassungsmäßige Recht
der Kirchen in Preußen, Archiv f. kathol. Kirchen-
recht, Bd. XI.
5 Laspeyres, Geschichte und heutige Verfas-
sung der kathol. Kirche Preußens, Bd. I, S. 516 ff.;
Schrötter, Die rechtliche Stellung der kathol.
Bischöfe in Preußen seit Emanation und im Gel-
tungsbereiche des A. L. R., 1875, S. 1—21.
6 A. L. R., II, 11, §§. 115, 116.
Hierüber Denkschrift des Ev. O. K. R. in
den Aktenst. aus der Verw. des O. K. R., Bd. I,
Heft 4, S. 9, 37.
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht.
5. Aufl. III.
* Solche Regulative wurden erlassen a) von
dem Oberpräsidenten der Provinz Preußen für
die zu den Diözesen Kulm und Ermland gehöri-
gen Teile der Regierungsbezirke Danzig und
Marienwerder am 25. Mai 1850 (Beiträge zum
preuß. und deutschen Kirchenrecht, 1854, Heft 1,
S. 40—43; vgl. den Allerh. Erlaß v. 27. April
1861 nebst Konsistorialdekret v. 15. Mai 1859,
betr. die Regulierung der Grenzen der bischöfl.
Diözesen Ermland und Kulm, im M. Bl. d. i.
Verw. 1862, S. 17); dieses Regulativ ist b) laut
Bekanntmachung des Oberpräsidenten der Provinz
Pommern v. 23. Sept. 1851 (Beiträge zum
preuß. und deutschen Kirchenrecht, Heft 1, S. 64;
Amtsbl. der Regierung zu Köslin 1851, S. 317)
mit Genehmigung des Min. d. geistl. Ang. auf
die Verwaltung und Beaufsichtigung des kathol.
Kirchen-, Pfarr= und Stiftungsvermögens der im
Reg. Bez. Köslin belegenen, zur Diözese Kulm
und zur Erzdiözese Posen gehörigen kathol. Pfar-
reien für anwendbar erklärt worden; c) vom Ober-
präsidenten der Provinz Posen am 19. Nov. 1850
für die zu der Erzdiözese Gnesen und Posen
gehörigen Teile der Reg. Bez. Posen und Brom-
berg (M. Bl. d. i. Verw. 1851, S. 32—34;
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