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weiterer Ausgabenverpflichtungen noch weitere Summen ausgeworfen.I Der Entwurf
der neuen Provinzialordnung, deren Aufgabe nunmehr darin bestand, die Verfassung und
Verwaltung der Provinzen für die Zwecke kommunaler Selbstverwaltung zu reorganisieren,
erlitt dagegen im Landtage einige prinzipiell wesentliche Underungen. Die Regierung beab-
sichtigte, nicht nur die Provinz, sondern auch den Regierungsbezirk als Kommunalverband
zu gestalten. Zur Vertretung jeder Provinz sollte ein Provinzialausschuß unter Vorsitz des
Vorsitzenden des Provinziallandtages, zur Vertretung jedes Regierungsbezirks ein Bezirks-
ausschuß, bestehend aus den dem betreffenden Bezirk angehörigen Mitgliedern des Provin-
zialausschusses und einem von diesem zu bestimmenden Vorsitzenden, bestellt werden. Die
beiden Ausschüsse sollten zugleich ebenso wie der Kreisausschuß als Beschlußbehörden in
Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung fungieren, jedoch sollte dann der Ober-
präsident bezw. Regierungspräsident den Vorsitz haben, sodaß dieser wechselte, je nachdem
kommunale oder staatliche Angelegenheiten zur Beratung und Beschlußfassung standen. —
Hierdurch wollte man eine dem Systeme der Kreisordnung entsprechende Verbindung
kommunaler und staatlicher Verwaltung in denselben Organen des Provinzialverbandes
schaffen. Diese Vorschläge fanden im allgemeinen die Billigung des Abgeordnetenhauses,
welches nur den Vorsitz im Provinzialausschusse von dem im Provinziallandtage trennte.
Das Herrenhaus dagegen strich mit der Begründung, daß es eine Bezirksgemeinde über-
haupt nicht gebe und der Bezirksausschuß als kommunales Organ daher überflüssig sei,
den Bezirksausschuß ganz?, beschränkte ferner den Provinzialausschuß lediglich auf die
Wahrnehmung kommunaler Provinzialgeschäfte und schuf für die Geschäfte der allgemeinen
Landesverwaltung zwei besondere Kollegien, den Provinzialrat unter dem Vorsitz des
Oberpräsidenten für die Provinz, und den Bezirksrat unter dem Vorsitz des Regierungs-
präsidenten für den Bezirk. In dieser veränderten Gestalt wurde der Entwurf zum
Gesetz und als Provinzialordnung für die Provinzen Preußen (später Ost= und West-
preußen)3, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen unterm 29. Juni
1875 (G. S., S. 335) publiziert.
Damit waren die Ziele der kommunalen Reformbestrebungen auch für die Provinzen
erreicht: Der Provinzialverband ist nicht mehr ein Verband der Stände, sondern die
Zusammenfassung der Kreisverbände, der Provinziallandtag nicht mehr die Vertretung
der einzelnen Provinzialangehörigen, sondern der Kreise als solcher. Demgemäß setzt
sich auch der Provinziallandtag nicht mehr aus Vertretern der Ritter, Städte und Land-
gemeinden, sondern aus Vertretern der Kreise zusammen: jeder Kreis ist ein Wahlkreis,
jeder Kreistag bildet eine Wahlversammlung für die Abgeordneten zum Provinzialland-
tag. Es sind daher auch nicht mehr die einzelnen Previnzialangehörigen, sondern die
Kreise als solche provinzialsteuerpflichtig. Die Provinzialverbände werden nirgends mehr
von staatlichen Behörden, die lediglich Aufsichtsfunktionen behalten haben, verwaltet, son-
dern von ihren eigenen Organen, dem Provinzialausschusse und dem Landesdirektor.
In der Folgezeit hat die Provinzialordnung noch einige Abänderungen erlitten.
Zunächst wurden ihre die Provinzial= und Bezirksräte betreffenden Bestimmungen
(§§. 62—86, Tit. II, Abschn. V) durch §. 91 des Organisationsgesetzes v. 26. Juli
1880 (G. S., S. 291) aufgehoben und in dieses Gesetz übernommen, sodaß sie nunmehr
lediglich Vorschriften über die kommunale Verfassung und Verwaltung der Provinzen
enthielt. Alsdann erging unterm 22. März 1881 (G. S., S. 176) eine Novelle, welche
bezweckte, die Bestimmungen der Provinzialordnung mit den inzwischen mehrfach geän-
derten Vorschriften der Kreisordnung und des in Aussicht genommenen neuen — dann
aber erst 1883 zu stande gekommenen — Zuständigkeitsgesetzes in Einklang zu bringen,
und an demselben Tage erfolgte endlich eine Neupublikation der Provinzialordnung (G. S.,
S. 233) in der nach den verschiedenen Abänderungen sich ergebenden Form, in welcher
sie heute noch Gültigkeit hat.“
1 Dot. G., §. 20. Schleswig-Holsteindie Prov. O. nur insofern abgeändert, als nach
erhielt noch einen besonderen Fonds zur Ent-S§. 1 des Zust. G. gegen den auf Reklamation
schädigung der Kriegsersatzansprüche durch Ges. eines Kreises wegen Verteilung der Provinzial-
v. 9. Juni 1875 (G. S., S. 367) überwiesen. abgaben gefaßten Beschluß des Prov. Aussch.
: Komm. Ber. des H. H., Drucks. 1875, Nr. 99. nicht mehr, wie nach §. 112 der Prov. O., die
* Vgl. oben S. 131, Anm. 2. Klage beim Bezirksverwaltungsgericht, sondern
Die Verwaltungsgesetze von 1883 haben beim Oberverwaltungsgericht stattfindet.