Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

20 Die Gesetzgebung. (§. 111.) 
Das Staatsrecht vor Erlaß der Verfassung kannte zwar auch den Unterschied zwischen 
Gesetz und Verordnung, doch war derselbe unklar und verdunkelt; klar ausgesprochen 
ist im Allgemeinen Landrecht nur das unterscheidende Merkmal bezüglich der Publikation.] 
Diese Unterscheidung hat vielmehr erst seit der Einführung der Verfassung praktische Be- 
deutung erhalten. Dem Könige allein steht nämlich nach Art. 45 der Verfassungs- 
urkunde die vollziehende Gewalt und als Ausfluß derselben das Recht zu, die zur Aus- 
führung der Gesetze nötigen Verordnungen zu erlassen, d. h. solche Normen, 
welche nur die Bestimmung haben, die im Gesetze niedergelegten Vorschriften praktisch 
durchzuführen. 
Hinsichtlich der vor Erlaß der Verfassung ergangenen königlichen Verordnungen 
muß demzufolge unterschieden werden zwischen solchen, welche den Charakter von Gesetzen 
an sich tragen, und solchen, die nur als Verordnungen anzusehen sind — eine Unter- 
scheidung, welche zur Zeit ihres Erlasses nicht erforderlich war, weil in der Hand des 
Königs allein sowohl die gesetzgebende als die vollziehende Gewalt ruhte. Erstere können 
als Gesetze nur im Wege der Gesetzgebung, letztere dagegen auf dem Wege der Ver- 
ordnung aufgehoben werden; doch kann dafür, ob solche ältere königliche Bestimmungen 
den Charakter von Gesetzen haben oder nicht, nur deren Inhalt maßgebend sein. 
B) Das zufolge des Art. 45 der Verfassungsurkunde dem Könige zustehende Recht 
zum Erlaß von Verordnungen darf nach der Ansicht vieler Schriftsteller — auch 
v. Rönnes in den früheren Auflagen dieses Werkes — nur auf Verwaltungs- 
verordnungen bezogen werden; dagegen sei der König kraft seines Verordnungsrechtes 
nicht befugt zum Erlaß von Rechtsvorschriften, welche die einzelnen Staatsbürger 
verpflichten. Damit solche durch Verordnung erlassen werden könnten, bedürfe es viel- 
mehr noch einer ausdrücklichen Ermächtigung des Gesetzgebers, von der die Gülltigkeit 
solcher Rechtsverordnungen bedingt sei. Entgegen dieser Auffassung hat indes die 
Staatsregierung die Ansicht aufgestellt und mit Entschiedenheit festgehalten, daß es ver- 
fassungsmäßig außer den Ausführungsverordnungen des Art. 45 noch andere aus der 
vollziehenden Gewalt an sich fließende Verordnungen gebe, zu deren einseitigem Erlaß 
der König berechtigt sei.? Diese Ansicht der Staatsregierung hat ihren Grund im Zwie- 
spalt der Meinungen über die Abgrenzung der beiden Systeme der gesetzgebenden und 
vollziehenden Gewalt. Die Staatsregierung bestreitet zuvörderst, daß die Verfassung 
nur Ausführungsverordnungen kenne. Wenn das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt 
schon da begänne, wo eine Verordnung in Frage komme, die nicht die unmittelbare 
Ausführung eines bestimmten Gesetzes bezwecke, so würde die vollziehende Gewalt gegen 
ihren hergebrachten Begriff einen großen Teil ihrer Bedeutung verlieren und alle Be- 
stimmungen der Verfassungsurkunde, welche der Krone bestimmte Rechte als in der voll- 
ziehenden Gewalt begriffen zuweisen, z. B. die Kriegshoheit, eine ihr Wesen zerstörende 
Beschränkung erleiden. Uberdies besage aber auch Art. 45 keineswegs, daß es andere 
Verordnungen (außer Vollzugsverordnungen) nicht gebe. Die Ansicht der Staatsregierung 
ist richtig.) Denn der Art. 62 der Verfassungsurkunde überweist der Mitwirkung der 
beiden Häuser des Landtags keineswegs die Rechtsnormen aller Art, sondern eben 
nur diejenigen, die in der Form von Gesetzen zu erlassen sind; wenn Art. 45 die zur 
Ergänzung und zum Vollzug von Gesetzen erforderlichen Verordnungen erwähnt, so ist 
dies doch nur eine besondere Art von Verordnungen, die beherrscht wird von dem all- 
  
1 A. L. R., Einl., §§. 7, 11; Bornhak?:, I, 
(Stenogr. Ber. des A. H. 1865, Bd. V, Nr. 75, 
S. 432. Das begriffliche Merkmal: „die beson- 
S. 625 ff.) und in der Sitz. des A. H. v. 12. Juni 
deren Rechte und Pflichten der Bürger bestimmt 
oder die gemeinen Rechte abändert, ergänzt oder 
erklärt“ (Einl., §. 7 a. a. O.) gibt in seiner Un- 
bestimmtheit keine genügende Abgrenzung. 
* gl. die Erklärungen des (vormaligen) Just.= 
Min. Graf z. Lippe in der Sitz. des A. H. v. 
31. Jan. 1865 (Stenogr. Ber. 1865, Bd. I, S. 86 ff.) 
und in der Sitz. des A. H. v. 12. Juni 1865 
(#. a. O. Bd. III, S. 3070), desgl. des Regierungs- 
Kommissars in dem Komm. Ber. v. 4. März 1865 
  
1865 (a. a. O. Bd. III, S. 2076 ff.). — Diese 
Erklärungen der Staatsregierung erfolgten bei 
Gelegenheit der Verhandlungen über den Erlaß 
v. 20. Juni 1864, betr. das Prisenreglement usw. 
8 Entgegengesetzter Ansicht war v. Rönne 
(4. Aufl., Bd. I, S. 366) und ist die heute herr- 
schende, bes. von Laband u. Anschütz vertretene 
Meinung; der im Text gegebene Grundsatz wird 
in eingehender Weise gerechtfertigt in dem Werke 
von Arndt: Das selbständige Verordnungsrecht.
	        
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