Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

80 Die Gesetzgebung. (§. 117.) 
Verfassungsurkunde als auch später ihre Verpflichtung anerkannt, dem Art. 61 der Ver- 
fassungsurkunde durch Herbeiführung des darin vorbehaltenen Spezialgesetzes die praktische 
Ausführbarkeit zu sichern und hierdurch die bis dahin nur theoretisch bestehende Minister- 
verantwortlichkeit zu einer solchen zu gestalten, die in der staatsrechtlichen Praxis mit 
Erfolg geltend gemacht werden kann. Schon in der Sitzungsperiode von 1850—51 
legte das Staatsministerium einen „Gesetzentwurf, betreffend die Fälle der Verantwort- 
lichkeit, in welchen Minister durch die Kammern angeklagt werden können, das dabei zu 
beobachtende Verfahren und die zur Anwendung kommenden Strafen“, welcher auf den 
Prinzipien der Art. 44 und 61 der Verfassungsurkunde beruhte, zur verfassungsmäßigen 
Beschlußnahme vor.1 Dieser Entwurf ist Gegenstand eingehender Beratungen sowohl in 
den Kommissionen als im Plenum beider Kammern geworden. Der aus den Beschlüssen 
der Zweiten Kammer hervorgegangene revidierte Entwurf behielt sowohl die leitenden 
Grundsätze als die Substanz des Regierungsentwurfs bei, mit Anderungen, die weder 
umfangreich noch tief eingreifend waren.? Auch die Erste Kammer lehnte die von ihrer 
Kommission vorgeschlagenen präjudiziellen Anderungen ab und nahm bei der Spezial= 
beratung die einzelnen Artikel des Entwurfs mit wenig erheblichen Anderungen an; in 
der Schlußabstimmung wurde aber dennoch das Gesetz als Ganzes abgelehnt.3 Seitdem 
verhielt sich die Staatsregierung bis zum Jahre 1862 der Frage gegenüber äußerlich 
aunntätig." In der Session von 1861 beschloß indes das Haus der Abgeordneten, „gegen 
  
Art. 61 der Verf. Urk. selbst und ausdrücklich ein liegen selbstverständlich die Minister gleich allen 
Spezialgesetz über die Fälle der (konstitutio= übrigen Beamten und Staatsbürgern, und dies 
nellen) Verantwortlichkeit, über das Verfahren hat an sich mit der „Ministerverantwortlichkeit“ 
und über die Strafen vorbehält, und daß da= gar nichts zu schaffen. 
her bis zum Erlaß dieses vorbehaltenen Gesetzes 1 Dieser Gesetzentwurf (ohne Motive) wurde 
der Abs. 1 des Art. 61 eine lex imperkecta bleibt, von dem Just. Min. Simons auf Grund der 
welche ihre notwendige Ergänzung nicht aus den- Allerh. Ermächtigung v. 20. Nov. 1850 zuerst 
jenigen Gesetzen entnehmen darf, welche nicht für der 2. K. in der Sitz. v. 27. Nov. 1850 (ogl. 
die Fälle der allein durch die Verf. Urk. be= Stenogr. Ber. der 2. K. 1850—51, Bd. I, S. 24) 
gründeten konstitutionellen Verantwortlich= vorgelegt. Vgl. dens. in den Stenogr. Ber der 
keit der Minister gegeben worden sind. Aller= 2. K. 1850—51, Bd. III, Nr. 6, S. 10—12. 
dings hat, wie Koch richtig bemerkt, der Prozeß 2 Vgl. den Bericht der Komm. der 2. K. v. 
gegen die letzten Minister König Karls X. vor25. Jan. 1851 in den Stenogr. Ber. der 2. K. 
dem damaligen französ. Pairshofe gezeigt, daß 1850—51, Bd. III, Nr. 25, S. 187—198, und 
tatsächlich ein Ministeranklageprozeß auch ohne die Verhandl. darüber in den Plenarsitzungen v. 
ein eigentliches Gesetz über Ministerverantwort- 1. u. 3. Febr. 1851 in den Stenogr. Ber. a. a. O., 
lichkeit möglich ist; denn ein solches bestand da= Bd. I, S. 128—158, desgl. den revid. Entw. v. 
mals in Frankreich nicht, sondern die Verf. Urk. 3. Febr. 1851 (Drucks. der 2. K. 1850—51, Nr. 70) 
enthielt nur im allgemeinen das Prinzip der in den Stenogr. Ber. a. a. O., Bd. III, Nr. 32, 
Verantwortlichkeit und bezeichnete den Pairshof S. 219—221, welcher in der Sitz. v. 7. Febr. 
als das Gericht, vor welchem die Deputierten= 1851 (a. a. O., Bd. I, S. 163) definitiv ange- 
kammer als Kläger aufzutreten habe. Allein aus nommen wurde. 
demjenigen, was in und nach einer Staatsum- 3 Vgl. den Bericht der Komm. der 1. K. und 
wälzung möglich ist, kann kein Schluß darauf die Verhandl. darüber in den Plenarsitzungen v. 
gezogen werden, was rechtlich zulässig ist. 9. u. 10. April 1851 in den Stenogr. Ber. der 
Dagegen wird nicht bestritten werden können, 1. K. 1850—51, Bd. II, S. 918—969, und die 
daß bis zum Erlaß des in Art. 61 der Verf. Urk. Verhandl. über die Ablehnung des Gesetzentwurfs 
vorgesehenen Gesetzes zur Ausführung der darin im ganzen in der Plenarsitzung v. 15. April 
ausgesprochenen Grundsätze von dem Beginne 1851 in den Stenogr. Ber. a. a. O., S. 1010 
einer Verjährung des nach Art. 61 den Kam- —1115. Die Ablehnung erfolgte mit 72 gegen 
mern verfassungsmäßig schon jetzt zustehenden! 59 Stimmen. Über die Gründe dieser Ableh- 
Anklagerechtes nicht die Rede sein kann (vgl. nung vgl. auch die Erörterungen der Abgeordn. 
Bd. 1I, S. 257, 365, 368, 579). Ubrigens versteht Stahl und v. Gerlach in der Sitz. der 1. K. 
es fich ganz von selbst, daß es des Erlasses des in v. 7. Jan. 1852 (Stenogr. Ber. 1851—52, Bd. J, 
Art. 61 vorgesehenen Ministerverantwortlichkeitss S. 58—60), welche schon damals dieselben 
gesetzes nicht bedarf, um einen Minister wegen Ver= waren, aus welchen in neuester Zeit das Mi- 
brechen, die auch das Strafgesetzbuch mit Strafe be= nisterium v. Bismarck den Erlaß eines Minister- 
droht, namentlich also auch wegen solcher strafbarer verantwortlichkeitsgesetzes für inopportun er- 
Amtshandlungen oder Unterlassungen, insbes. klärt hat. 
wegen Bestechung oder Verrat, auf Antrag 4 Auf eine Interpellation des Abgeordn. Sim- 
der Staatsanwaltschaft in Anklagestand zu son und Gen. v. 28. April 1851 erfolgte in der 
versetzen und zu bestrafen. Denn der gewöhn= Sitz. v. 30. April 1851 eine ausweichende Ant- 
lichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit unter= wort (vgl. Stenogr. Ber. der 2. K. 1850—51, 
  
 
	        
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