92 Zweiter Abschnitt. (8. 21.)
nutzungen und zur Ausübung der politischen Gemeinderechte befähigenden vollen Bürger-
rechtes giebt. "
Dieses Heimatsrecht, in der kurhessischen Gemeindeordnung „Gemeindeangehörigkeit",
in der nassauischen schlechthin „Bürgerrecht“? genannt, wird erworben vurch Geburt;
durch Heirat einer Frau mit einem heimatsberechtigten Manne, durch Aufnahme in das
volle Bürgerrecht“ und durch Anstellung im Staats-, Kommunal= oder Kirchendienst."
Die Gemeindeangehörigkeit und das Bürgerrecht gehen verloren durch Aufnahme
und Erwerb derselben in einer anderen Gemeinde oder durch Verlust der Staatsangehörig-
keit; in Nassau kann niemand das Bürgerrecht in mehr als einer Gemeinde besitzen, in
Kurhef sen kann dem in eine zweite Gemeinde Aufgenommenen die Gemeindeangehörigkeit
in der ersten Gemeinde erhalten werden, wenn er mit Genehmigung des Gemeinderats
Ortsbürger der letzteren bleibt.
II. Den Bürgern in Nassau stehen die Nichtbürger, den Gemeindeangehörigen in
Kurhessen die Orts= und Schutzgenossen gegenüber, das sind Personen, die in einer
anderen Gemeinde heimatsberechtigt, am Orte nur auf gewisse Zeit oder in einem nicht
selbständigen Verhältnisse einen eigenen Haushalt haben, wie Pächter, Geschäftsführer
und Privatbedienstete.
III. Eine besondere Klasse der Heimatsberechtigten bilden in jeder Gemeinde die
zur Teilnahme an den Gemeindenutzungen und zur Ausübung der politischen Gemeinde-
rechte Befugten.
1) In Kurhessen heißen diese Gemeindemitglieder und zerfallen als solche
wieder in vollberechtigte Ortsbürger und minderberechtigte Beisitzer. Beide Arten
der Gemeindemitgliedschaft, das Ortsbürger= wie das Beisitzerrecht, müssen durch einen
besonderen Akt erworben werden; einen Anspruch auf die Gemeindemitgliedschaft haben
nur die Gemeindeangehörigen, anderen kann sie bei Erfüllung der gesetzlichen Voraus-
setzungen verliehen werden.
Der Erwerb des Ortsbürgerrechts erfolgt nur durch ausdrückliche Aufnahme seitens
des Ortsvorstandes. Erwerbsberechtigt sind volljährige Männer, welche im Besitze der
bürgerlichen Ehrenrechte sind, nicht wegen Diebstahls, Raub, Unterschlagung, Untreue
und Betrug eine schwerere Strafe als 60 Mark Geldbuße oder 14 Tage Gefängnis
erlitten haben, nicht wegen dieser Vergehen oder eines anderen mit schwerer Strafe
bedrohten Verbrechens in Untersuchung stehen, nicht unter Kuratel gesetzt oder im Kon-
kurse sind, sofern sie
a) ein eigenes Wohnhaus besitzen, oder
b) auf eigenem Grundstücke mit eigenem Anspanne Landwirtschaft betreiben, oder
I) selbständig ein Handwerk oder ein sonstiges Gewerbe betreiben, oder
d) von ihrem Vermögen ein Jahreseinkommen von mindestens 300 Mark in Ge-
meinden unter 1000, 600 Mark in Gemeinden von 1000—3000 und 900 Mark in
Gemeinden von mehr als 3000 Einwohnern beziehen, oder
1 Vgl. die liberschrift zu §. 9 der G. O. kurh.
: Das G. G. nass. braucht den Ausdruck
* G. O. kurh., §§. 10 u. 13—15; G. G.
nass., §. 69, Z. 2. Ülber den Erwerb des Bür-
„Heimatsrecht“ überbaupt nicht, das in §. 68,
Abs. 2 erwähnte angeborene Bürgerrecht, wel-
ches als solches ohne besonderen Antritt ledig-
lich zur Benutzung der Gemeindeanstalten, zum
ändigen Aufenthalt und zum Anspruch auf
emenunterstützung berechtigt, ist inhaltlich nichts
anderes als das Heimatsrecht der G. O. kurh.
2 G. O. kurb., §§. 10—12; G. G. nass.,
§. 70, Z. 1 u. S. 71. Die ehelichen Kinder
baben die angeborene Gemeindeangebörigkeit
bezw. das angeborene Bürgerrecht in derjenigen
Gemeinde, in der es der Ier hat, oder wenn
er verstorben, zur Zeit seines Todes besaß.
Uneheliche Kinder teilen in gleicher Weise das
Heimatsrecht ihrer Mutter.
G. O. kurb., 8§. 10 u. 11;
8. 70, Z. 2 u. §. 79.
G. G. nass.,
gerrechts durch Anstellung nach dem G. G. nass.
vgl. Bertram, S. 35. Jedenfalls gehören
zu den hier in Berracht kommenden Personen
nicht mehr die Rechtsanwälte, sie sind heute
keine Staatsdiener mehr. Vgl. auch Althaus,
S. 26 betr. Kurhessens. — Die Standesherren
sind in Nassau niemals Angehörige der Ge-
meinde. G. G. nass., §. 69, Z. 1.
* G. O. kurh., §. 17; über den Vorbehalt
des Ortsbürgerrechts vgl. unten S. 93, Text zu
Anm. 7; G. G. nass., §. 70, Abs. 2, u. J. 89.
G. O. kurh., §. 35, und dazu Althaus,
S. 57, Anm.
: G. O., S. 20.
G. O., §. 34.