Preußen. 117
schlüssen des Abgeordnetenhauses gegenüber den ungebührlich verkürzten Etat
nach dem ihm zustehenden verfassungsmäßigen Rechte verwarf, sich aber gleich-
zeitig auf die Seite Meiner Regierung stellte, so that es, was es nach den
Umständen für unvermeidlich hielt, und verdient das Urtheil nicht, welches
die Adresse über dasselbe fällt. Ungern habe Ich die Aeußerung gelesen, die
in der Adresse mit Bezug auf die Ergebenheitsbezeugungen Platz ge-
funden hat, welche Mir von einer großen Zahl Meiner Unterthanen schriftlich
und mündlich dargebracht worden sind, und zwar mit gleichem Rechte, mit
welchem die rheinisch-westphälische Adresse Mir vorgelegt worden ist. Die Ad-
resse nennt die von Mir angeordnete Armee-Organisation eine weise
Maßregel, die aufrecht erhalten werden müsse, damit in Zeiten der Gefahr ein
starkes Heer vorhanden sei, welches die ganze Kraft des waffenfähigen Volkes
umfasse; gleichzeitig aber wird eine Abkürzung der Präsenzzeit gewünscht.
Eins widerspricht dem Andern. Nach Meiner auf langjährige Erfahrung be-
gründeten festen Ueberzeugung würde nichts so sehr zur Schwächung
des Heeres beitragen, als eine gesetzliche Verminderung der
Dienstzeit. Endlich spricht die Adresse zu meiner Genugthuung aus, wie
man allgemein anerkenne, daß Ich das Wohl des Volkes im Herzen trage.
Bei einem solchen Anerkenntnisse ist es um so betrübender, zu sehen, wie
Meine besten und redlichsten Absichten eine ungerechtfertigte Beurtheilung und
unmotivirten Widerstand finden. Ich muß den Unterzeichnern der Adresse
Meine Königliche Aufforderung zugehen lassen, den auf Organisirung eines
solchen Widerstandes gerichteten Einflüssen zu begegnen und deren Wirkung
nicht durch aufregende Schritte zu verstärken. Die Verständigung zwischen
Thron und Land wird dadurch nur erschwert. . . . "
22. Jan. Die Abgeordneten Virchow und Carlowitz bringen, von mehr
als 200 Mitgliedern unterstützt, im Abgeordnetenhause den Antrag
und Entwurf einer Adresse an den König ein. — Das Ministe-
rium legt demselben einen Gesetzesentwurf bezüglich der Diäten
der Mitglieder des Abgeordnetenhauses vor, um den Beamteten
für die Zukunft die Kosten der Stellvertretung aufzulegen.
„ „ Die Bundesversammlung verwirft mit Mehrheit der Stimmen das
von Oesterreich und den Mittelstaaten vorgeschlagene Delegirten-
Project. (s. Deutschland.)
24. „ Circulardepesche Bismarcks über seine Verhandlungen mit der
österreichischen Regierung bezüglich des Delegirten-Projectes. (s.
Deutschland.)
27.—29. Jan. Dreitägige Debatte des Abgeordnetenhauses über die
Adresse. Außer dem Entwurfe der Commission (Entwurf Vir-
chow-Carlowitz) liegen demselben Entwürfe von Vincke (Fraction
der Altliberalen) und von Reichensperger (katholische Fraction) vor.
Rede des Ministerpräsidenten v. Bismarck (Recht und Macht), Pro-
testation des Grafen Schwerin, Rede des Kriegs-Ministers. Die
Entwürfe von Vincke und Reichensperger bleiben in der Minderheit,
der Entwurf der Commission wird angenommen mit 255 gegen 68
Stimmen, wovon 11 der feudalen, 57 der altliberalen und der ka-
tholischen Fraction angehören (mit Ausnahme der feudalen Frac-
tion ist indeß das Haus einig, daß die Verfassung verletzt sei):
„Ew. Königliche Majestät haben die beiden Häuser des Landtags der Mo-
narchie wiederum einberufen. Das Haus der Abgeordneten ist diesem Rufe