Sanktion und Publikation der Gesetze und Verordnungen. (§. 115.) 43
Könige die Erklärung über die Erteilung seiner Sanktion bzw. die Erteilung des Be-
fehls zur Publikation eines Gesetzes übermäßig verzögert werden sollte, so steht den
Kammern das Recht zu, durch Interpellationen an die Minister oder durch eine Adresse
an den König eine Mitteilung über den betreffenden Gesetzentwurf herbeizuführen. Ebenso
kann nicht bezweifelt werden, daß, wenn der König ein mit den Kammern vereinbartes
Gesetz genehmigt und dessen Publikation befohlen hat, es die Pflicht des Staatsministeriums
ist, die Bekanntmachung nicht zu verzögern. Am wenigsten darf die Unbestimmtheit
des Termins zur Publikation dazu benutzt werden, um ein vom Könige genehmigtes Gesetz
gar nicht zum Vollzuge zu bringen. Vielmehr würden die Minister hierfür dem Könige
und der Landesvertretung verantwortlich sein. Die Ausübung des Rechtes der Sank-
tion eines Gesetzes und des Rechtes der Verkündigung desselben ist nicht durch eine
ausdrückliche Bestimmung der Verfassung an eine Endfrist gebunden. Eine derartige
Beschränkung der königlichen Prärogative darf nicht in die Verfassung hineininterpretiert
werden, insbesondere nicht mit Hilfe des an sich zweifelhaften Grundsatzes der sog.
Diskontinuität der Sitzungsperioden. Haben die Kammern einem Entwurfe die Zu-
stimmung erteilt, so ist damit ihr Recht erschöpft; die Wahl des Zeitpunktes der
Sanktion und Publikation ist freie monarchische Präragative, für welche aus
der Natur der Sache eine zeitliche Schranke nicht aus dem Ablauf der Sitzungsperiode,
ja nicht einmal aus dem Ablauf der Legislaturperiode gefolgert werden kann. Es mag
zugegeben werden, daß praktische Rücksichten gebieterisch fordern werden, daß der Zeit-
abstand zwischen den verschiedenen Akten nicht allzu groß sei; Rechtssätze aber bestehen
hierfür nicht.2
1 Vgl. v. Mohl, Württemb. St. R., 2. Aufl.,
Bd. I, S. 203—204.
2 A. A. hierüber war v. Rönne, 4. Aufl.,
Bd. I, S. 392, der ausführte: „Es muß ange-
nommen werden, daß dieses Recht nicht länger
besteht, als bis eine neue Sitzungsperiode des
Landtages beginnt. Der gesamte Gesetzgebungsakt
von der Einbringung des Entwurfes des Gesetzes
im Landtage bis zur Verkündigung der ausge-
fertigten Gesetzesurkunde in der Gesetzsammlung
muß nach einer allgemeinen Ubung, die sich zu
einem konstitutionellen Gewohnheitsrechte gestaltet
hat, beendet sein, bevor der Landtag zu einer
neuen Sitzungsperiode zusammentritt. Dies folgt
nicht allein aus dem in unbestrittener Geltung
stehenden Grundsatze des konstitutionellen Staats-
rechtes von der Diskontinuität der Landtags-
sessionen, sondern auch aus der den Kammern
gebührenden Rücksicht, deren Mehrheit vielleicht
wegen veränderter Verhältnisse zurzeit nicht mehr
zustimmen würde, so daß es angemessen erscheint,
ihnen den Gesetzentwurf nochmals vorzulegen.
Bei Anerkennung dieses Grundsatzes ergibt sich
aber von selbst, daß die Grenze des Rechtes der
Sanktion, bzw. der Publikation nur so weit
gesteckt werden kann, daß solches mit dem Zeit-
punkte des nächsten Zusammentretens der Kam-
mern erlischt, da überdies die Annahme eines
anderen Zeitpunktes prinzipienlos sein und zur
Willkür führen, auch die Rechte der Kammern
beeinträchtigen würde.“
Indes bemerkt v. Rönne dazu selbst: „Die
Frage ist keineswegs unbestritten. Stahl hat
sich für die Richtigkeit der von mir aufgestellten
Ansicht ausgesprochen (vgl. Stenogr. Ber. der
1. K. 1852—53, S. 1001—3), indem er die Unzu-
träglichkeiten der entgegengesetzten Annahme
treffend an dem von ihm angeführten Beispiele
zeigte. Am 23. Sept. 1789 hatte nämlich König
Karl IV. von Spanien an die Kortes die Pro-
position gebracht, die im alten spanischen Staats-
rechte begründete kognatische Sukzession (den
Vorzug der Tochter in Ermangelung von Söhnen
vor den Agnaten), welche unter Philipp V. auf-
gehoben und dafür die Thronfolge nach dem
Salischen Gesetze angeordnet worden war, wieder-
herzustellen. Dieser Proposition waren die Kortes
durch einstimmigen Beschluß in Form einer
Petition beigetreten, welche sofort die königl.
Sanktion erhielt, die auch den Kortes bekannt
gemacht, aber bis zur Publikation das Geheimnis
darüber zu bewahren befohlen wurde. Die Publi-
kation erfolgte ertt unter König Ferdinand VII.
am 29. März 1830 (vgl. Zöpfl, Die spanische
Sukzessionssache [Heidelberg, 1829), S. 75 ff.).
Solchergestalt mußte Don Carlos gegen die
Königin von Spanien zurückstehen. — Dagegen
nimmt v. Gerber (Grundzüge, 3. Aufl., S. 151,
Note 9) an, daß meine Berufung auf die Diskon-
tinuität der Kammern unrichtig sei, da aus dieser
Diskontinuität keineswegs folge, daß alle von
den Kammern gefaßten Beschlüsse beim Eintritte-
einer neuen Ständeversammlung für erloschen
gelten; indessen lasse sich vom politischen Stand-
punkte aus sehr vieles für meine Ansicht sagen.
Gegen meine Ansicht hat sich auch G. Meyer-
(Lehrbuch des D. St. R., §. 158) ausgesprochen,
indem er annimmt, daß der Grundsatz der Dis-
kontinuität der Sitzungsperioden sich nur auf
die geschäftliche Behandlung in den Kammern.
selbst, nicht auf das Verhältnis derselben zu dem
Monarchen beziehe; indes nimmt auch er an,
daß mit der Neuwahl des Abgeordnetenhauses
die Frist für die Publikation ihr Ende erreiche,
weil die Anordnung einer gesetzlichen Bestimmung
nur auf Grund der Zustimmung des zur Zeit
der Publikation bestehenden Landtages zuläfsig sei.
Auch v. Schulze (Pr. St. R., Bd. II, S. 22 ff.)