Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

64 Die Gesetzgebung. (§. 117.) 
und nach Art. 68 der Reichsverfassung auch als reichsrechtliche Norm gilt, wenn der 
Kaiser im Falle der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit im Reichsgebiete dieses oder 
einen Teil desselben in Kriegszustand erklärt. 
S. 117. 
Die besonderen Garantien der Verfassung.? 
Die Verfassung ist dazu bestimmt, alle Rechte und gesetzlichen Freiheiten der Staatsbürger- 
zu gewährleisten; sie enthält zugleich die Vorschriften über die konstitutionelle Beschränkung 
der königlichen Gewalt. Um sie in ihrem Bestande zu erhalten, ihre Ausführung zu 
sichern und Verletzungen der durch sie anerkannten oder verbürgten Rechte und Freiheiten. 
zu verhindern, sind gewisse Schutzmittel gegeben, welche als Verfassungsgarantien 
bezeichnet werden. Diese können völkerrechtliche oder auswärtige sein, nämlich die 
von seiten eines oder mehrerer Staaten vertragsmäßig übernommene Verbindlichkeit zur 
Sicherung des Bestandes oder der Ansprüche eines oder mehrerer anderer Staaten und 
ihrer Verfassung 3, oder andererseits auch staatsrechtliche, innere, konstitutionelle.“ 
Im weiteren Sinne gehören dahin alle Einrichtungen, welche das Rechtsverhältuis des 
Staatsvolkes gegenüber dem Herrscher zu einem solchen gestalten, daß auch das regierte 
Volk als Rechtssubjekt anerkannt und der Forderung Rechnung getragen wird, daß der Wille 
des Volkes innerhalb seines Rechtskreises nicht kraftlos sei und nicht willkürlich von der 
Regierung unterdrückt werde. In diesem Sinne bilden insbesondere die Bestimmungen 
der Verfassung selbst über die Organisation und die Rechte der Repräsentation des Volkes, 
die Rechte der Körperschaften, vorzüglich die Selbständigkeit der Gemeinden, die Un- 
abhängigkeit der Justiz, die Preß= und Vereinsfreiheit allgemeine Garantien der 
Erhaltung und Beobachtung der Verfassung. Im eigentlichen oder engeren Sinne 
werden unter Verfassungsgarantien diejenigen in der Verfassung oder neben ihr begrün- 
deten rechtlichen Einrichtungen verstanden, welche positiv unmittelbar und speziell 
zu dem Zwecke getroffen worden sind, um der Verfassung einen besonderen Schutz gegen 
Verletzung, wie gegen nicht genügend erwogene Veränderungen zu geben. Diese be- 
sonderen Garantien sind: 1. der Verfassungseid, 2. die Verantwortlichkeit der Minister 
für die Handlungen des Königs und das Institut der Ministeranklage, 3. die erschweren- 
den Formen für Abänderung der Verfassung. 
  
1 S. hierüber Fleischmann, Art. Belagerungs- 
zustand in v. Stengel-Fleischmanns Wörterbuch, 
Bd. I, S. 397 ff. und die dort angeführte Literatur. 
2 A. Daunon, Essais sur les garanties 
individuelles que réclame I’état actuel de la 
société, 1819, deutsch 1823; Cherbuliez, 
Théorie des garanties constitutionnelles, 1838. 
L. Hoffmann, Die staatsbürgerlichen Garan- 
tien, oder über die wirksamsten Mittel, Throne 
gegen Empörung und die Bürger in ihren Rechten 
zu sichern, 2 Bde., 2. Aufl., 1831. Über Kon- 
stitutionen und Garantien, 1834. C. Th. Welcker, 
Die Gefahren des Vaterlandes, 1833; v. Aretin 
und v. Rotteck, Staatsr. der konstitut. Monar- 
chie, Bd. III, S. 3ff. Held, System der Verf. 
R., Bd. II, S. 99 ff.; Maurenbrecher, Grund- 
züge des D. St. R., §. 53; Zachariä, D. St. 
u. B. R., 3. Aufl., Bd. I, S. 296 f.; Zöpfl, 
Grundsätze des allgem. D. Staatsr., 5. Aufl., 
Bd. II, S. 449 ff.; v. Gerber, Grundzüge eines 
Systems des D. St. R., 3. Aufl., S. 7 u. S. 190 ff.; 
Welcker, in Rottecks und Welckers Staatslexikon 
in dem Artikel: „Garantien“, 3. Aufl., Bd. VI, 
S. 104 ff.; Jellinek, Allgemeine Staatslehre #, 
1914, S. 343ff., 788 ff. 
  
3 Dergleichen auswärtige Garantien bestehen 
für die preuß. Verfassung nicht; insbesondere 
bestand zur Zeit des Deutschen Bundes keine 
Garantie durch diesen. Art. 60 der Wiener 
Schlußakte v. 15. Mai 1820 erklärte zwar die 
bernahme einer (besonderen) Garantie einzel- 
ner Landes= und ständigen Verfassungen durch 
den Deutschen Bund ausdrücklich für zu- 
lässig und erweiterte für diesen Fall die Kompe- 
tenz der Bundesversammlung auf Verfassungs- 
streitigkeiten; allein eine solche Garantie des 
Bundes ist für die preuß. Verfassung zu keiner 
Zeit beantragt oder übernommen worden. Vgl. 
auch Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl., Bd. 1, 
S. 370. 
4 Die sicherste Garantie der Erhaltung einer 
Verfassung und der durch sie der Gesamtheit 
und den einzelnen gewährten materiellen und 
formellen Rechte besteht in ihrer Angemessenheit 
für die Zustände des Volkes, für welches sie be- 
stimmt ist, also in ihrem inneren Zusammen- 
hange und der Harmonie aller ihrer Teile sowie 
darin, daß sie in der Tat durch die Rechtsan- 
schauung und Gesinnung des Volkes getragen 
wird.
	        
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