118 Preußen.
gefolgt, durchdrungen von dem ernsten Willen, die unverbrüchliche Treue gegen
die Krone, die gewissenhafteste Sorge für die Aufrechthaltung der Verfassung
von Neuem zu bethätigen. Es verhehlt sich nicht, daß es seine Arbeiten unter
düsteren Vorzeichen beginnt. Aber gerade deshalb fühlt es um so mehr die
Pflicht, Ew. Majestät die Lage des Landes ebenso offen, wie ehrfurchtsvoll
darzulegen. — Die letzte Session wurde geschlossen, bevor für das Jahr 1862
das von der Verfassung vorgeschriebene Etats-Gesetz festgestellt worden war.
Der Etatsentwurf für das Jahr 1863, welcher vor Ablauf des vorigen Jahres
hätte vereinbart sein sollen, war zurückgezogen worden. Die Aufforderung an
die Regierung Ew. Majestät, diesen Etat noch rechtzeitig wieder vorzulegen,
war ohne Erfolg geblieben. — Seitdem haben die von Ew. Majestät berufenen
Minister verfassungswidrig die Verwaltung ohne gesetzlichen Etat fortgeführt,
und sogar, entgegen einer bestimmten Erklärung des Hauses der Abgeordneten,
solche Ausgaben verfügt, welche durch Beschlüsse des Hauses definitiv und aus-
drücklich abgelehnt waren. — Das oberste Recht der Volksvertretung, das der
Ausgabe-Bewilligung, war damit angegriffen — ein Recht, welches die Grund-
lage des constitutionellen Staatslebens überhaupt ist, welches daher auch alle
bestehenden constitutionellen Verfassungen gewährleisten, und welches bisher,
unter steter Anerkennung durch die Staatsregierung selbst, von der preußischen
Volksvertretung geübt war. Das Land sah mit Schrecken den ganzen Gewinn
unserer bisherigen staatlichen Entwickelung in Frage gestellt. Es stand zu
seinen Abgeordneten. — Nur eine kleine, der Nation seit lange ent-
fremdete Minderheit hat, gestützt durch die Minister Ew. Majestät, bis
zu den Stufen des Thrones die gröbsten Verläumdungen gegen einen Factor
der Gesetzgebung getragen und den Versuch nicht gescheut, das Urtheil über
Maß und Bedeutung klarer Verfassungsrechte zu verwirren. — Gleichzeitig ist
vielfach ein Mißbrauch der Regierungsgewalt, wie er in den trüben Jahren
vor Beginn der Regentschaft Ew. Majestät stattfand, hervorgetreten. Es sind
verfassungstreue Beamte, zumal solche, welche zugleich Abgeordnete waren, mit
drückenden Maßregeln heimgesucht worden. Es ist die Presse verfolgt worden,
wo sie für das Recht offen eintrat. Es ist der Versuch gemacht, die Ausübung
unzweifelhafter staatsbürgerlicher Rechte Seitens nicht einberufener Landwehr-
männer durch unzulässige, außerhalb der Dienstordnung liegende Befehle mi-
litärischer Vorgesetzten zu hindern. — Ew. Majestät haben noch jüngst zu
erklären geruht, daß Niemand an Allerhöchst Ihrem Willen zweifeln dürfe,
die beschworene Verfassung aufrecht zu halten und zu schützen. In der That
wagt Niemand, einen solchen Zweifel zu hegen. Aber gestatten Ew. Majestät
es offen auszusprechen — die Verfassung ist durch die Minister
schon jetzt verletzt. Der Artikel 99 ist keine Wahrheit mehr. Das schwere
Uebel einer budgetlosen Regierung ist über das Land gekommen. Und die
neue Session hat begonnen, ohne daß durch ein thatsächliches Entgegen-
kommen der Regierung auch nur die Aussicht eröffnet wäre, es werde gelin-
gen, die geregelte Handhabung der Finanzen zurückzuführen und die Heeres-
Einrichtung wieder auf gesetzliche Grundlagen zu stützen. — Das Ausland
sieht mit Staunen einen Conflict sich verlängern, welcher die Achtung vor dem
preußischen Namen mit jedem Tage tiefer berührt, welcher die Stimme der
Regierung im Rathe der Völker ihrer besten Kraft zu berauben droht. Es
weiß wohl, daß Pflicht und Gewissen die preußische Volksvertretung zwingen,
das Recht, welches die Verfassung ihr verleiht, ohne Uebergriff, aber auch ohne
Abbruch nach allen Seiten hin wahrzunehmen, und daß die Aussicht auf äußere
Verwickelungen kein Mittel zur Ausgleichung unseres inneren Zerwürfnisses
ist. Es weiß, daß Preußen seinen Einfluß in Deutschland und damit seine
Stärke nur dann wieder gewinnen kann, wenn es zunächst bei sich verfassungs-
mäßige Ordnung herstellt, und wenn es sodann das deutsche Volk und dessen
Vertreter zur Mitwirkung an der staatlichen Einigung des großen Vaterlandes
aufruft. — Inmitten dieser Bedrängniß läßt das preußische Volk, welches in