26 Die Gesetzgebung. (8. 112.)
Gegenständen rechnete v. Rönne insbesondere auch den jährlichen Staatshaushaltsetat,
sowie Gesetze über Einführung neuer Steuern und Abgaben für die Staatskasse und
über die Aufnahme von Anleihen oder über die Ubernahme von Garantien zu Lasten
des Staates. Dies ergebe sich nicht allein aus dem allgemeinen Grundsatze, sondern
überdies noch ganz besonders aus dem Art. 99 der Verfassungsurkunde, wonach der
Staatshaushaltsetat jährlich durch ein Gesetz festgestellt werden müsse, sowie aus der in
den Art. 100 und 103 enthaltenen, gerade die unerläßliche Notwendigkeit eines wirk-
lichen Gesetzes bezeichnenden Einschaltung des Wortes: „nur“, indem jene Artikel die
Erhebung von Steuern und Abgaben, sowie die Aufnahme von Anleihen und die Über-
nahme von Garantien zu Lasten des Staates nicht anders gestatten, als nur auf Grund
von Gesetzen, also nicht auf Grund bloßer Verordnungen. Wollte man, so folgerte
v. Rönne weiter, übrigens auch nicht anerkennen, daß die Worte und die Fassung der
angeführten Artikel der Verfassungsurkunde die Notverordnung in bezug auf die Finanz-
gesetze gänzlich ausschließen und daß eine Anwendung des Art. 63 auf den Titel VIII
von den Finanzen völlig unstatthaft sei, so folge dies doch ganz zuverlässig aus dem ge-
samten Geiste wie aus der Entstehungsgeschichte der Verfassung; die Idee, aus welcher
sie hervorgegangen, und die Natur der Sache forderten unbedingt, daß in dieser Beziehung
das Recht der Kammern ein absolutes sei. Die Zulassung einer Beschränkung des auf
die Finanzgewalt bezüglichen Rechtes der Kammern durch Oktroyierungen seitens der
Staatsregierung würde jede Teilnahme der Kammern an der Finanzgewalt wirkungslos
und das Steuerbewilligungsrecht der Kammern, soweit es überhaupt noch in der Ver-
fassungsurkunde übriggeblieben sei, völlig illusorisch machen. Die Kammern würden
dann weniger Rechte besitzen, als bereits die frühere Gesetzgebung den Ständen ein-
geräumt und schon der §. 6 des Gesetzes v. 6. April 1848 über einige Grundlagen
der künftigen preußischen Verfassung der Volksvertretung unzweifelhaft zugesichert habe.
Dazu trete endlich noch, daß in der Tat der Art. 63 in bezug auf alle Finanzgesetze
auch dadurch in seiner Anwendbarkeit ausgeschlossen sei, daß in dieser Beziehung niemals
von den darin vorausgesetzten dringenden Fällen die Rede sein könne, sondern der Gegen-
Art. 3, 4, 5, 8, 9, 29, 30, 31, 35, 36, 37, 47,
50, 69, 85, 86, 87, 89, 90, 94, Abs. 2, 96, 97,
102.) Hiermit sind die jedesmal bestehen-
den Gesetze gemeint, und es ist dabei überhaupt
gar nicht die Frage von der Ansübung der gesetz-
gebenden Gewalt und der Begrenzung derselben.
In anderen zahlreichen Fällen dagegen verweist
die Verf. Urk. auf noch erst zu erlassende be-
sondere Gesetze, meist organischer Natur (näm-
lich in den Art. 17, 19, 26, 33, 40, 41, 42,
61, 72, 104, 105, 113, 116), welche demnächst
zum Teil wirklich ergangen sind, zum großen
Teile aber noch erst ergehen sollen. Diese in
der Verf. Urk. selbst ausdrücklich vorbehaltenen
Gesetze können als solche — eben wegen des
gemachten Vorbehaltes — nur auf dem Wege
der ordentlichen Gesetzgebung (Art. 62) zustande
kommen, sind mithin, was ihr Zustande-
kommen anbelangt, der Oktroyierung durch ein-
seitige Verordnung entzogen. In zwei Fällen
gebraucht die Verf. Urk. den Ausdruck: „besonderes
Gesetz“ in einem anderen Sinne, nämlich in den
Art. 13 und 49, wo damit ein spezielles Gesetz
in bezug auf gewisse Personen gemeint ist —
nämlich Verleihung von Korporationsrechten an
neu konstituierte Religionsgesellschaften und Nieder-
schlagung bereits eingeleiteter Untersuchungen
(Abolition). Der Fall des Art. 49 ergibt beson-
ders klar, daß hier nur ein eigentliches Gesetz
gemeint sein kann, weil der gedachte Artikel sonst
gar keinen Sinn haben würde. In einigen
Fällen spricht die Verf. Urk. dagegen ausdrücklich
von gewissen Gegenständen, die nur „im Wege
der Gesetzgebung“" angeordnet werden können, so
in den Art. 27, 30 und 91, und zwar sind dies
gewisse Beschränkungen der Preßfreiheit und des
Vereinsrechtes, sowie Errichtung gewisser Spezial-
gerichte. Es ist aber unzweifelhaft, daß durch
diese Worte recht eigentlich die Zulässigkeit der
Oktroyierung hat ausgeschlossen werden sollen.
(In bezug auf den Art. 27 (früher Art. 24] hat
auch der Just. Min. Simons dies ausdrücklich
anerkannt, vgl. Stenogr. Ber. der 2. K. 1849
—50, S. 642.) Endlich findet sich in mehreren
Bestimmungen der Verf. Urk. der Ausdruck, daß
gewisse Gegenstände nicht anders als durch gein
Gesetz“ sollen festgesetzt und geordnet werden
dürfen. (Nämlich in den Art. 2, 88, 99, 103.)
Hier ergibt nun gerade der Ausdruck: „Gesetz“,
daß darunter ausschließlich eine allgemeine An-
ordnung zu verstehen sei, welche in Art. 62
einzig und allein mit dem Namen „Gesetz“
bezeichnet wird, wovon eben die „Verordnung
mit Gesetzeskraft" des Art. 63 den in der
Verf. Urk. selbst klar ausgesprochenen Gegensatz
bildet.
1 Vgl. über die ganze Materie die Verhand-
lungen in der 2. K. in der Sitz. v. 21. u. 26. März
1851 (Stenogr. Ber. 1850—51, Bd. I, S. 646,
und Bd. II, S. 703 ff.), desgl. den Ber. a. a. O.,
Bd. III, S. 564, Nr. 78, und Stenogr. Ber. der
1. K. 1850—51, Bd. II, S. 1320.