130 Preußen.
Disciplinargewalt zu unterwerfen. Er hat nicht unter Berufung auf seine
Disciplinargewalt den Ministern Schweigen geboten, sondern nur Gebrauch
gemacht von dem stets und ohne Widerspruch der Minister geübten Recht,
das Wort jederzeit selbst zu ergreifen und zu dem Zwecke Schweigen zu ver-
langen. In Uebereinstimmung damit hat das Haus der Abgeordneten am 15.
d. M. den Beschluß gefaßt: daß der Präsident vermöge des ihm allein zu-
stehenden Rechts, die Verhandlungen zu leiten und die Ordnung im Hause
aufrecht zu erhalten, jeden Redner, auch die Minister und deren Stellvertreter,
unterbrechen kann. Das Haus hat hiernach von den Ministern keine Ver-
zichtleistung auf ihre verfassungsmäßige selbständige Stellung gefordert; es
hat sich streng auf den vorliegenden Fall beschränkt, und, zur Vermeidung
eines weder dadurch noch durch die Zeitumstände gebotenen Streites, jede
Beschlußfassung über das Recht zum Ordnungsruf, zur Entziehung des Wortes
und zu einer sogenannten Disciplinargewalt sorgfältig vermieden. Dagegen
haben die Minister Ew. Maj. wider den Wortlaut der Verfassung,
welcher jedem der beiden Häuser das Recht zuspricht, die Gegenwart der
Minister zu verlangen, ihr Erscheinen abhängig gemacht von der unmöglichen
Bedingung der Zurücknahme einer Behauptung, welche bei diesem Hergang
weder von dem Präsidium noch von dem Hause ausgesprochen war.
„Das Haus der Abgeordneten stand bei Empfang der Allerh. Botschaft in
Begriff, Ew. Maj. mit seiner Vorstellung gegen dies Verfahren
seine allgemeinen Beschwerden über die Minister der Krone
offen und ehrerbietig darzulegen.
„Es sind mehr als drei Monate vergangen seit unserer ehrfurchtsvollen
Adresse vom 29. Jan. d. J., ohne daß die Rückkehr zu verfassungsmäßigen
Zuständen erfolgt, ohne daß eine Bürgschaft für diese Rückkehr gewonnen
wäre. Die Minister Ew. Maj. fahren vielmehr fort, verfassungswid-
rige Grundsätze offen auszusprechen und zu bethätigen. Nicht
genug damit, haben sie ihre Mitwirkung dazu verweigert, das in der Ver-
fassung verheißene Ausführungsgesetz über die Verantwortlichkeit der Minister
mit der Landesvertretung zu vereinbaren; ja sie haben keinen Anstand genom-
men, vor versammeltem Hause zu erklären, daß sie ihre Verantwortlichkeit
dem Spruche des von der Verfassung dazu berufenen Gerichtshofes nicht
unterwerfen können. Inzwischen hat das Haus der Abgeordneten pflicht-
mäßig diejenigen Verhandlungen fortgesetzt, welche dem Lande seine volks-
thümliche Wehrverfassung erhalten, dem Heer die gesetzliche Grundlage sichern,
die Ordnung des Staatshaushalts herstellen, dem Lande sein verfassungs-
mäßiges Recht und seinen inneren Frieden wiedergeben sollten. Die Minister
der Krone sind es, welche durch das Abbrechen der persönlichen Verhand-
lung mit dem Hause diesen Zweck der Session vereiteln.
„Dem innern Zerwürfniß hat sich stets wachsend die äußere Gefahr zuge-
sellt. Unter Ew. Maj. Regierung war Preußens äußere Lage günstiger ge-
worden, als seit langer Zeit. Die Hoffnungen auf Wiederherstellung der Macht
und Einheit Deutschlands hatten sich von neuem belebt. Die gegen-
wärtigen Minister Ew. Maj. haben diese Erwartungen ge-
täuscht. Durch ihre Politik nach Außen, durch ihr verfassungswidriges
Verfahren im Innern haben sie das Vertrauen der Völker und der Regie-
rungen verscherzt. Sie selbst haben im Hause der Abgeordneten aussprechen
müssen, daß Preußen Feinde ringsum hat, daß ihm ringsum kriegerische
Verwickelungen drohen. Preußen steht fast allein in Deutschland,
ja in Europa. Das Haus der Abg. hat seine Stimme zu wiederholten
Malen erhoben, um die Minister Ew. Maj. aufzuhalten auf den gefährlichen
Wegen, welche sie in der auswärtigen Politik betreten haben. Sein Rath
ist zurückgewiesen worden. Die Minister haben erklärt, sie würden, wenn sie
es für nöthig hielten, den Krieg führen mit oder ohne Gutheißen der Landes-
vertretung.