Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Die besonderen Garantien der Verfassung. (S8. 117.) 85 
verfafsungsmäßig (Art. 7) nur nach Instruktionen tätig zu werden haben, unterliegt somit 
die gesamte Tätigkeit der einzelstaatlichen Bevollmächtigten zum Bundesrat im Bundes- 
rate dem Prinzip der konstitutionellen Ministerverantwortlichkeit in den Einzelstaaten, in- 
soweit diese jenes Prinzip verfassungsmäßig anerkannt haben, wie dies in Preußen 
zweifellos der Fall ist. 
C) Verfassungsänderungen. 
I. Keine Verfassung kann für alle Zukunft unabänderlich sein, sondern da das 
Volk, für welches sie bestimmt ist, sich in steter Entwicklung und Fortbildung befindet, 
folgt aus dem Zweck des Staatsgrundgesetzes von selbst die Notwendigkeit, daß auch 
das letztere in beständiger Übereinstimmung mit den verschiedenen Stufen der Kultur und 
den sonstigen Verhältnissen der Nation erhalten werden muß. liberdies wird keine Ver- 
fassung frei von Mängeln, sondern jedes Staatsgrundgesetz allezeit solcher Verbesserungen 
fähig und bedürftig sein, welche die Erfahrung des Lebens und die Fortschritte der 
Wissenschaft an die Hand geben.? Obgleich also die Notwendigkeit einer zeitgemäßen 
Fortbildung der Verfassung niemals bestritten werden kann, ergibt sich doch aus dem 
wesentlichen Zwecke eines jeden Staatsgrundgesetzes ganz von selbst zugleich die Not- 
wendigkeit, für Abänderung des Staatsgrundgesetzes ganz besonders sorgsame Erwägung 
seitens des Gesetzgebers zu fordern.5 
Diesen Grundsatz hat auch die preußische Ver- 
  
achtet. Ebenso Hiersemenzel (Verf. des Nordd. 
Bundes, Tl. 1, Art. 15, S. 66), welcher indes 
bemerkt, daß es fraglich sei, wie diese Verant- 
wortlichkeit zu realisieren sein würde, weil die 
Sitzungen des Bundesrates nicht öffentlich sind, 
wenigstens nicht zu sein brauchen. Riedel 
(Verf. Urk., S. 26) spricht sich für eine allgemein 
politische Verantwortlichkeit der Landesminister 
gegenüber ihrer Volksvertretung, in betreff der 
erteilten Instruktionen, aus, und nimmt an, daß 
sich eine weitergehende Verantwortlichkeit der Lan- 
desminister nur in dem Falle begründen lasse, 
wenn nach dem speziellen Landesrechte die In- 
struktionserteilung der Mitwirkung der Landes- 
vertretung bedürfte. — Unbedingt gegen die 
Verantwortlichkeit der Landesminister gegenüber 
den Einzellandtagen für die ihren Bundesbevoll- 
mächtigten erteilten Instruktionen erklärt sich 
Meyer, Grundzüge des Nordd. Bundesrechtes, 
S. 84 ff., und Lehrbuch, §. 186. Für rechtliche Ver- 
antwortlichkeit der Landesminister: v. Schulze, 
Pr. St. R., S. 98. Zum ganzen vgl. Labandé, 
1I, S. 99 ff., 246; Vogels, Die staatsrechtliche 
Stellung der Bundesratsbevollmächtigten, in Zorn 
und Stier-Somlos Abhandl., 1911. Weitere 
Literatur bei Laband a. a. O. 
1 Vgl. Klüber, Offtl. R. des D. B., S. 408; 
Maurenbrecher, Grundsätze des D. St. R., 
§. 51; Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl., 
Bd. I, S. 291; Zöpfl, Grundsätze des gem. D. 
St. R., 5. Aufl., Bd. II, S. 192; Held, System 
des Verfassungerechtes, Bd. II, S. 65 ff.; Grote- 
fend, D. St. R. der Gegenwart, S. 290 ff. u. 
625; v. Schulze, Pr. St. R., Bd. II, S. 55 ff.; 
Schwartz, Verf. Urk., S. 336 ff.; Arndt, Verf. 
Urk., S. 371 f.; G. Meyer-Anschütz, Lehrb., 
§. 157; Bornhak:, I, S. 557 ff.; v. Rauch- 
haupt, Verfassungsänderungen, 1908; v. Herrn- 
ritt, Die Staatsform als Gegenstand der Ver- 
fassungsgesetzgebung und Verfassungsänderung, 
1901. 
Deshalb wäre es so unrecht wie unweise, 
  
— 
wenn ein Staatsgrundgesetz die Möglichkeit der 
Abänderung seines Inhaltes selbst verbieten wollte. 
Die die Verfassung entwerfende Generation kann 
nicht befugt sein, alle künftigen an ihre Satzun- 
gen zu binden; die Satzung der Unveränderlich- 
keit der Verfassung würde entweder verhindern, 
künftigen Bedürfnissen der Nation gerecht zu 
werden, oder zu formeller Verfassungsverletzung 
nötigen oder gar zur Gewalttätigkeit hinführen 
(vgl. v. Mohl, Württemb. St. R., Bd. I, S. 96, 
Note 5). 
Schon das Staatsrecht zur Zeit des Deut- 
schen Reiches erkannte an, daß kein Landesherr 
berechtigt sei, die Landesverfassung willkürlich ab- 
zuändern, und die Reichsgerichte gewährten den 
hergebrachten Landesverfassungen ihren Schutz 
(vgl. Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl., Bd. 1, 
S. 292, Note 1), wobei es keinen Unterschied 
machte, ob die Verfassung auf Herkommen, auf 
Vertrag mit den Ständen oder Untertanen, oder 
auf Privilegien (Konzessionen) des Landesherrn 
beruhte. Diesen Grundsatz hat auch das Deutsche 
Bundesrecht anerkannt, indem Art. 56 der Wiener 
Schlußakte v. 15. Mai 1820 bestimmt: „Die in 
anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständi- 
schen Verfassungen können nur auf verfassungs- 
mäßigem Wege wieder abgeändert werden.“ Unter 
den „in anerkannter Wirksamkeit“" bestehenden 
landständischen Verfassungen waren aber nicht 
bloß diejenigen zu verstehen, welche zur Zeit der 
Errichtung der Bundesakte notorisch von sämt- 
lichen Beteiligten, d. h. von der Regierung und 
von dem Volke als die tatsächlich und rechtlich 
bestehende Einrichtung des Staates anerkannt und 
gehandhabt, sondern auch diejenigen, welche seit 
dieser Zeit auf eine gesetzliche Weise, d. h. na- 
mentlich unter freier Einwilligung aller bei der 
Anderung des Rechtsstandes Beteiligten einge- 
führt wurden (vgl. hierüber Zachariä, D. St. 
u. B. R., 3. Aufl., Bd. I, S. 292, Note 3, und 
Bd. II, S. 775 ff.; Zöpft, Grunds. des . St. 
R., 5. Aufl. Bd. II S. 192—199: v. Mohl,
	        
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