Prüfung der Rechtsgültigkeit der Gesetze und Verordnungen. (8. 116.) 61
erforderlichen Zustimmung des Kreisausschusses zu polizeilichen Verordnungen des Land—
rates. Zu den Formen, von deren Beobachtung die Rechtsgültigkeit polizeilicher Ver—
ordnungen der Regierungspräsidenten, Oberpräsidenten und Minister abhängt, gehört
ferner, daß dieselben ausdrücklich auf die §§. 136—138 des L. V. G. v. 30. Juli
1883 bzw. in den Fällen des §. 137 daselbst auf die §§. 6, 12, 15 des Gesetzes v.
11. März 1850 bzw. die §§. 6, 12, 13 der Verordnung v. 20. Sept. 1867 und des
lauenburgischen Gesetzes v. 7. Jan. 1870 Bezug nehmen und als „Polizeiverordnung“
bezeichnet sind. Es gehört daher auch die Beebachtung dieser Vorschriften zu den der
richterlichen Prüfung unterliegenden Fragen der Rechtsgültigkeit der erlassenen polizeilichen.
Verordnungen.
b) Es darf die Strafandrohung den nach dem Gesetze über die Polizeiverwaltung
v. 11. März 1850 bzw. der Verordnung v. 20. Sept. 1867, dem lauenburgischen
Gesetze v. 7. Jan. 1870 und den 88. 136 ff. des L. V. G. v. 30. Juli 1883 statt-
haften Höchstbetrag der Geldbuße nicht überschreiten.?
) Es dürfen die Polizeiverordnungen, zu deren Erlaß die mit dem Polizeiverord-
nungsrechte betrauten Behörden befugt sind, keine Bestimmungen enthalten, welche
mit den Gesetzen oder den Verordnungen einer höheren Instanz im Widerspruche stehen
(§. 15 des Gesetzes v. 11. März 1850, §. 13 der Verordnung v. 20. Sept. 1867 und
§. 14 des Gesetzes v. 7. Jan. 1870). Hieraus ergibt sich insbesondere:
a) daß die in Rede stehenden polizeilichen Vorschriften nur solche Gegenstände
betreffen dürfen, welche in das durch die §§. 6 und 12 des Gesetzes v. 11. März
1850 bzw. der Verordnung v. 20. Sept. 1867 und die §§. 7 und 13 des Gesetzes
v. 7. Jan. 1870, ferner durch die §§. 196 ff. des Allgemeinen Berggesetzes v. 24. Juni
1865 3 begrenzte Gebiet derselben fallen 4, daß mithin solche polizeiliche Vorschriften
keine Gültigkeit haben, welche ihrem Gegenstande nach dies Gebiet überschreiten, zu deren
Erlaß also die betreffende Behörde nicht befugt gewesen ist 5;
8) daß die Verordnung auch mit anderen Gesetzen,
insbesondere auch mit der
Verfassung, nicht im Widerspruche stehen darf.
Einer polizeilichen Vorschrift,
gültigkeit nicht erfüllt,
welche die vorstehenden Bedingungen ihrer Rechts-
sind folglich ungeachtet ihrer vorschriftsmäßigen Publikation die
Gerichte die Anwendung zu versagen berechtigt und verpflichtet.“
die richterliche Prüfung nicht darauf erstrecken,
Dagegen darf sich
ob das von der betreffenden Behörde in
1 Vgl. die Zirk. Reskr. des Min. d. Inn. v.
6. Juni 1850 (M. Bl. d. i. Verw. 1850, S. 176)
und v. 16. Nov. 1867 (a. a. O. 1867, S. 364)
und die Bekanntmachung d. lauenburg. Staatsmin.
v. 7. Febr. 1870 (Offiz. Wochenbl. für Lauenburg
1870, Nr. 10, S. 41).
2 lhberschreitet eine Polizeiverordnung bei der
Strafandrohung das zulässige Strafmaß, so ist
sie deshalb nicht ungültig, sondern nur die
Strafe in dem geringeren vom Gesetze gestatteten
Maße zu verhängen (vgl. Oppenhoffs ii
zum Preuß. Strafgesetzb., 5. Aufl., §. 332,
Anm. 56). Die Zirk. Restr. des Min. d. Inn. v.
6. Juni 1850 (M. Bl. d. i. Verw. 1850, S. 176)
und v. 16. Nov. 1867 (a. a. O. 1867, S. 364)
haben bestimmt, daß es zur Gültigkeit der von
einer Regierung erlassenen Polizeiverordnung er-
forderlich sei, daß darin die Strafe der Nicht-
befolgung oder Ubertretung der Verordnung inner-
halb des zulässigen Betrages dergestalt festgesetzt
wird, daß entweder eine bestimmte Summe, oder
auch ein Minimum und Maximum oder auch
nur das letztere angegeben wird.
3 G. S. 1865, S. 746 ff.
4 Vgl. das Nähere hierüber oben §. 114.
5 Dies ist auch von dem Berichterstatter in
der 1. K. (Abgeordn. Wallach) ausdrücklich er-
klärt worden (vgl. Stenogr. Ber. der 1. K. 1849
—50, S. 2336). Selbstverständlich dürfen auch
die Polizeiverordnungen, zu deren Erlaß die
Minister berechtigt sind, nur solche sein, zu deren
Erlaf dieselben nach den gesetzlichen Bestimmungen
befugt sind. Sofern daher in dieser Beziehung
Kompetenzüberschreitungen stattgefunden haben
sollten, ist die erlassene Polizeiverordnung nicht
rechtsgültig und es sind die Gerichte berech-
tigt und verpflichtet, solche Polizeiverordnungen
nicht zur Anwendung zu bringen.
6 Von selbst versteht sich, wie auch das Ob.
Trib. in dem Erk. v. 1. Okt. 1857 (ogl. Oppen-
hoffs Komm. zum Preuß. Strafgesetzb., §. 332,
Anm. 64) angenommen hat, daß, wenn auch der
Richter einer Polizeiverordnung aus dem Grunde,
weil sie mit den bestehenden Gesetzen im Wider-
spruche steht, die Anwendbarkeit versagen darf,
ihm doch ein Ausspruch über ihre Gesetzmäßig-
keit im allgemeinen nicht zusteht, sondern daß
er sich auf die Freisprechung des Angeklagten zu
beschränken hat und nicht etwa gleichzeitig die
Aufhebung der Verordnung oder dergleichen aus-
sprechen darf.