Selbstverwaltung und Selbstverwaltungstörper. (8. 1.) 9
Heerwesen oder die Gerichtsbarkeit eine centrale oder doch wenigstens eine gleichheitliche
Behandlung im ganzen Staatsgebiete erfordern, können nicht von Gemeinwesen im
Staate selbständig versehen werden, sie sind ihrer Natur nach von der Selbstverwal-
tung ausgeschlossen. Letztere muß sich im wesentlichen auf die Gebiete der inneren Ver-
waltung und des Finanzwesens beschränken. Die Selbstverwaltung hat stets eine
decentralisierende Wirkung. Richtig ist zwar, wenn Laband ausführt, daß auch „bei
völlig bureaukratischer Staatsverwaltung die Decentralisation in größtem Maße
durch Beschränkung der Beschwerden und anderen Rechtsmittel, durch Ausstattung der
unteren Instanzen mit weitreichenden Befugnissen“ erreicht werden kann, daraus folgt
aber noch nicht, wie er will, daß die Decentralisation kein charakteristisches Moment
für die Selbstverwaltung ist. Wenn auch nicht alle decentralisierte Staatsverwaltung
Selbstverwaltung ist, so ist doch alle Selbstverwaltung decentralisierte Staatsverwaltung.
3) Das Verhältnis und die Art und Weise des Zusammenwirkens
von Staat und Selbstverwaltungskörpern ergziebt sich daraus, daß letzteren durch
rie objektive Rechtsordnung Teile der öffentlichen Verwaltung übertragen und ihnen
damit teils Rechte verliehen, teils Pflichten auferlegt sind.
Die Selbstverwaltungskörper verwalten nicht als unselbständige Gehilfen des Staats-
eberhauptes, lediglich durch persönlichen Auftrag desselben berufen, einen Kreis von
Geschäften, der ihnen jeder Zeit wieder abgenommen werden kann, sondern sie haben,
solange das Gesetz besteht, welches sie als Selbstverwaltungskörper anerkennt und mit
rer betreffenden Verwaltung betraut, ein Recht auf diese Verwaltung.? Jedes wider-
rechtliche Eingreifen der Staatsbehörden in die den Selbstverwaltungskörpern durch die
objektire Rechtsordnung gewährte Freiheit und Selbständigkeit erscheint als eine Ver-
letzung eines subjektiven Rechtes derselben, welches nach den Prinzipien des Rechtsstaates
gerichtlichen Schutz erheischt. Zur Gewährung dieses sind nach der heutigen Rechts-
auffassung die Verwaltungsgerichte in weitem Umfange berufen, auch in Preußen speziell
ist ihre Kompetenz anerkannt, wenn die Selbstverwaltungskörper behaupten, „daß durch
Verfügungen in Gegenständen der Staatsaufsicht das ihnen gesetzlich zustehende Selbst-
verwaltungsrecht verletzt, oder daß ihnen eine gesetzlich nicht begründete Leistung auf-
erlegt sei“.
8 Diesem subjektiven Rechte der Selbstverwaltungskörper korrespondiert die dem Staate
gegenüber bestehende Pflicht derselben, die ihnen überwiesenen Verwaltungszweige so
wahrzunehmen, wie das öffentliche Wohl es erfordert. Nicht im eigenen Interesse und
zur beliebigen Wahrnehmung sind sie mit jenen betraut, sondern lediglich im Interesse
des Staates. Daher sind sie auch dem Staate für ihr Verhalten verantwortlich und
der Aufsicht desselben unterstellt. 3.“ Diese hat eine zweifache Richtung:
Negativ hat der Staat darüber zu wachen, daß die Selbstverwaltungskörper die
ihnen gezogenen rechtlichen Schranken nicht überschreiten und keine Thätigkeit entfalten,
welche sein Interesse schädigt. Zur Realisierung der diesbezüglichen Aufsichtsfunktionen
hat der Staat sich besonders vorbehalten: das Recht der Bestätigung gewisser Beschlüsse
der Selbstverwaltungskörper und das Recht der Anfechtung solcher, wenn sie gesetz= oder
kompetenzwidrig sind.
Positiv hat der Staat darauf zu halten, daß die Selbstverwaltungskörper inner-
halb ihrer Kompetenz die Gemeinzwecke, um derentwillen sie vorhanden sind, verwirklichen.
Dazu bedient er sich des Rechtes des Zwanges und Befehles gegenüber den Organen der
1 Laband, S. 96.
: Löning, S. 31: „Sie sind zwar Organe
des Staates, aber sie haben als selbständige
Persönlichkeiten auch dem Staatsoberhaupt
gegenüber eine eigene Rechtssphäre, die durch
das objektive Recht umgrenzt ist und nur durch
Anderung des Rechts geändert werden kann.“
à Hänel, S. 138 ff. u. S. 322: „Das
Wesen der Selbstverwaltung . fordert es, daß
der korporative Verband, als öffentlich-rechtliche
Erscheinung, in seiner Totalität von der Be-
aufsichtigung ergriffen und damit in einem seine
gesamte öffentliche Rechtsstellung ergreifenden
Verantwortlichkeitsverhältnisse dem Staate ein-
gegliedert sei.“
Über die verschiedenen Auffassungen der
Staatsaufsicht vgl. Blodig, S. 45 ff.
5* Blodig, S. 47; Hänel, S. 139: Rosin,
Das Recht der öffentl. Genossenschaft, §. 8, II;
Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, I,
§5. 57, E. IV; derselbe in dem Art. „Korpo-=
ration“, in v. Holtzendorffs Rechtslexikon, II,
S. 564; Löning, S. 36.