Full text: Sächsisches Realienbuch enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik, Chemie und Mineralogie

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Prinz Wilhelm, der nachmalige Kaiser Wilhelm I., küßte noch die bleichen Lippen seiner 
Mutter und ging dann weinend in den Garten. Hier pflückte er Eichenblätter und Rosen und 
wand einen Kranz daraus. Den legte er auf das Sterbebett seiner Mutter. Der Kranz ist 
nachher unter Glas und Rahmen gebracht und hängt noch heute an der Wand des Sterbe- 
zimmers im Schlosse Hohenzieritz. » 
In Charlottenburg wurde der Königin eine prachtvolle Ruhestätte, das Mausoleum, 
hergerichtet. (Ged.: Brandenburgisches Erntelied, von Fouqus.) 
6. Napoleons Zug nach Rußland. 1812. 
1. Veranlassung. Im Jahre 1809 erhob sich Osterreich gegen Napoleon. 
Aber er besiegte es auch diesmal. Nun stand er auf dem Gipfel seiner Macht. 
Er war Herr über 90 Millionen Menschen. Ganz Europa mit Ausnahme von England 
und Rußland war bezwungen. Weil er England nicht angreifen konnte, wollte er 
durch die Festlandsperre den englischen Handel vernichten. Alle europäischen 
Häfen mußten den englischen Waren verschlossen werden. Zu Alexander von Ruß- 
land stellte sich Napoleon freundlich. Als der Zar sich aber der Festlandsperre nicht 
mehr fügen wollte, weil sie seinem Lande großen Schaden brachte, beschloß Na- 
poleon, die Macht Rußlands zu brechen. 
2. Aufbruch. Im Sommer 1812 zog Napoleon mit mehr als 600 000 Mann 
— darunter ½ Deutsche — nach Osten. Sachsen mußte ein Hilfsheer von 21 000 
Soldaten stellen, Preußen ebenso, dazu mußte es noch die Verpflegung der 
durchziehenden französischen Truppen übernehmen. Traurig war das Schicksal 
Ostpreußens, dessen Bewohner durch die unaufhörlichen Einquartierungen ganz 
verarmten. 
3. Smolensk und Borodino. Napoleon nahm seine Richtung nach Moskau. 
Nach sieben Wochen erreichte das Heer endlich Smolensk; dort hoffte es sich von 
den Strapazen zu erholen. Aber die Russen hielten die Stadt besetzt. Zwei Tage 
lang verteidigten sie den Ort — dann zogen sie ab. Die Stadt aber ging in Flammen 
auf, und am nächsten Morgen fand Napoleon an Stelle der Stadt nur einen Aschen- 
haufen vor. Mühsam ging der Zug vorwärts. Bei Borodino, 100 km diesseit 
Moskat, stellten sich die Russen abermals zur Wehr. Napoleon siegte; die Russen 
fluß. Aber sonderbar! Die Straßen waren menschenleer, die Fenster der Paläste 
verhangen. Die meisten Einwohner waren mit ihrer besten Habe geflüchtet; aber 
Verbrecher, die man aus den Gefängnissen entlassen hatte, waren in der Stadt 
zurückgeblieben. Napoleon bezog den Kreml, seine Armee die leerstehenden Paläste. 
Aber schon in der ersten Nacht brach an einzelnen Stellen Feuer aus, ebenso in der 
folgenden, und bald stand die ganze Stadt in Flammen. Die Russen selbst hatten 
das Feuer angelegt. Nun mußten die Truppen Napoleons vor der Stadt ein Lager 
beziehen. 
5. Rückzug. In dieser bedrängten Lage bot Napoleon dem Kaiser Alexander 
den Frieden an. Dieser ließ ihm jedoch sagen: „Jetzt ist der Krieg nicht aus, jetzt 
soll er erst recht anfangen.“ So mußte sich denn Napoleon Mitte Oktober zum Rück- 
zuge entschließen. Anfänglich war die Witterung noch längere Zeit milde, aber im 
Heere herrschte bereits die größte Unordnung, die vor allem durch die Zuchtlosigkeit
	        
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